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ITALIEN/446: Geschichtsrevisionismus angeprangert - Meloni macht Täter wie Opfer für Geiselmord verantwortlich (Gerhard Feldbauer)


Antifaschisten prangern Melonis Geschichtsrevisionismus an, die für Geiselmord Täter und Opfer verantwortlich macht

von Gerhard Feldbauer, 3. April 2023


Die faschistische Regierungschefin Meloni hat den Geiselmord an 335 Antifaschisten, Regimegegnern und Juden vor 79 Jahren in Rom zum Anlass eines üblen Geschichtsrevisionismus genommen, der vom Partisanenverband ANPI über den sozialdemokratischen Partito Demokratico (PD), die Fünf-Sterne-Bewegung M5S und das Bündnis Linke und Verdi (Grüne) bis zu den Kommunisten mit Maurizio Acerbo vom PRC und linken Zeitungen wie dem Manifesto und dem Onlineportal von Contropiano entschieden verurteilt wird.

Lassen wir zu dieser üblen Heuchelei, mit der Meloni wieder einmal von ihren Bekenntnissen zum Erbe des Mussolini-Faschismus und seiner Verbrechen ablenken will, die Fakten sprechen.

Als Rache für den Überfall auf eine Kompanie des SS-Regiments Bozen (Südtirol) zwei Tage vorher in der Via Rasella in Rom, bei dem 33 Soldaten der Wehrmacht ums Leben kamen, wurden 335 Geiseln barbarisch ermordet.

Entgegen nach 1945 von rechten und faschistischen Kreisen, auch jetzt wieder vom Senatspräsidenten Ignazio La Russa von den Brüdern Italiens (FdI) Melonis, vorgebrachten Diffamierungen, der Anschlag in der Via Rasella sei eine illegitime Operation gewesen, handelte es sich, wie das Appellationsgericht der Hauptstadt 1954 nachwies, um eine in "voller Rechtmäßigkeit" durchgeführte "Aktion des Krieges".

Ausgangspunkt war, dass Anfang 1944 Rom nach einer Vereinbarung mit der deutschen Besatzungsmacht zur "offenen Stadt" erklärt worden war. Die Wehrmacht hielt sich nicht an die Verpflichtung, ihre Truppen abzuziehen und die Alliierten flogen daraufhin am 19. März 1944 einen schweren Luftangriff auf Rom.

Die Geiselerschießungen übernahm der Polizeichef von Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler. Er war, wie der italienische Historiker Guido Gerosa in seinem Buch "Il Caso Kappler" (Mailand 1977) nachwies, "der große nazistische Kontrolleur des Terrors, der oberste Leiter der Vernichtung des jüdischen Ghettos", ein "besonders fanatischer Nazi, der skrupellos wie ein wildes Tier mordete". Kappler legte fest, für jeden toten SS-Mann zehn Italiener zu erschießen. Die Opfer wurden in die Fosse Ardeatine (Sandsteinhöhlen) an der Via Appia Antica bei Rom hinuntergetrieben, wo sie in Gruppen zu fünf Mann niederknien mussten und durch Genickschüsse ermordet wurden. Am Ende waren zwei Personen zu viel zusammengetrieben worden. Um keine Mitwisser am Leben zu lassen, wurden sie auch noch umgebracht.

Opfer dieses "bestialischen Verbrechens" wurden "Menschen der verschiedenen Richtungen, Klassen und Altersstufen, die noch in ihrem Tode Zeugnis von der Einheit der Italiener im Befreiungskampf ablegten: Es fielen der kommunistische Professor Gioacchino Gesmundo und der Oberst Montezemolo, Organisator des Widerstandes in Militärkreisen, Professor Pilo Albertelli von der radikaldemokratischen Aktionspartei und General Simoni, Held des Ersten Weltkrieges, General Fenulli, stellvertretender Kommandeur der Division "Ariete", die im Herbst 1943 der Okkupation der Hitlerwehrmacht entgegengetreten war, der Arbeiter Valerio Fiorentini, der den Widerstand in den Städten organisiert hatte. 134 der Geiseln waren Arbeiter, Angestellte oder Beamte, 38 Offiziere, darunter fünf Generäle, zwölf Bauern, neun Studenten, fünf Industrielle und ein Priester. Der jüngste Tote war 15 Jahre, der älteste 74.

Kappler wurde von einem italienischen Gericht nach 1945 zu lebenlanger Haft verurteilt, aus der ihm 1977 mit Hilfe von Komplizen die Flucht in die BRD gelang.

Während Meloni den Gedenkfeiern mit Staatspräsident Mattarella an der Spitze am Denkmal an der Hinrichtungsstätte in den Fosse Ardeatine fernblieb, erklärte sie in einer Notiz, die "335 Italiener wurden von den Nazi-Besatzungstruppen als Vergeltung für den Partisanenangriff in der Via Rasella barbarisch abgeschlachtet".

Dass die Täter auch Mussolini-Faschisten waren und die Opfer Antifaschisten, fehlte in der Notiz Melonis, so Manifesto. ANPI enthüllte, dass die Liste der Geiseln vom Polizeipräsidenten des Marionettenregimes Mussolinis in der Salo-Republik miterstellt wurde. Die Sekretärin des Präsidiums der Abgeordnetenkammer Chiara Braga vom PD belehrte Meloni, die Geiseln wurden zur Vergeltung umgebracht, weil sie Partisanen, Politiker, Juden, Dissidenten waren. Roberto Fico von M5S stellte klar, es werde nicht zugelassen, dass die Geschichte "umgeschrieben wird".

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 6. April 2023

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