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ITALIEN/235: Tod von 16 Migranten in Süditalien zeigt erneut unmenschliches Ausbeutungssystem (Gerhard Feldbauer)


Tod von 16 Migranten in Süditalien zeigt erneut unmenschliches Ausbeutungssystem

USB-Gewerkschaft rief zum Generalstreik
Rassismus erfasst Behörden und das tägliche Leben

von Gerhard Feldbauer, 11. August 2018


12 Migranten aus Ländern außerhalb der EU, die sich als Landarbeiter verdingt haben, sind am Wochenanfang bei Foggia in Apulien/Süditalien bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sie waren auf einem Lkw zusammengepfercht, der mit einem mit Tomaten beladenen Lastwagen frontal zusammenstieß. Die übermüdeten Fahrer der beiden Lkw starben ebenfalls. Dort waren bereits zwei Tage vorher bei einer Kollision mit einem Tomaten-Laster vier Afrikaner tödlich und vier weitere schwer verletzt worden.

Der Vorfall bringt erneut an die Öffentlichkeit, wie Migranten vor allem in Süditalien unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften müssen und wie Sklaven gehalten werden, schreibt das linke Manifesto. Das jüngste Blutbad hat zu einer starken Welle der Empörung in linken Medien und bei den Gewerkschaften und zu Protesten der Landarbeiter geführt. Mit einem Generalstreik, zu dem die Basis-Gewerkschaft USB aufrief, haben die ausländischen Erntearbeiter geschlossen gegen ihre unmenschlichen Arbeitsbedingungen protestiert. In einem, wie La Repubblica schrieb, "marcia dei berretti rossi (Marsch der roten Barette), den roten Mützen, die sie sonst vor der Sonne schützen, zogen zahlreiche Migranten nach Foggia und protestierten vor der Präfektur unter den Losungen "Basta morti sul lavoro", "Schiavi mai" ("Genug der Arbeitstoten", "Niemals Sklaven") gegen ihre unmenschliche Ausbeutung und verlangten menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Auf einer von den Gewerkschaften CGIL, CISL und UIL gemeinsam organisierten Kundgebung in Foggia versicherte der Abgeordnete und Vorsitzende der linken Bewegung Liberi e Uguali (LeU), Roberto Speranza, den Migranten die volle Solidarität. "Wir werden überall da sein, um die Würde der Arbeiter zu verteidigen." Ein Plakat forderte: "Stop caporalato". Der Präsident der Regionalregierung von Apulien, Michele Emiliano von der Demokratischen Partei (PD), unterstützte den Streik als einen "Schritt gegen die Ausbeutung".

In Apulien, einem Zentrum der Tomatenindustrie, müssen Erntearbeiter vor allem aus Afrika, aber auch aus Polen, Bulgarien und Rumänien, unter der sengenden Sommerhitze von über 40 Grad bis zu zwölf Stunden täglich schuften. Sie leben in Elendsquartieren unter schlimmsten hygienischen Verhältnissen, ohne fließendes Wasser und Toiletten, haben keinerlei gesundheitliche Betreuung, sind Gewalt, die Frauen sexuellen Belästigungen ausgesetzt. Viele von ihnen sind, wie die römische La Repubblica enthüllte, einem "Caporalato" genannten System organisierter mafioser Schwarzarbeit unterworfen. Sie verdienen oft kaum mehr als einen Euro die Stunde (der Tariflohn liegt bei 6 Euro), von denen ihnen noch ein Teil für die Elendsunterkünfte abgezogen wird. Die Padrones zahlen keine Sozialabgaben, gewähren keinen Urlaub. Die Zahl der so ausgebeuteten Landarbeiter wird in Apulien auf etwa einhunderttausend geschätzt. Laut Angaben der CGIL-Gewerkschaft vom vergangenen Jahr sind es, Kampanien und Sizilien hinzugerechnet, wenigstens eine halbe Million, die bei der Trauben-, Oliven- und Orangenernte, auf Tomaten-, Zwiebel- und Erdbeerfeldern, in Pfirsich- und Aprikosenplantagen illegal als Saisonarbeiter beschäftigt werden.

Die Proteste kontrastieren die Demagogie der Regierung der rassistischen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die ihre Politik der Vertreibung der Migranten und ihres Ausschlusses aus der Gesellschaft hinter heuchlerischen Phrasen von der "Würde der Menschen" und des "Kampfes gegen die Ausbeutung" tarnt. Unter dem Druck der Proteste mussten sich Premier Conte und Innenminister Salvini nach Foggia begeben und eine Delegation der Streikenden empfangen.

Jüngster Vorfall des Umsichgreifens rassistischer Auswüchse in Behörden wie im täglichen Leben war, wie La Repubblica berichtete, dass Zigeuner, Bettler und andere "Störenfriede" im Regionalzug Trenord Mailand-Cremona von der Zugführerin per Zuglautsprecher am 7. August aufgefordert wurden, den Zug zu verlassen. "Steigt an der nächsten Haltestelle aus, ihr nervt", und "ihr geht uns voll auf den Sack", so die unglaublich vulgäre Ansage. Das Vorkommnis wurde nur bekannt, weil ein Fahrgast den Mut hatte, Anzeige zu erstatten.

Jüngster Vorfall: Wie ANSA am Freitag meldete, schossen zwei dreizehnjährige Jungen in Pistoia (Norditalien) auf einen Afrikaner aus Gambia. Es soll sich um eine Schreckschusspistole gehandelt haben. Die Jugendlichen hätten laut Polizeiangaben eingeräumt, am 2. August in der toskanischen Stadt zwei Schüsse in Richtung des Mannes abgefeuert zu haben. Sie hätten den Gambier nur erschrecken wollen. Laut Zeugen sei der 24jährige Afrikaner aber von ihnen rassistisch beleidigt worden.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. August 2018

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