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ITALIEN/237: Im Gedenken an die von der SS am 12. August 1944 barbarisch ermordeten 560 Einwohner von Sant'Anna di Stazzema (Gerhard Feldbauer)


Italien gedachte der von der SS am 12. August 1944 barbarisch ermordeten 560 Einwohner von Sant'Anna di Stazzema

Vizepremier Salvini berief sich wenige Tage vorher in seinem Rassismus auf Mussolini

von Gerhard Feldbauer, 15. August 2018


Das antifaschistische Italien gedachte am 12. August der 560 Einwohner der Gemeinde Sant'Anna di Stazzema in den toskanischen Abruzzen, die vor 74 Jahren Opfer eines barbarischen Massakers der SS und der Hitlerwehrmacht wurden. Das Gedenken richtet sich gegen den faschistisch-rassistischen Kurs der seit 1. Juni amtierenden Regierung der Lega und der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S). Lega-Chef und Vizepremier Salvini hatte die Stirn, sich vor den gegen seine rassistische Verfolgung von Migranten, Roma und Sinti Protestierenden am Geburtstag Mussolinis, am 29. Juli, zu dem faschistischen Diktator und seinem Motto "Viel Feind, viel Ehr" zu bekennen.

Sein Parteifreund, der Familienminister Lorenzo Fontana, sekundierte ihm mit der Forderung, dass so genannte Mancino-Gesetzes aus dem Jahr 1993 aufzuheben. Es legt fest, dass Anstiftung zu Fremdenhass und die Verherrlichung des Faschismus streng zu bestrafen sind.

Die Katastrophe des Einsturzes der Autobahnbrücke bei Genua hat die Proteste gegen die unverschämten Provokationen der Lega etwas in den Hintergrund treten lassen. Aber es ist nicht zu überhören, dass Antifaschisten und Linke enthüllten, dass die Lega damit ihren rassistischen Verfolgungskurs legalisieren und eine Bestrafung der Täter, die in den vergangenen Wochen mehrmals Migranten töteten, verhindern will. Roberto Speranza, Parlamentarier der linken Bewegung "Liberi e Uguali" (Freie und Gleiche - LeU), forderte den sofortigen Rücktritt des Lega-Ministers. "Italien ist eine demokratische antifaschistische und antirassistische Republik. Wer dies ignoriert, ist eines Ministeramts unwürdig", so Speranza.

Hinter welche Verbrechen stellt sich der italienische Vizepremier Salvini im Falle von Sant'Anna di Stazzema? Binnen weniger Stunden ermordeten dort am 12. August 1944 Angehörige der Aufklärungsabteilung der 16. Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" unter dem Kommando des Obersturmbannführers Walter Reder 560 Einwohner, alles Zivilisten, darunter 120 Kinder unter sechzehn Jahren und acht schwangere Frauen. Das jüngste Opfer zählte drei Monate, das älteste 86 Jahre.

Während die SS das Dorf überfiel, befand sich kein einziger Widerstandskämpfer dort. Das Vorgehen war hier wie anderswo ein Racheakt für die Niederlagen, die die Wehrmacht und ihre italienischen Vasallen in den Kämpfen mit den Partisanen erlitten. Aus einem "Sicherheitsbericht" des Wehrmachts-Kommandos von 1944 ging hervor, daß im Mai 2.035 und im Juni ungefähr 2.200 Partisanenoperationen stattfanden, wobei im Juni 17 Munitionsdepots und 24 Kasernen und Garnisonen des republikanischen Heeres (der faschistischen Hilfstruppen Mussolinis) sowie eine deutsche Kommandantur angegriffen wurden. In der größten Partisanenschlacht vom 28. Juli bis 3. August 1944 in der Emilia-Romagna im befreiten Gebiet von Montefiorino schlugen 8.000 Kämpfer den Angriff dreier deutscher Divisionen zurück. Die Wehrmacht verlor 2.080 Soldaten. Bei den Partisanen fielen 250 Kämpfer, 70 wurden verwundet. Bis zum Ende des Befreiungskrieges gelang es den Besatzungstruppen nie, die befreite Zone von Montefiorino zurückzuerobern.

Dafür nahmen die Hitlerfaschisten und ihre Mussolini-Handlanger an der wehrlosen Bevölkerung blutige Rache. Die Feder sträubt sich, die sadistischen Verbrechen in Sant'Anna wiederzugeben. Einer Schwangeren wurde der Leib aufgeschnitten und der Fötus herausgerissen. Die SS-Leute durchkämmten Gehöft für Gehöft, Weiler für Weiler, zündeten die Gebäude an und brannten sie nieder, brachten die Menschen, soweit sie nicht flüchten konnten, um. 150 Einwohner wurden auf dem von einer Mauer eingefriedeten Kirchplatz mit nur einem einzigen Zugang zusammengetrieben und mit zwei Maschinengewehren und Handgranaten regelrecht hingeschlachtet. Anschließend schichteten die Mörder die Leichen übereinander, übergossen sie mit Benzin und zündeten sie an. Nur 350 der Opfer konnten später identifiziert werden.

In einer Botschaft an die Gemeinde von Sant'Anna erklärte Staatspräsident Sergio Mattarella, die Erinnerung an die Opfer eines der unmenschlichsten Verbrechen unter dem Regime der Hitlerwehrmacht sei unvergessen in den Herzen der Italiener. Er appellierte, ihr Erbe als fundamentale Werte der Demokratie, der Kultur und des Friedens zu bewahren.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2018

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