Regierung Meloni weigert sich, Kriegsverbrechen der Hitlerwehrmacht und Mussolini-Faschisten in Sant'Anna di Stazzema zu verurteilen und an Gedenken teilzunehmen
560 Zivilisten auf bestialische Weise ermordet
von Gerhard Feldbauer, 14. August 2023
Während das antifaschistische Italien am vergangenen Wochenende der Opfer des unter dem Besatzungsregime Hitlerdeutschlands und der Mussolini-Faschisten am 12. August 1944 in Sant'Anna di Stazzema in der Toskana begangenen Massakers gedachte, weigerte sich die Meloni-Regierung wie zu früheren Anlässen, die Verbrechen zu verurteilen und der 560 Opfer zu gedenken. Sie wurden in der Ortschaft von der Aufklärungsabteilung der 16. Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" unter dem Kommando von Obersturmbannführer Walter Reder und Mussolini-Faschisten auf bestialische Weise ermordet. Die neuerliche Haltung der faschistischen Regierung unter Meloni, von der die Äußerung bekannt ist, sie habe "ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus", hat in der Öffentlichkeit Italiens eine Welle der Empörung ausgelöst.
"Die italienische Regierung hat die Feierlichkeiten zum 79. Jahrestag des Massakers in Sant'Anna di Stazzema ignoriert. Kein einziges Wort wurde von Giorgia Meloni geäußert. Bei der Zeremonie, die wie jedes Jahr an das Massaker an 560 Zivilisten, darunter 130 Kinder, erinnert, war kein Minister oder Staatssekretär anwesend", schreibt die linke Zeitung Manifesto, die daran erinnert, dass dagegen von Senatspräsident La Russa, einem offenen Bekenner zum Erbe Mussolinis von der Partei der Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni, bekannt ist, dass er "die Büste des 'Duce' zu Hause in seiner Wohnung stehen hat". Der Präsident der Region Emilia-Romagna, Stefano Bonaccini, Vorsitzender des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), sagte, dieser Senatspräsident macht kein Geheimnis daraus, "dass er sich rühmt, zu Hause stolz faschistische Erinnerungsstücke zur Schau zu stellen". Der Bürgermeister von Stazzema Maurizio Verona (PD) und Umberto Mancini, Präsident der Associazione Martiri di Sant'Anna, prangerten diese Haltung scharf an.
Staatspräsident Mattarella mahnte, es sei "Pflicht, sich an das zu erinnern, was passiert ist", dass "die Nazi-Soldaten der SS mit Unterstützung lokaler italienischer Faschisten eines der abscheulichsten Massaker verübten, ein Massaker an Unschuldigen". Frauen, alte Menschen, Kinder - weit über fünfhundert - wurden gnadenlos getötet. Viele Leichen wurden verbrannt und unkenntlich gemacht. Mattarella betonte unter Bezug auf diese Haltung, dass die Werte, die diese Menschen hinterlassen haben, gefährdet seien.
Enio Mancini, der als sechsjähriges Kind das Morden überlebte, hat diese Verbrechen in einem Buch ("Das Massaker von Sant'Anna di Stazzema", Laika-Verlag, Hamburg 2014) niedergeschrieben: "Schwangeren Frauen wurde der Leib aufgeschlitzt, Kleinkinder in die Luft geworfen und auf sie wie auf Tontauben geschossen, andere mit Bajonetten durchbohrt." Von den Opfern waren 120 Kinder unter sechszehn Jahren und acht schwangere Frauen. Das jüngste Opfer zählte drei Monate, das älteste 86 Jahre. Die SS-Leute durchkämmten die Gehöfte und brannten die Gebäude nieder. 150 Einwohner wurden auf dem Kirchplatz zusammengetrieben und mit zwei Maschinengewehren und Handgranaten regelrecht hingeschlachtet. Die Mörder schichteten die Leichen übereinander, übergossen sie mit Benzin, zündeten sie an und verstümmelten sie bis zur Unkenntlichkeit. Nur 350 Opfer konnten später identifiziert werden. Während des Überfalls befand sich kein einziger Widerstandskämpfer in dem Ort.
Die Mörder von Sant'Anna wurden, wie in den meisten Fällen, in der Bundesrepublik nie zur Verantwortung gezogen. Obersturmbannführer Reder konnte in Italien gefasst werden und erhielt 1951 eine lebenslängliche Haftstrafe für die unter seinem Kommando in Marzabotto ermordeten über 1800 Einwohner. Für das Verbrechen in Sant'Anna wurde er mangels Beweisen freigesprochen. 1985 wurde er begnadigt. Als schließlich 2005 in Italien zehn der Verbrecher von Sant'Anna zu lebenslanger Haft verurteilt wurden, verweigerte die Bundesrepublik die Auslieferung der Verurteilten. 2012 stellte die Staatsanwaltshaft in Stuttgart die Ermittlungen gegen acht noch lebende SS-Angehörige ein. "Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wird keine Anklage wegen des Massakers vor 68 Jahren im italienischen Sant'Anna di Stazzema erheben." Die Ermittlungen hätten "keinen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklage ergeben", teilte die Staatsanwaltschaft mit.
Als im März 2013 Bundespräsident Joachim Gauck Sant'Anna besuchte, heuchelte er "Versöhnung", behauptete gleichzeitig, "im Fall des Massakers von Sant'Anna reichten die Instrumente des Rechtsstaates nicht aus, um Gerechtigkeit zu schaffen." Weder entschuldigte er sich, noch verurteilte er das Blutbad.
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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 15. August 2023
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