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ITALIEN/400: Bürgermeister- und Kommunalwahlen im Angesicht der dramatischen sozialen Krise (Gerhard Feldbauer)


In dramatischer Wirtschafts- und Sozialkrise:
Bürgermeister- und Kommunalwahlen

Sie gelten als Test für das Kopf-an-Kopfrennen zwischen Sozialdemokraten und den Faschisten der Brüder Italiens bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 2023

von Gerhard Feldbauer, 10. Juni 2022


In letzter Minute haben der Chef der Lega Matteo Salvini und die Führerin der faschistischen Brüder Italiens (FdI) Giorgia Meloni ihren Streit beigelegt und sich "in einer Umarmung" für die Kommunalwahlen am Sonntag die gegenseitige Unterstützung ihrer Kandidaten zugesichert, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA am Freitag. In Verona geht es um die Unterstützung des scheidenden Bürgermeisters Federico Sboarina, der zur FdI übergewechselt ist und zur Wiederwahl antritt. Es ist laut ANSA ein "Zeichen des Zusammenhalts zwischen den beiden, die sich in den vergangenen Tagen auf Distanz um Vorherrschaft und Herrschaft zwischen den Kräften der Rechten Mitte (wie die faschistische Allianz sich verharmlosend nennt) gestritten hatten, dass gerade Verona den Ausschlag für FdI geben könnte". Aber es herrsche große Sorge, ob Sboarina es schaffen werde. Es gehe um jede Stimme, "um die Linke zu besiegen", betonte Meloni. Salvini erklärte, damit seien "die Mitte-Rechts-Parteien kompakt" und sie müssten "vor niemandem Angst" haben. Bei einem Blick auf Wählerumfragen ist nicht sicher, ob dem so ist.

Gewählt werden in 982 Kommunen, darunter 26 Provinzhauptstädte und vier Regionalhauptstädte - Catanzaro, Genua, L'Aquila, Palermo (was der Wahl tatsächlich zentrales Gewicht gibt), neue Gemeinderäte und die Bürgermeister. Laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts AGI Youtrend steht FdI derzeit mit 21,5 Prozent der Stimmen auf Platz eins, während die Lega nur mit 15,9 % rechnen kann und die Forza Berlusconis (FI) nur noch mit 8,7 Prozent bewertet wird. Da der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) mit 21,3 Prozent dicht hinter der FdI liegt, werden hier Erfolge befürchtet. Allerdings ist die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) von Ex-Premier Giuseppe Conte auf 13,3 Prozent abgesunken, die "Linke Mitte" (PD und M5S) hat zu keiner vergleichbaren Einheit gefunden.

Die Kommunalwahlen finden vor dem Hintergrund einer im Ergebnis der Folgen der Teilnahme der Draghi-Regierung an der NATO- und EU-Unterstützung des Krieges in der Ukraine sich dramatisch verschärfenden sozialen und wirtschaftlichen Lage statt. Laut den neuesten Daten des Amtlichen Instituts für Statistik (ISTAT) ist derzeit ein Viertel der italienischen Familien mit ständig wachsenden finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert. Die Kosten für Energie sind um 73 Prozent, für Gas um 66,3 Prozent, für Sonnenblumenöl um 70,2 Prozent und für Mehl um 18,6 Prozent gestiegen. Die Spritpreise pendeln bei zwei Euro pro Liter. Unter der Losung "Raus aus dem Krieg" haben die Basis-Gewerkschaften mit der Unione Sindacale di Base am 20. Mai in einem Generalstreik Millionen zum Protest gegen die Erhöhung der Sozialausgaben und für die Forderung nach höheren Löhnen und einem Grundeinkommen für alle mobilisiert. Die USB warnte: "Wir stehen vor einer neuen Periode des Elends, der Energiekrise, der Inflation und natürlich des Krieges". Dieses räuberische kapitalistische System werde die Ausbeutung noch mehr verschärfen, neue Angriffe auf die Löhne und Arbeiterrechte führen und die repressiven Maßnahmen und Kontrollmechanismen verschärfen, um seine Herrschaft zu sichern.

Diesen arbeiterfeindlichen Kurs haben in einer so genannten "Regierung der nationalen Einheit" des früheren Chefs der Europäischen Zentralbank Mario Draghi die Parteien der angeblichen "Linken Mitte" - PD und M5S - zusammen mit den Faschisten der FI von Ex-Premier Berlusconi und der Lega Salvinis mitgetragen. Sie fürchten jetzt bei den Kommunalwahlen, vor allem aber bei den im Frühjahr 2023 anstehenden Parlamentswahlen, von den Wählern abgestraft zu werden. Ins Fäustchen lachen kann sich dagegen Giorgia Meloni, die schlauerweise in der Opposition geblieben ist und jetzt die Früchte einheimsen will. Meloni, eine Busenfreundin von Frankreichs Marie Le Pen, jubelt bereits: "Wir werden die Führung der Nation übernehmen."

Werfen wir einen Blick darauf, wer hier die "Führung der Nation" übernehmen würde: Meloni hat im Mai auf einer Trauerfeier für die Witwe des Gründers des Movimento Sociale Italiano (MSI), des Nachfolgers der Partei des faschistischen Diktators Mussolini (1922-1945), Giorgio Almirante, diesen mit einem Bekenntnis zum faschistischen Erbe und römischen Gruß (dem erhobenen rechten Arm, mit dem sich Mussolini wie Hitler grüßen ließ) feiern lassen. Giorgio Almirante war unter dem "Duce" (Führer) Staatssekretär und erließ einen Genickschusserlass gegen Partisanen. Melonis FdI ist über den 1995 in Alleanza Nazionale (AN) umbenannten MSI direkt aus dieser Mussolini-Nachfolgepartei hervorgegangen.

PD-Chef Enrico Letta steht weiter "in Treue fest" zu Draghi und erklärte, "diese Regierung muss bis zum letzten Tag durchhalten". Er setzt auf Draghi, der, so die Meinung von Beobachtern in Rom, als "Italiens Macron" nach den Wahlen im Frühjahr für eine weitere Amtszeit zur Verfügung stehen müsse, um einen Wahlsieg Melonis zu verhindern. Anders der M5S-Leiter Conte, der nun retten will, was noch zu retten ist, und gegenüber der Nachrichtenagentur ANSA am 3. Juni ankündigte, er stehe nach den Wahlen für eine weitere Regierung in dieser Konstellation nicht mehr zur Verfügung. Zum Krieg in der Ukraine erklärte er: "Wir haben drei Waffenlieferungen beigetragen. Unsere Bemühungen müssen sich jetzt auf die diplomatische Ebene konzentrieren." Und fügte hinzu: "Wir dürfen nicht weiter glauben, dass wir Russland durch Sanktionen besiegen können."

Außer dass alle Regierungsparteien nun versprechen, sich für einen Mindestlohn einzusetzen, ist eine Abkehr vom arbeiterfeindlichen Kurs Draghis nicht auszumachen. Die antikapitalistische Linkspartei "Die Macht dem Volke" (Potere al Popolo - PaP) hat dagegen bei dem Generalstreik am 20. Mai klar Flagge gezeigt und sich voll hinter die Forderungen der USB gestellt. Während PaP am Sonntag in einer Reihe von Gemeinden allein antritt, ist es in einigen Städten, so in Palermo, Padua und Catanzaro, mit außerparlamentarischen Linken zu gemeinsamen Listen gekommen und in Parma zu einer mit den Kommunisten der Rifondazione Comunista (PRC) und des Partito Comunista Italiano (PCI). "Wir wollen eine kämpferische Alternative gegen den Gewaltenblock, der das Land derzeit in Schach hält und uns ein lebenswertes Leben verwehrt, gegen Klientelismus und Privatinteressen bilden", heißt es in dem Wahlaufruf der PaP.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 10. Juni 2022

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