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ITALIEN/468: Neuer Sozialkahlschlag - hunderttausende Menschen ohne Einkommen müssen sich registrieren lassen (Gerhard Feldbauer)


Neuer Sozialkahlschlag Melonis

Plattform für "Beschäftigungsfähige" in Kraft
Hunderttausende ohne Einkommen müssen sich registrieren lassen

von Gerhard Feldbauer, 30. August 2023


Zur Durchsetzung ihres im Juli erlassenen "Beschäftigungsdekrets" hat die faschistische Regierung von Giorgia Meloni am 1. September eine Plattform für "Beschäftigungsfähige" in Kraft gesetzt. Sie verpflichtet "die unglücklichen Menschen, die seit Juli ihr Grundeinkommen verloren haben, sich registrieren zu lassen, um 350 Euro für nur ein Jahr zu bekommen", schreibt Manifesto. Das linke Blatt listet den Maßnahmenkatalog auf, mit dem diese Menschen an die Kandare genommen werden sollen. Nur über die Plattform SIISL (Sistema informativo per l'inclusione sociale e lavorativa, Informationssystem für soziale und berufliche Integration), kann nun die sogenannte Ausbildungs- und Arbeitsförderung (Supporto per la formazione e il lavoro, SFL) beantragt werden. Antragsteller müssen mindestens drei (private) Arbeitsvermittlungen angeben, um den Antrag erfolgreich abzuschließen. Zur Registrierung gehört aber zunächst das Erstellen eines Lebenslaufs. Im Anschluss müssen die "als erwerbsfähig Geltenden" einen "digitalen Aktivierungsvertrag" (PAD, Patto di attavazione digitale) unterschreiben und eine Sofortverfügbarkeitserklärung (DID, Dichiarazione di immediata disponibilità) abgeben.

Geben die "Unglücklichen", wie Manifesto sie nennt, eine Genehmigung zur Datenverarbeitung ab, werden ihre Angaben automatisch an ausgewählte Arbeitsvermittler und Arbeitsämter geleitet. Dort wiederum muss im Anschluss ein "personalisierter Servicevertrag" zur "Aktivierung des Programms aktiver Policen" abgeschlossen werden. Mit Beginn einer solchen "Police", inklusive Schulungen, Praktika sowie "Projekten, die der Gemeinschaft oder anderweitig nützlich sind", beginnt auch die Zahlung der monatlichen Leistung für die Dauer eines Kurses oder anderen Aktivität - für maximal zwölf Monate.

Für wie viele es ab dem 1. September lebenswichtig sein wird, diese komplexen Vorgänge auf der Plattform durchzuführen, ist nicht bekannt. In Schätzungen des Arbeitsministeriums im Juli war von 180.000 und von weiteren 32.000 im August die Rede. Laut Manifesto sprechen verlässlichere Schätzungen von 229.000 Familien, die bis zum Jahresende von dem Stopp betroffen sind, was 350.000 Menschen entspricht, zu denen ab dem 1. Januar 2024 weitere 350.000 hinzukommen werden. Und Arbeitsministerin Marina Elvira Calderone habe klargestellt, wenn ein Arbeitsloser keinen Kurs findet oder eines der höchst unwahrscheinlichen Jobangebote nicht annimmt, "verliere er sofort die 350-Euro-Unterstützung".

Der erste Tag auf diesem Hindernisparcours treibe die Benutzer in den Wahnsinn, lautete die erste Bilanz von Manifesto am Samstag. Von mindestens 140.000 Menschen, die sich beeilen müssen, um nicht ohne Subventionen dazustehen, kamen nur 8.000. Arbeitsministerium und INPS (Nationalinstitut für Soziale Fürsorge) gaben an, dass es "52.798 Angebote für Schulungen für ein potenzielles Publikum von 600.000 Nutzern und 25.691 Stellenanzeigen für rund 60.000 Stellen" gibt. Wie zu erwarten, mussten sich die Unglücklichen mit diesem System auseinandersetzen. Registrierungen, Pins, Codes, Hin und Her zwischen den Standorten: Das Einreichen der Bewerbung war ein Hürdenlauf. Neben ihrem Antrag auf der INPS-Website mussten sie ihre sofortige Arbeitsbereitschaft bestätigen und dass sie italienische Staatsbürger sind. Anschließend mussten sie sich auf der SIISL-Plattform "Informationssystem für soziale und berufliche Eingliederung" registrieren, damit das INPS die Prüfung des Antrags abschließen kann.

Zur Verdeckung des neuen Angriffs auf elementare Lebensbedingungen sollen Familien, die zu Hause Minderjährige, ältere Menschen oder Behinderte haben, eine sogenannte Inklusionsbeihilfe erhalten, eine Sozialkarte mit "Einkaufsgutscheinen" im Wert von 380 Euro. Die Maßnahme wird jedoch erst ab dem 1. Januar 2024 in Kraft treten, und nur 18 Prozent von 7 Millionen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, werden diese 380 Euro erhalten, um ausgewählte Einkäufe zu tätigen. Abgesehen davon sei es "würdelos", dazu "Einkaufsgutscheine" auszustellen, so Manifesto.

Hatte bereits das "Beschäftigungsdekret" vom Juli zu landesweiten Protesten geführt, dürfte jetzt die "Plattform" sie weiter anwachsen lassen. Denn "die Wahrheit ist, dass die Regierung die Menschen in ihrer Verzweiflung alleinlässt", sagt die CGIL-Sekretärin Daniela Barbaresi. Die frühere Vizepräsidentin des INPS, die PD-Abgeordnete Luisa Gnecchi, verweist darauf, dass die meisten der Betroffenen über 55 Jahre alt sind und dass es in diesem Alter unmöglich ist, einen Job zu finden. Der Generalsekretär der CGIL von Neapel und Kampanien, Nicola Ricci, sprach von der "Gefahr einer sozialen Bombe". Am Samstag protestierten in Neapel Betroffene, unterstützt von politischen und sozialen Aktivisten, mit der Blockierung einer Zufahrtsrampe zu den Autobahnen und der Ringstraße der Stadt gegen diese "verabscheuungswürdigen Regierungsmaßnahmen", um sie am Montag vor dem Hauptquartier der Regionalregierung Kampaniens fortzusetzen, berichtete Contropiano auf seinem Online-Portal. Und das werde nur der Beginn einer sozialen Mobilisierung gegen die ständige Verschlechterung der Lebensbedingungen sein, die an den Komplex sozialer und gewerkschaftlicher Auseinandersetzungen im Land anknüpfen, so das kommunistische Magazin.

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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 5. September 2023

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