Meloni macht Ernst
Gesetzentwurf zur Direktwahl des Ministerpräsidenten beschlossen
Erforderliche Zweidrittel-Mehrheit im Parlament fraglich
von Gerhard Feldbauer, 8. November 2023
Nach einem Jahr des Zögerns will Ministerpräsidentin Giorgia Meloni nun Ernst machen und ihre Macht zementieren. Ging es ursprünglich um ein Präsidialregime, in dem der Premier nach französischem Vorbild dem Staatspräsidenten unterstellt wird, hat ihr Kabinett jetzt einen Gesetzentwurf verabschiedet, nach dem der Premier unter Ausschluss des Parlaments direkt gewählt werden soll. Sie argumentiert, dass die durchschnittliche Regierungszeit in Italien seit dem Zweiten Weltkrieg bei 14 Monaten lag. Eine Verfassungsreform, die den Weg zur Direktwahl des Premiers frei macht, würde für mehr Stabilität im Palazzo Chigi (Regierungssitz) sorgen. Die Befürchtungen, damit würden die Rechte des Staatspräsidenten bei Regierungskrisen, der Parlamentsauflösung und der Neubildung von Regierungen de facto aufgehoben, versuchte sie mit der Erklärung zu beschwichtigen, dass "die Befugnisse des Colle (Synonym für Amtssitz des Präsidenten auf dem Quirinalshügel) nicht untergraben" würden. Das linke Manifesto enthüllte das als pure Heuchelei, denn die Stärkung des Ministerpräsidenten würde die Befugnisse des Staatspräsidenten drastisch einschränken. Zerbricht eine Regierung an fehlender Mehrheit, so kann der Staatspräsident derzeit nach neuen Mehrheiten im Parlament suchen - auch unter dem Einschluss der Oppositionsparteien - oder einen Technokraten einsetzen, der die Regierungsgeschäfte übernimmt. Letzteres geschah zuletzt im Jahr 2021, als Präsident Sergio Matterella den früheren EZB-Chef Mario Draghi als neuen Ministerpräsidenten einsetzte. Nach Melonis Plänen käme dafür in Zukunft nur ein Kandidat aus ihrer Regierungsmehrheit in Frage. Jetzt ist es so, dass der Präsident erst, wenn das scheitert, über die Auflösung des Parlaments entscheidet, nach Wahlen einen neuen Ministerpräsidenten benennt und die Minister bestätigt. Das linke Manifesto kommentiert dazu, dass die Rechte des Staatsoberhauptes sehr wohl entscheidend eingeschränkt werden und dass ein gewählter Premierminister, im Gegensatz zu den amerikanischen und französischen Präsidenten, in den Kammern eine verfassungsmäßig gesicherte Mehrheit hätte.
Obendrein behauptete Meloni, dass es bereits "interne Gespräche" mit den Büros des Quirinals gegeben habe, "wie es bei allen Maßnahmen der Fall ist". Auch das ist laut Manifesto nicht wahr. Der Colle habe sofort dementiert, der Präsident sei über die verschiedenen Schritte informiert worden, die Reform habe jedoch keine Zustimmung erhalten, denn das Staatsoberhaupt greife nicht in Gesetzesentwürfe ein. Eine Verfassungsreform durchzusetzen, birgt allerdings Risiken. Denn dafür ist eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern, also von 266 Abgeordneten und 133 Senatoren, erforderlich. Meloni verfügt nur über 237 Abgeordnete und 115 Senatoren. Auch eine von Italia Viva von Ex-PD Renzi zugesagte Unterstützung würde nicht ausreichen. Die Demokratische Partei könne so zur Blockierung eine "Mauer" errichten. Schafft Meloni nicht die Stimmen von zwei Dritteln, könnte die Verfassung auch über ein Referendum abgeändert werden. 2016 hatte der damalige sozialdemokratische Premier Matteo Renzi versucht, die Verfassung mittels eines Referendums zu ändern, war mit dem Versuch katastrophal gescheitert und musste danach zurücktreten.
Bei einem Referendum ist auch in Betracht zu ziehen, dass sich Staatspräsident Mattarella mit einem Vertrauensbonus von 70 % hoher Beliebtheitswerte erfreut, was sich in einer Ablehnung der Verfassungsreform Melonis niederschlagen könnte. Melonis Verfassungsreform kommt von der Partei Fratelli d'Italia (FdI), die sich selbst als ideologischer Nachfolger von Italiens Diktator Benito Mussolini und seiner faschistischen Bewegung sieht. Meloni selbst sagte vor ihrer Wahl, sie habe "ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus". Eine Flamme im Parteilogo der "Brüder Italiens" soll an den brennenden Geist Mussolinis erinnern. Und diese Bekennerin zu Mussolini fordert jetzt, das Parlament und den Präsidenten, der als Garant der antifaschistischen Grundsätze der Verfassung gilt, auszuschalten.
Der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) lehnt, wie Manifesto berichtet, eine Verfassungsreform entschieden ab und drängt auf "eine Koordinierung der Minderheitskräfte". Der Vorsitzende des PD im Palazzo Madama (Sitz des Senats), Francesco Boccia, sieht darin einen Test für eine Beseitigung der parlamentarischen Republik. PD-Sekretärin Elena Schlein erklärte ebenfalls, das untergrabe die parlamentarische Form.
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Quelle:
© 2023 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 10. November 2023
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