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ITALIEN/413: Streitpunkt Sanktionen - Linke Mitte bleibt gegen vereinte Rechte gespalten (Gerhard Feldbauer)


"Heiße Kampagne des Wahlkampfes"

Streitpunkt Sanktionen
"Linke Mitte" bleibt gegen vereinte Faschisten gespalten

von Gerhard Feldbauer, 24. August 2022


Nachdem die Parteien ihre Kandidaten für die Wahl am 25. September präsentiert haben, hat zwischen Anfeindungen und Kontroversen die "heiße Kampagne des Wahlkampfes" begonnen, berichtete ANSA am Montag. Am Mittwoch meldete die staatliche Nachrichtenagentur, dass der "neue Streitpunkt" die Haltung zum Ukraine-Konflikt sei. Nachdem der noch amtierende Premier Draghi bekräftigte, Italien werde die Ukraine weiterhin bis zur Befreiung der Krim unterstützen, habe Lega-Chef Salvini geäußert, Russland habe im Ergebnis der Sanktionen einen Handelsüberschuss von 70 Milliarden Dollar verdient. Er möchte nicht, "dass Sanktionen den Krieg anheizen" und hoffe, dass Brüssel "eine Reflexion" vornimmt. Das ist von Salvini kein Schuss aus der Hüfte, sondern dahinter stehen führende Kaspitalkreise, deren Interessen er vertritt. Der Sekretär des sozialdemokratischen Partito Democratco (PD), Enrico Letta, habe "hart reagiert", sich sofort hinter Draghi gestellt und "die Linie der Entschlossenheit gegenüber Moskau" bekräftigt.

Am Wochenende hatte die Führerin der Fratelli d'Italia (Brüder Italiens - FdI), Giorgia Meloni, mit einem Video, in dem - verpixelt - zu sehen war, wie ein Asylbewerber aus Guinea eine 55jährige Ukrainerin angeblich vergewaltigte, den Wahlkampf angeheizt. Der Vorfall in Piacenza war von einem Anwohner aufgenommen worden, der auch die Polizei alarmierte. Der mutmaßliche Täter wurde festgenommen und das unter Schock stehende Opfer ins Krankenhaus eingeliefert. Letta warf Meloni vor, das Schockvideo für Wahlkampfzwecke auf Twitter gepostet zu haben. Neben ihm kritisierten auch andere Mitte-Links-Politiker Meloni. Sie sehen in der Veröffentlichung des Videos ausländerfeindliche Propaganda für deren Wahlkampf, in dem Meloni gefordert hat, Migranten bereits durch eine Seeblockade vor den Küsten Libyens abzufangen. Nach Lettas Kritik, es mangele "an Respekt vor dem Opfer", konterte Meloni und präsentierte laut ANSA auf Twitter eine Liste, in der "Drogen, Alkoholismus, Rauchen, Glücksspiel, Selbstverletzung, Fettleibigkeit, Anorexie, Mobbing, Babygangs, Hikikomori" (japanischer Begriff für gesellschaftlichen Rückzug und sich einschließen) angeprangert werden.

Unverändert sagen Umfragen Melonis FdI mit inzwischen über 26 Prozent den ersten Platz voraus. Das geeinte faschistische Bündnis mit der Lega und Berlusconis Forza Italia (FI) könnte etwa 45 Prozent der Stimmen erhalten, was ihm eine klare Mehrheit in beiden Parlamentskammern sichern würde. Zwar steht Lettas PD hinter Meloni knapp auf Platz zwei, aber selbst wenn er im Kopf-an-Kopf-Rennen gewinnen sollte und das Recht hätte, den Ministerpräsidenten vorzuschlagen, würde ihm eine regierungsfähige Mehrheit fehlen, findet doch die "Linke Mitte" zu keiner antifaschistischen Einheit.

Dabei fehlt es nicht an warnenden Stimmen. Manifesto schrieb, dass mit Meloni der "historische Faschismus" zurückkehrt, zu dem sie sich bekennt. Selbst die lodernde Flamme, die die Seele Mussolinis verkörpert, will sie nicht aus ihrem Parteisymbol entfernen. Die "Abbilder dieser Geister der Vergangenheit" seien in den heutigen faschistischen Hauptquartieren zu sehen, Plätze und Straßen führten ihre Namen. Diese "schwere Hinterlassenschaften ihrer Vergangenheit prägen ihre Gegenwart", so das linke Blatt.

Zwar erkennt PD-Sekretär Letta inzwischen an, dass es bei der Wahl um die "Wahrung der Verfassung oder um ihren Sturz" geht und hat sich dazu durchgerungen, die Sinistra Italia (Italienische Linke - SI) des Ex-Kommunisten Nicola Fratoianni und die Verdi (Grünen) in sein Wahlbündnis aufzunehmen. Aber der Leiter der Zentrums-Azione Carlo Calenda verließ daraufhin die Koalition und bildete mit Lebendiges Italien (IV) von Ex-PD Matteo Renzi einen betont antikommunistischen "Dritten Pol", der "für Draghi als Premier" ist und versucht, FI-Abtrünnige wie Mara Carfagna und Mariastella Gelmini zu gewinnen.

Da nach einer Parlamentsreform für die Abgeordnetenkammer und den Senat nur noch 600 Sitze, 345 weniger als beim letzten Urnengang, zur Verfügung stehen, hat es einen scharfen Konkurrenzkampf unter den Kandidaten gegeben. Mehrere Schwergewichte wurden gestrichen. Letta, der als Spitzenkandidat antritt, hat neben dem parteilosen Wirtschafts- und Bankwissenschaftler Carlo Cottarelli mit Erfahrungen aus der Tätigkeit im IWF und der Banca Italia u. a. den während der Corona-Pandemie zum Starvirologen aufgerückten renommierten Mikrobiologen Professor Andrea Crisanti als Zugpferd gewonnen.

Fünf-Sterne-Sekretär Giuseppe Conte, der sich vergeblich bemühte, das Wahlbündnis mit dem PD fortzusetzen, hat neben der eigenen Bewerbung die ehemalige Turiner Bürgermeisterin Chiara Appendino sowie die Anti-Mafia-Staatsanwälte Federico Cafiero de Raho und Roberto Scarpinato und den ehemaligen Umweltminister Sergio Costa aufgestellt. Für die von Potere al Popolo (Die Macht dem Volke) mit Kommunisten gebildeten Unione Popolare (Volksunion) tritt u. a. der frühere Bürgermeister von Neapel, Luigi de Magistris, an. Das bunte Bild der Bewerber wird abgerundet durch die 95jährige Filmdiva Gina Lollobrigida, die in den Reihen einer Anti-Establishment-Partei Italia Sovrana e Popolare für einen Sitz im Senat kandidiert.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 26. August 2022

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