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ITALIEN/313: Nach den Feiern zum antifaschistischen 25. April wieder Covid-19-Krisenalltag (Gerhard Feldbauer)


Nach Feiern des Aufstandes von 1945 gegen das Besatzungsregime Hitlerdeutschlands bestimmt in Rom der Krisenalltag wieder das Bild

Premier Conte bleibt beim "No al MES"

von Gerhard Feldbauer, 29. April 2020


Trotz der Beschränkungen durch die Corona-Pandemie, die Italien mit bisher über 27.000 Todesopfern schwer getroffen hat, feierten Millionen Bürger am Wochenende den 25. April, an dem vor 75 Jahren mit einem allgemeinen bewaffneten Aufstand Norditalien noch vor dem Eintreffen der anglo-amerikanischen Truppen von der Besatzung der Hitlerwehrmacht und ihrer Mussolini-Vasallen befreit und ein historisch bedeutsamer Beitrag zum Sieg über den Faschismus geleistet wurde. Das traditionelle Partisanenlied Bella Ciao erklang von den mit italienischen Fahnen geschmückten Fenstern und Balkonen und wurde auch ins Netz gestellt. Der Jazztrompeter Paolo Fresu spielte es auf einer leeren Piazza in Bologna und stellte das Video auch online.

Staatspräsident Sergio Mattarella appellierte, dieses "Wertereservoir" als "idealen Motor" zur Bekämpfung der Pandemie zu nutzen und keine Ausfälle "rechtsextremistischer Randkreise" zuzulassen. Wenn die Nachrichtenagentur ANSA schrieb, dass das Staatsoberhaupt "auf die wirklichen Sorgen der Italiener", die "einen Ausweg suchen", einging, dürfte das ein Novum in der EU gewesen sein. Noch dazu, wenn er sagte, "die Frontkämpfer" sind "heute die Ärzte, die Krankenschwestern, die Arbeiter und diejenigen, die das Land voranbringen".

Der Bruder des heutigen Staatschefs, Piersanto Mattarella, war ein enger Kampfgefährte Aldo Moros, der 1978 eine von dem IKP-Generalsekretär Enrico Berlinguer unterstützte Regierung zur Abwehr der faschistischen Gefahr bildete und deswegen im Mai 1978 dem von der CIA und ihren italienischen Gehilfen organisierten Mordanschlag zum Opfer fiel. Piersanto Mattarella, der auf Sizilien ebenfalls eine Regierung mit den Kommunisten gebildet hatte, fiel im Januar 1979 einem von Faschisten inszenierten Mord zum Opfer. Es zeigt sich wieder einmal, dass Sergio Mattarella diesem antifaschistischen Erbe treu bleibt.

Inzwischen beherrscht Covid-19 wieder den Alltag, in dem Premier Conte die Schlacht um die "Coronabonds" verloren hat. Die von ihm geforderten Kredite in Form gemeinsamer Wertpapiere hat Brüssel, den Vorgaben der BRD folgend, abgelehnt und stattdessen einen Europäischen Stabilitätsmechanismus (MES), auf italienisch ESM, eingerichtet. Während Conte beim "No al MES" bleibt, hat er laut ANSA vom Dienstag nun "beim Europäischen Solidaritätsfonds einen Antrag auf Unterstützung in der Corona-Pandemie gestellt". Nach dem BIP müsste Rom 35 Milliarden Euro erhalten. Die EU- Kommission werde sich "Zeit für eine gründliche Analyse nehmen", um sicher zu stellen, dass "die Verteilung der Beihilfen ausgewogen" ist. Der Zeitpunkt einer "realistischen Finanzierung" liege also "nach dem Sommer", dämpft ANSA die Erwartungen.

Der Jurist Conte erinnerte daran, dass Griechenland in der letzten Krise für Kredite, die es im Rahmen des "Rettungsschirmes" erhielt, nationale Souveränitätsrechte an Brüssel abtreten musste. Um dem vorzubeugen, hat Conte ein Notfall-Paket mit insgesamt 750 Milliarden Euro verabschiedet, mit dem, wie das linksliberale Fatto Quotidiano schon am 15. April schrieb, "die Liquidität für Unternehmen sichergestellt werden soll". ANSA zitierte einen Tag später, Conte habe den Notfall-Plan "ein sehr wirksames Instrument" genannt, um alle Unternehmen, die "strategisch wichtige Aktivitäten ausführen, vor feindlichen Übernahmen nicht nur in den traditionellen Sektoren, sondern auch in den Bereichen Versicherungen, Kredite, Finanzen und Wasser zu schützen".

Am Beispiel Italiens zeigt sich schon jetzt, dass Covid-19 die Gegensätze unter den Mitgliedsländern der EU und damit die Krise der "Gemeinschaft" vertiefen wird. Mit MES entfacht Brüssel nicht nur den alten Streit in Rom über die Haltung zur EU neu, sondern auch die Auseinandersetzungen darüber in der Regierung zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und verschafft auch der oppositionellen faschistischen Lega Auftrieb, die Regierung Conte zu Fall zu bringen.

M5S und Lega lehnen MES ab, während die PD zustimmen will, wenn keine Souveränitätsrechte angetastet werden. Von Renzi, dem Chef des von der PD abgespaltenen Italia Viva (Lebendiges Italien), bis zur faschistischen Lega Salvinis seien "große Manöver im Gange, die Regierung zu wechseln", schreibt La Repubblica am Mittwoch. Renzi will dazu Ex-Premier Berlusconi mit seiner faschistischen Forza (FI) in eine neue Regierung einbeziehen, was den Austritt der PD zur Folge haben dürfte. In Brüssel hat die FI bereits mit IV der Aktivierung von MES zugestimmt.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2020

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