Silvio Berlusconi ist tot
Der erste nach 1945 regierende Faschist ist mit 86 Jahren
verstorben
Giorgia Meloni will "die Ziele, die wir uns gemeinsam gesetzt haben,
erreichen"
von Gerhard Feldbauer, 12. Juni 2023
Silvio Berlusconi, der erste nach 1945 regierende Faschist, ist am Montag mit 86 Jahren verstorben, meldete die staatliche Nachrichtenagentur ANSA. Bekannt war er vor allem als "Mann der P2", der von der CIA gebildeten Putschloge, in deren Dreierdirektorium er saß und die ihn im April 1994 das erste Mal an die Macht hievte. Nach seinem ersten Sturz im Dezember desselben Jahres war er mit Unterbrechungen von 2001 bis 2011 noch dreimal Ministerpräsident.
Nach dem Zusammenbruch der alten Regierungsparteien 1991/92 befürchtete man im rechten Lager den Übergang eines Großteils ihrer Wähler zu der aus der IKP hervorgegangenen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Es hätte sich allenfalls um die Neuauflage einer herkömmlichen linken Mitte, wenn auch unter Führung der neuen Sozialdemokratie, handeln können, denn von dieser selbst war ein absoluter Wahlsieg nicht zu erwarten. Aber die Kräfte auf dem extremrechten Flügel waren nicht bereit, den Linksdemokraten das Feld zu überlassen.
Als Besitzer eines riesigen Fernsehimperiums bereits ein politischer Unternehmer, verkündete der Medientycoon Berlusconi im November 1993, in die Politik einzusteigen und meldete seine Kandidatur auf den Chefsessel im Palazzo an, um "einen Wahlsieg der Linken" zu verhindern. Danach gab er am 6. Februar 1994 über seinen Sender Retequattro landesweit die Gründung einer eigenen Partei, Forza Italia, bekannt. Als Namen wählte Berlusconi den Schlachtruf seines Fußballclubs AC Mailand, der aber allgemein das Kampfgeschrei aller italienischen Fußballfans bei internationalen Spielen ist: Forza Italia (Vorwärts Italien, Starkes Italien). Die Wahl dieses Namens löste bei den Millionen zählenden Anhängern des Berlusconi-eigenen Clubs, aber nicht nur bei diesen, wahre Begeisterungsstürme aus. Bereits die Bekanntgabe dieses Parteinamens war ein propagandistischer Auftakt, der in der Geschichte der Wahlkämpfe nicht nur Italiens seinesgleichen suchte. Vier Tage später folgte die Mitteilung über die Bildung des Wahlbündnisses Polo delle Libertá der Forza Italia mit der in Alleanza Nazionale (AN) umgewandelten Mussolini-Nachfolgepartei Movimento Sociale Italiano (MSI) und der rassistischen Lega Nord. Die Forza-Partei entstand faktisch innerhalb der Fininvest-Holding Berlusconis. Die gesamte Führungsstruktur der Forza-Partei setzte sich aus leitenden Managern der Fininvest zusammen, die formell aus der Holding ausschieden. Als eine Art Sekretariat oder politisches Büro fungierte das zur Fininvest gehörende Meinungsforschungsinstitut Diakron Spa, das gleichzeitig als Personalbüro diente, das die in Forza-Funktionäre verwandelten Manager einstellte und auch bezahlte.
Nachdem Berlusconi im Mai 1994 seine erste Regierung gebildet hatte, bekannte sich sein Verbündeter, AN-Führer Gianfranco Fini, zum Erbe Mussolinis und feierte den "Duce" als den "größten Staatsmann des Jahrhunderts". Altfaschist Pino Rauti, die Nummer zwei der MSI-AN-Bewegung, der in den Senat gewählt worden war, sekundierte: "Wir sollten uns daran erinnern, dass hinter uns der Marsch auf Rom liegt, der Korporativismus, der Zweite Weltkrieg gegen die Plutokratien, die Repubblica Sociale". Rauti nannte das "bleibende Werte, (...) ein kulturelles und programmatisches Vorratslager, aus dem wir schöpfen". Das linke Manifesto bezeichnete in seiner Ausgabe vom 15. Mai 1994 das Kabinett als "Governo nero" (schwarze Regierung). "Faschisten und Monarchisten, Lega-Leute und christdemokraticher Schrott, Industrielle, Anwälte und Manager der Fininvest: Das sind die Minister der Regierung Berlusconis. Eine kompakte Regierung der extremen Rechten."
Mit Berlusconi wurde ein Mann Regierungschef, der nicht nur vorbestraft war, sondern gegen den von 13 bis 1994 durchgeführten oder eröffneten Strafverfahren fünf noch im Gange waren. In einem Fall ging es 1998 darum, dass er seinem Busenfreund, dem Sozialistenchef Bettino Craxi, der mit ihm im Dreierdirektorium der P2 saß, immense Geldsummen zugeschoben hatte. Er war in erster Instanz zu 28 Monaten Gefängnis verurteilt worden. Ein Jahr vorher waren wegen Bilanzfälschungen 16 Monate gegen ihn verhängt worden. Als erstes leitete Berlusconi juristische Schritte ein, um zu verhindern, dass die gegen ihn noch laufenden Verfahren bzw. Urteile der ersten Instanz wegen Steuerhinterziehung, Bilanzfälschungen, Bestechung, Führung von Tarnfirmen und illegalen Geldtransfers eingestellt oder kassiert wurden.
Nachdem Berlusconi im Mai 2001 zum zweiten Mal an die Regierung kam, zeigte er bei der blutigen Niederschlagung der Proteste gegen den G8-Gipfel im Juli 2001 in Genua das wahre Gesicht einer faschistischen Diktatur. Während des Gipfels wurden über 600 Personen festgenommen und Gefangenensammelstellen zugeführt. Mehr als 300 Demonstranten wurden zum Teil schwer verletzt. 54 von ihnen laut Pressestimmen und Zeugenaussagen unter Hitler- und Mussolinibildern gefoltert und mussten "Viva il Duce" rufen. Die blutigen Ereignisse wurden nach dem Vorgehen der Pinochet-Diktatur in Chile als "chilenische Nacht" charakterisiert.
Literaturnobelpreisträger Dario Fo warnte danach im Januar 2002 vor dem College international de philosophie in Paris vor einer "Etablierung des Faschismus". Umberto Ecco sah im Regierungskurs Berlusconis ein Erbe des "übelsten Faschismus" des Landes. Er und international bekannte Schriftsteller wie Antonio Tabucchi und Andrea Camilleri protestierten öffentlich gegen den regierenden Medientycoon. Tabucchi verglich in seiner Erzählung "Im Reich des Heliogabal - Ein Aufruf gegen die Diktatur des Wortes" Berlusconi mit eben jenem Soldatenkaiser und charakterisierte seine Mediendiktatur als "eine orientalische Form der Despotie nach jener Art, die Heliogabal über Rom errichtet hatte". Die Liste von Schriftstellern, die sich in ihren Veröffentlichungen gegen den Despoten wandten, war lang, sehr lang. Neben den eben erwähnten fanden sich darauf Luigi Malerba, Angelo Bolaffi, Silvia Ballestra, Nanni Moretti, Stefano Benni. Rund 200 bekannte Intellektuelle unterschrieben einen von Gian Mario Anselmi und Alberto Asor Rosa initiierten Appell, in dem sie aufriefen, die grundlegenden Freiheiten der Demokratie und des zivilen Lebens zu verteidigen. Sie alle stempelte Berlusconi zu übelsten Kommunisten oder zu ihren Komplizen ab.
Im Mai 2008 gewann Berlusconi das letzte Mal die Parlamentswahlen und bildete mit der AN und der Lega nochmals die Regierung. In diese Regierung trat Giorgia Meloni aus der AN als Ministerin für Jugend und Sport ein. Im Wahlkampf hatte Berlusconis Verbündeter, der damalige Lega-Chef Umberto Bossi, gefordert, illegale Einwanderer in Lager zu sperren und geäußert, es sei leider "leichter Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten". In dieser Zeit begannen jedoch führende Kapitalkreise laut der Financial Times Deutschland vom 6.4.2010, Berlusconi fallen zu lassen, weil er, wie auch der Mailänder Espresso meinte, die "persönlichen Interessen über die des Staates" stellte, eine "ineffiziente und unverantwortliche Regierungsführung" praktizierte und laut dem FIAT-Präsidenten und Agnelli-Erben Luca Cordero di Montezemolo Schuld am Bankrott des Landes und "der beispiellosen Staatskrise" war. Dann stimmten bei einem Referendum mehr als 90 % für die Aufhebung der "Lex Berlusconi", die ihn als Ministerpräsidenten vor strafrechtlichen Ermittlungen und gerichtlichen Anklagen schützte. Hinzu kam das Bekanntwerden seiner Bunga-Bunga-Partys, auf denen er mit minderjährigen Prostituierten Sexorgien feierte. Im September ertönten in einem Generalstreik und danach auf anhaltenden Massendemonstrationen nicht mehr zu überhörende Rufe nach dem Rücktritt des korrupten Regierungschefs. In Meinungsumfragen sank die Zustimmung für den Medientycoon, der immer geprahlt hatte, vom Volk gewählt und geliebt zu sein, auf 22 %. Schließlich trat Berlusconi am 12. November 2011 zurück.
Verfall drohte auch der verbündeten AN, als deren Retter Giorgia Meloni auftrat, die mit einer Mehrheit der Mitglieder 2012 die Partei der Brüder Italiens (FdI) bildete, deren Führerin sie 2014 wurde. Im Wahlkampf 2022, den sie an der Spitze einer Allianz mit der Forza Berlusconis und der Lega im Oktober gewann, hatte sie angekündigt, die unter Berlusconi seit 1994 verfolgten "Ziele von Mitte-Rechts" (wie die Allianz zur Verdeckung ihres faschistischen Charakters sich nennt), zu "wiederholen".
Obwohl Berlusconi als "Putinversteher" im Konflikt mit der Ukraine im Interesse hinter ihm stehender Kapitalkreise die Sanktionspolitik gegen Rußland ablehnte, nannte Meloni ihn nach seinem Tod einen der "einflussreichsten Männer in der Geschichte Italiens" und versicherte, wir werden "die Ziele, die wir uns gemeinsam gesetzt haben, erreichen".
Vom Autor erschien im PapyRossa Verlag gerade das Buch "Giorgia
Meloni und der italienische Faschismus".
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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 13. Juni 2023
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