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ITALIEN/448: Streit um Besetzung von Schlüsselpositionen in der Wirtschaft (Gerhard Feldbauer)


Wirtschaft Italiens

Streit um Besetzung der Schlüsselpositionen
Meloni musste nachgeben

von Gerhard Feldbauer, 17. April 2023


Kaum hatte Ministerpräsidentin Meloni den Streit in ihrer faschistischen Koalition über die Umsetzung des Nationalen Recoveryplans (PNRR) der EU beigelegt, bekam sie neuen Ärger bei ihren Vorschlägen zur Besetzung der Schlüsselpositionen der Wirtschaft. Es ging um den Rüstungskonzern für Luft- und Raumfahrt Leonardo, um die Energieriesen Eni und Enel sowie der Post, in denen sie ohne Absprache ihre Vorschläge durchsetzen wollte.

"Meloni und ihre internen Kontrahenten, nicht nur der Lega und der Forza Italia (FI), sondern auch ihr treuer Verteidigungsminister Guido Crosetto (aus ihrer FdI und früherer Leonardo-Chef), haben sich vor allem beim Thema Top-Management von Enel und Leonardo, den beiden strategisch wichtigsten Unternehmen, gegenseitig (verbal natürlich) verprügelt", so das linke Manifesto. Die Premierministerin wollte zwei eigene Kanditaten durchsetzen, Stefano Donnarumma, Präsident von GO15, (dem Verband, der die wichtigsten Betreiber von Stromübertragungsinfrastrukturen aus der ganzen Welt zusammenführt), als CEO für den Energieriesen Enel und den ehemaligen Minister der Draghi-Regierung, Roberto Cingolani, für Leonardo. Salvini und Gianni Letta von der Forza Italia (FI), der im Namen von Berlusconi verhandelte, versuchten auf jede erdenkliche Weise, der Ministerpräsidentin "einen Strich durch die Rechnung zu machen". Aus der Lega-Zentrale hieß es, mit Cingolani trage Meloni "eine Schuld bei Draghi ab" (der ihr ans Ruder der Regierung verhalf), der aber als "Wissenschaftler" nicht geeignet sei, "einen Waffengiganten zu leiten".

Wie ANSA am Mittwoch berichtete, hat Meloni sich mit der Ernennung Stefano Cingolanis zum CEO von Leonardo durchgesetzt, was die staatliche Nachrichtenagentur "ein sehr gutes Ergebnis staatlicher Teamarbeit" bezeichnete. Ein "sehr gutes Ergebnis" dürfte es vor allem für Brüssel sein, da die EU mit Cingolani, einem Mann des früheren EZB-Chefs Draghi, in Fragen des Rüstungsgiganten Leonardo die Hand mit am Drücker behält.

Mit der Ernennung Stefano Pontecorvos, ehemaliger Botschafter in Pakistan und dann hoher ziviler Vertreter der NATO in Afghanistan, zum Präsidenten des Militär- und Raumfahrtkolosses Leonardo konnte Meloni dann noch einen Punkt für sich verbuchen. Die übrigen Leitungsposten der Spitzenunternehmen sind - Enel mit Flavio Cattaneo als Geschäftsführer und Paolo Scaroni als Präsident - mit parteilosen Managern besetzt, die alle ihre Karriere unter den Regierungen Berlusconis begonnen haben. Zu Scaroni waren die Verhandlungen besonders zäh, weil Meloni ihn vor allem wegen seiner prorussischen Sympathien verhindern wollte. Mit ihm und Cattaneo besetzen Lega und FI die Posten bei Enel. Claudio Descalzi bleibt CEO von Eni, während Giuseppe Zafarana die Präsidentschaft übernimmt. Der General und frühere Chef der Finanzpolizei gilt ebenfalls "als ein Mann, den Salvini mag".

Mit ihrer Erklärung, die Neubesetzung der Spitzenposten sei das Ergebnis eines "sorgfältigen Prozesses der Bewertung" und habe nichts mit politischen Zugehörigkeiten zu tun, versuchte Meloni, die tiefer werdenden Meinungsverschiedenheiten in ihrer Regierung zu vertuschen.

Die waren vorher bei der Umsetzung des Nationalen Recoveryplans (PNRR) der EU deutlich geworden. Laut ANSA äußerte selbst der zuständige Minister für europäische Angelegenheiten ihrer FdI, Raffaele Fitto, die fristgerechte Realisierung vieler Projekte des PNRR sei "illusorisch". Der Fraktionsvorsitzende der Lega in der Abgeordnetenkammer, Molinari, ging noch weiter. Er schlug sogar vor, auf einen Teil der Gelder, die von der EU-Kommission als Anleihe bereitgestellt werden, zu verzichten: "Was hat es denn für einen Sinn, sich gegenüber der EU zu verschulden für Projekte, die sowieso nichts bringen?", so seine vernichtende Bewertung.

Das Risiko, dass große Teile der PNRR-Vorhaben nicht zustande kommen könnten, wenn die EU-Kommission die Zahlungen aussetzt oder gar einstellt, hat inzwischen bewirkt, dass der Senat am Donnerstag die umstrittene Umsetzung des PNRR-Planes der EU mit 83 Ja-Stimmen, bei 57 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen angenommen hat, berichtete ANSA. Der Plan sieht einen Anstieg des BIP bis 2026 von 3,4 % vor. Wirtschaftsminister Giorgetto von der Lega stimmte unter der Bedingung zu, die außergewöhnlichen Maßnahmen zu überprüfen.

Das Dekret muss bis zum 25. April (Termin aus Brüssel) noch von der Kammer beschlossen werden. Es enthält laut Manifesto "einige Korrekturen" und ist entgegen den Vorhersagen der Regierung "manchmal von erschütternden Widersprüchen" gekennzeichnet. Vor allem bleibe die Ungewissheit bezüglich der "vollständigen und zeitgerechten Umsetzung der PNRR-Projekte" bestehen. Kurz gesagt, es besteht die Gefahr, dass es keine trockene Abfahrt, sondern eine Achterbahnfahrt wird, und es würde ausreichen, die meisten Prognosen als falsch auszumachen.

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 18. April 2023

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