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ITALIEN/239: Werden Italiens Faschisten wieder Vorreiter in Europa? (Gerhard Feldbauer)


Salvini und Orbán schmieden neofaschistisch-rassistisches Bündnis - Lega-Chef will Premier werden

Werden Italiens Faschisten wieder Vorreiter in Europa?

von Gerhard Feldbauer, 3. September 2018


Nachdem der Chef der rassistischen Lega, Matteo Salvini, bereits den Amtsantritt der Regierung, in der er Vizepremier und Innenminister ist, vor drei Monaten als eine "historische Wende" für Italien bezeichnete, verkündete er nun bei seinem Treffen am vergangenen Dienstag in Mailand mit dem neofaschistoiden Regierungschef Ungarns, Viktor Orbán, mit diesem "einen historischen Wendepunkt für die Zukunft Europas" einzuleiten. "Migranten sollten nicht umverteilt, sondern in ihre Heimat zurückgeführt werden", stimmte Orbán den Plänen Salvinis zu. Auch mit Deutschland gebe es Fortschritte bei einem Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen, zitierte ihn die Nachrichtenagentur ANSA. Die deutsche Kanzlerin Merkel leistete zustimmend prompt Schützenhilfe und bezeichnete als zentralen Schwerpunkt ihrer derzeitigen Afrikareise "den Ausbau der EU-Flüchtlingsabwehr". Das Treffen mit Orbán zeigte, wie Medien hervorhoben, dass Salvini die Beziehungen auch mit den drei weiteren sogenannten Visegrad-Ländern Polen, Tschechien und Slowakei vertiefen will. Dem dürfte seine Ankündigung weiterer Treffen entsprechen.

Angesichts der Tatsache, dass die EU sich in der rassistischen Verfolgung der Migranten widerstandslos der Linie Salvinis beugt, fragen antifaschistische Italien-Kenner besorgt, ob der neue italienische Faschismus unter Salvini, der kein Hehl aus seinen Bekenntnissen zu Mussolini macht, für Europa wie einst unter dem "Duce" wieder eine Vorreiterrolle spielt. Gerade der Besuch Orbáns erinnert daran, wie der Faschismus unter Mussolini 1920 in Budapest den Machtantritt des Horthy-Regimes, das Orbán heute für seine Zwecke nutzt, beförderte, ebenso 1923 die Etablierung der Zankow-Diktatur in Bulgarien und 1926 die Errichtung der militärfaschistischen Diktatur unter General de Fragoso Carmona in Portugal.

Nicht zu vergessen, dass Mussolini ein Vorbild Hitlers und der hinter ihm stehenden Kapitalkreise um Thyssen und Stinnes war. "Das Braunhemd", so bekannte Hitler in seinen "Monologen im Führerhauptquartier" noch 1941, "wäre vielleicht nicht entstanden ohne das Schwarzhemd". Er gestand ebenso, dass Mussolini einmal für ihn "eine ganz große Persönlichkeit" darstellte. Für eine neue italienische Vorreiterrolle stand nicht zuletzt, dass Salvini nach dem Wahlerfolg der AfD im September 2017 in Deutschland seinen deutschen Kumpanen die herzlichsten Glückwünsche schickte und äußerte, auch in Berlin werde man noch lernen, die deutsche Alternative zur Kenntnis zu nehmen und mit ihr zurechtzukommen.

Das linke Online-Portal dinamoPress gab Flüchtlinge wider, die berichteten, wie sie vor Krieg und Terror flüchteten und in libyschen Lagern gefoltert und vergewaltigt, viele als Sklaven verkauft wurden, Neugeborene starben. Dorthin wollen Salvini, Orbán und Merkel sie zurückschicken. Die römische La Repubblica schildert den Alltag unter der Regierung, in der Salvini das Sagen hat und Premier Giuseppe Conte nur noch der "Hampelmann" Salvinis genannt wird, und zitiert zwei Waisen aus dem Bürgerkriegsland Mali, von wo sie 2017 flohen. In Macerata, einer Provinzhauptstadt in den Marken, wurden sie von Rassisten "wie Tiere durch die Strassen gejagt und leben seitdem in ständiger Angst, dass es ihnen wieder so ergehen kann".

Gegen die Abschottung vor Migranten demonstrierten in Mailand Tausende für ein "Europa ohne Mauern". Gemeinsam aufgerufen hatten die Demokratische Partei (PD), die Linkspartei Freie und Gleiche (LeU), die Gewerkschaft CGIL, Sozialzentren, Studenten und die Sentinels von Mailand. Sprechchöre riefen, dass Orbán und Salvini "eine faschistische Politik" betreiben. Auf Transparenten stand: "Eure Grenzen töten", "Salvini und Orbán Komplizen von Rassismus und Angst", "Unser Europa hat keine Grenzen, Flüchtlinge willkommen". In Rocca di Papa, wo Franziskus 100 der Flüchtlinge der Diciotti aufnahm, hießen zahlreiche Sympathisanten die Flüchtlinge herzlich willkommen. Gleichzeitig marschierten 30 Faschisten der CasaPound, einer Sturmabteilung der Lega, auf und unterstützten deren "Lösung", diese Flüchtlinge "sofort zurückzuführen".

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft von Agrigento in Sizilien Ermittlungen gegen den Innenminister und seinen Kabinettschef wegen "Entführung, Amtsmissbrauch und illegaler Festnahmen" eingeleitet. Das zuständige Gericht wird ein Verfahren eröffnen. Die Flüchtlinge der Diciotti seien mit dem Verbot, in Catania an Land zu gehen, ihrer persönlichen Freiheit beraubt worden. Da der rassistische Kurs der Abschottung Italiens gegen Migranten auf eine starke Zustimmung unter der Bevölkerung stößt, könnten sich die Ermittlungen als zweischneidig erweisen und Salvini eher gelegen kommen. Er heizt sie in arroganter Weise noch an. Das sei für ihn wie eine Auszeichnung "mit Medaillen". "Italien ist nicht mehr das Flüchtlingslager in Europa, der Pacchus für Smarts und Goodists ist vorbei!", zitiert ihn ANSA. Das rechtsextreme Blatt Libero betitelte ein Bild des Lega-Führers mit Sprüchen wie "Dio Salvi Salvini", Gott, rette Salvini vor den Attacken der Staatsanwälte und Linken.

Der Lega-Chef ist an Stelle Berlusconis zum unumstrittenen Führer der faschistischen Allianz aufgestiegen. Es mehren sich die Übertritte aus der Forza Italia (FI) zur Lega. Aktuelle Meinungsumfragen sagen Salvini, der bei den Märzwahlen 17 Prozent erreichte, eine Verdoppelung auf über 30 Prozent voraus, während der Regierungspartner, die rechte M5S-Partei, von 34 Prozent im März hinter der Lega zurückbleiben würde.

Salvini setzt darauf, bei den EU-Wahlen im Mai 2019 den ersten Platz zu belegen und danach Neuwahlen zu provozieren, um auch bei ihnen an die Spitze zu kommen und Premier zu werden. Steigt die Zustimmung zu seinem rassistischen Kurs weiter an, könnte er das Szenarium auch in umgekehrter Zeitfolge in Gang setzen.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2018

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