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ITALIEN/465: Nach jahrzehntelangem Pflegenotstand steht das Gesundheitswesen Italiens vor dem Kollaps (Gerhard Feldbauer)


Italiens Gesundheitswesen steht vor dem Kollaps

Sozialdemokraten wollen Meloni einen "heißen Herbst" bereiten

von Gerhard Feldbauer, 25. August 2023


Während im Gesundheitswesen die Notaufnahmen kollabieren und Ärzte gezwungen sind, sogar erst nach 24 Stunden zu wechseln, weil 30.000 Ärzte und 300.000 Pflegekräfte fehlen, sieht die Meloni-Regierung im Haushaltsgesetz keinen Euro für das Gesundheitswesen vor, schreibt das linke Manifesto zur Haushaltsdebatte. Melonis Vize-Premier, Außenminister Tajani, wälzt die Schuld auf den EU-Beauftragten des PD Gentiloni ab und fordert, "tragen Sie Ihren Teil zum Schutz Italiens bei". Gleichzeitig fordert er Korrekturmaßnahmen am Stabilitätspakt (PNRR), der ein "Wachstumspakt" sein müsse, damit Länder wie Italien nicht durch unerwünschte Ausgaben der Regierung oder des Staates belastet werden.

Für die Lieferung von Waffen zum Krieg in der Ukraine gibt Italien unter der Regierung der faschistischen Ministerpräsidentin Meloni Milliarden Euro aus. Allein im Dezember, enthüllte linke Manifesto, wurden Samp/T-Raketenbatterien, wieviel ist nicht bekannt, von denen eine Batterie samt 32 Aster-Raketen rund 800 Millionen Euro kostet, geliefert. Dem öffentlichen Gesundheitswesen fehlen dagegen zur Sicherung eines Minimums an Betreuung mindestens 50 Milliarden Euro, stellte ein Bericht des Forschungszentrums für angewandte Wirtschaftsforschung im Gesundheitswesen (CREA Sanità), an dem über 30 Forscher und Experten mitarbeiteten, fest. Das Fehlen von 30.000 Ärzte und 300.000 Krankenpflegern charakterisiere einen seit Jahrzehnten anhaltenden Pflegenotstand, gegen den nichts unternommen wurde.

Von 2000 bis 2021 wurden in Italien durchschnittlich 2,8 % pro Jahr für das Gesundheitswesen ausgegeben, 50 % weniger als in den anderen EU-Referenzländern. 2021 lag die öffentliche Finanzierung bei 75,6 % der Ausgaben, während sie in der EU bei einem Durchschnitt von 82,9 % lag. Das führt laut der Crea Sanità zur Zunahme der wirtschaftlichen Notlage durch Gesundheitskosten, von der 5,2 % der Familien betroffen sind. Darüber hinaus verarmen 378.627 Haushalte (1,5 %) aufgrund der Ausgaben für Gesundheit. "Um uns zu erholen", so der Bericht, sei eine Aufstockung der Mittel um 10 Milliarden pro Jahr für 5 Jahre nötig, um das gleiche Wachstum wie in anderen EU-Ländern zu gewährleisten.

Ein Arzt schildert im Manifesto, wie er in einer Notaufnahme in einem der Krankenhäuser der ASL Napoli due Nord arbeitet. Das Unternehmen deckt 32 Gemeinden ab, darunter Zentren wie Afragola, Casoria, Pozzuoli und Giugliano. Er müsse "ohne Personal 24 Stunden am Stück" arbeiten. "Wir haben täglich etwa 140 Aufnahmen zwischen den Codes Grün, Gelb und Rot, die von drei Ärzten pro Schicht betreut werden müssen." "Ich habe bereits 80 unbezahlte Überstunden geleistet. Ich bin Internist, wurde aber aufgrund des akuten und chronischen Personalmangels zusammen mit fast allen anderen Kollegen meiner Abteilung in die Notaufnahme 'abgeschoben'. Wir wurden als Ärzte für Innere Medizin eingestellt, leben aber grundsätzlich in der Notaufnahme."

Die Opposition kündigt an dieser Front den Kampf an. Die Sekretärin des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Elly Schlein, hat am Wochenende auf dem traditionellen Pressefest der Unita ihrer Partei in Bologna die sozialfeindliche Politik der Meloni-Regierung scharf attackiert, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur ANSA. Die Äußerung von Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida, des Schwagers der Premierministerin und Großneffe von Filmstar Gina Lollobrigida, der sagte, dass arme Italiener besser essen als Reiche, zeige, die Regierung lebt auf einem anderen Planeten. "Wir haben es vor allem mit den Italienern zu tun, denen es schwerfällt, ihre Einkäufe zu erledigen, und das sind viele." Schlein kündigt einen "Herbst des Kampfes" an, Eine große Menschenmenge begrüßte sie mit tosendem Applaus im Debattensaal, der dem chilenischen Präsidenten Salvador Allende gewidmet ist. Sie wirken gestärkt nach einem "kämpferischen Sommer", schreibt Manifesto. Und statt den Mindestlohn "legen wir die Agenda fest", sagt der Bürgermeister von Bologna, Matteo Lepore. Die Opposition habe sich zusammengefunden und vor allem habe die Regierung weniger Luft zum Atmen als noch vor ein paar Monaten. "Wir bereiten uns auf einen Herbst des Kampfes vor. Unter dem Banner der Vernunft und des Gefühls."

In dieser Situation ist das sozialistische Kuba wiederum dem sich besonders im Notfallbereich befindlichen Kalabrien, das dringend Ärzte benötigt, mit 54 Spezialisten zu Hilfe gekommen, berichtete das kommunistische Contropiano. Insgesamt hat Kuba, so das Magazin auf seinem Online-Portal, bisher 500 Ärzte zur Unterstützung des angeschlagenen Gesundheitssystems ins südliche Kalabrien geschickt. Während in rechten Medien der sozialistische Karibik-Staat diffamiert wird, diese Ärzte seien eine Art Sklaven, die von ihrer eigenen Regierung ausgebeutet würden, haben sie großzügig ihre Familien verlassen, um uns zu helfen. Das ist die beste Antwort, die sie auf das unfaire Verhalten unseres Landes gegenüber Kuba geben, erklärte Prof. Dr. Luciano Vasapollo, Dekan für Wirtschaftswissenschaften der Universität von Rom und langjähriger Berater der kubanischen Regierung, der aufzeigt, dass Kuba, wie die Gesundheitsindikatoren zeigen, angefangen bei der Kindersterblichkeit, die zu den niedrigsten in der Welt zählt, über eine "Avantgarde-Medizin" verfügt und das trotz bescheidenem Pro-Kopf-Einkommen.

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. August 2023

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