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ITALIEN/438: Mord am Arbeitsplatz - seit Jahresbeginn 2023 mehr als 100 Todesfälle (Gerhard Feldbauer)


Mord am Arbeitsplatz

Seit Jahresbeginn 2023 mehr als 100 Todesfälle

von Gerhard Feldbauer, 9. Februar 2023


In einem schockierenden Bericht enthüllt das Netzwerk "Rete Iside Onus" der Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB) am Mittwoch, dass es seit Jahresbeginn 2023 bis zum 8. Februar nach nur 36 Tagen (davon mehrere Feiertage) 102 Tote bei Arbeitsunfällen gab. 77 am Arbeitsplatz und 25 auf dem Weg zur Arbeit. Der letzte Tote war in der Nacht ein junger 33-jähriger Arbeiter, der bei einer Explosion auf der Baustelle am Third Pass in Voltaggio in der Provinz Alessandria ums Leben kam. Als Ursachen nennt der Bericht, dass die "Unternehmen und Arbeitgeber in unserem Land die Kosten für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz reduzieren, um den Gewinn zu steigern". Um das Massaker am Arbeitsplatz zu stoppen, fordert die USB, "das Verbrechen der Tötungsdelikte und der schweren Verletzungen am Arbeitsplatz in das Strafgesetzbuch aufzunehmen". Nur so könne das Phänomen wirklich gestoppt werden. Denn bei "Mord am Arbeitsplatz wäre es beispielsweise nicht mehr zulässig, an einer Maschine herumzuhantieren, um die Produktivität zu steigern".

Das 2008 gegründete Netzwerk "Iside Onus" ist in Zusammenarbeit mit der USB seit Jahren zur Verteidigung und Förderung der Rechte der arbeitenden Menschen, darunter Migranten, und zur Unterstützung derjenigen, die in prekären und schwierigen Situationen leben müssen, sowie zur Sicherheit am Arbeitsplatz, aktiv. In einem im September 2022 vorgelegten Bericht hatte es klargestellt, dass es sich um keine tragischen, auf Unvorsichtigkeit beruhenden Unfälle handelt, sondern dass die Toten am Arbeitsplatz "ein Ergebnis des herrschenden "kapitalistischen Systems sind, das vollständig auf Profit und Ausbeutung ausgerichtet ist", in dem Schutz und Sicherheit am Arbeitsplatz ein "unnötiger Kostenfaktor" sind, der den Gewinn schmälert.

Dieses System erfasse bereits Unfälle von Schülern in Berufspraktika, wie am 17. September 2022 den Tod des achtzehnjährigen Schülers Giuliano De Seta am Technikum ITIS Leonardo da Vinci in Portogruaro in Venetien, der durch eine herabfallende, zwei Tonnen schwere Platte erschlagen wurde. Immer wiederkehrende Todesursachen am Arbeitsplatz sind laut "Iside Onus" Quetschungen, insbesondere durch das Umkippen von landwirtschaftlichen Fahrzeugen und das Herunterfallen von schwerem Material in Fabriken und Lagern. Als weitere Ursachen werden genannt, dass Arbeiter aus gefährlicher Höhe abstürzen, in Maschinen geraten, weil diese nur über unzureichende Sicherheitsvorrichtungen verfügen und dass in der Hitze der Sommermonate ohne die vorgeschriebenen Pausen gearbeitet wird.

Ein weiteres Problem ist, dass pro Jahr etwa 650.000 Arbeitsunfälle registriert werden, aber die Dunkelziffer höher liegt, da ein großer Teil der Verunglückten illegale Einwanderer und prekär Beschäftigte, meistens auf dem Bau, sind. Große Konzerne verlagern außerdem Fertigungen mit hohem Unfallrisiko in kleine Subunternehmen, wo es keine Sicherheitskontrollen am Arbeitsplatz gibt. Die 2020 einsetzende Corona-Krise wirkte sich nach offiziellen Berichten stark auf die Arbeitsbedingungen aus. Wie das Fatto Quotidiano berichtete, nahm 2020 mit offiziell 1.538 die Zahl tödlich am Arbeitsplatz verunglückter Arbeiter*innen im Vergleich zum Vorjahr um 29% zu. Als ein weiteres erschreckendes Resultat kommt die fehlende Kontrolle hinzu. 2020 wurden 7.486 Unternehmen kontrolliert. In 86% der kontrollierten Fälle deckten die Arbeitsinspektor*innen Missbräuche bezüglich des Arbeitsschutzes oder der Arbeitsverträge (sogenannte "Schwarzarbeit") auf. Diese Irregularität wird als ein weiterer Grund für die hohe Zahl von Toten am Arbeitsplatz gesehen. Das nationale Arbeitsinspektorat - ein Instrument, um die Irregularität aufzudecken und zu bekämpfen - wird dennoch seit Jahren abgebaut: Im Jahr 2020 zählte es 246 Inspektor*innen auf dem ganzen italienischen Territorium, im Jahr zuvor waren es noch 21 mehr gewesen.

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 10. Februar 2023

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