Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

SPANIEN/002: In Katalonien wird die Forderung nach der Unabhängigkeit lauter (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 38 vom 20. September 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Unternehmen Spanien"
In Katalonien wird die Forderung nach der Unabhängigkeit lauter - Kommunisten uneins

von André Scheer



Wird 2014 in Katalonien über eine Abspaltung von Spanien abgestimmt? Dafür demonstrierten am 11. September, dem katalanischen Nationalfeiertag, Hunderttausende Menschen mit einer 400 Kilometer langen Menschenkette. Kataloniens Innenminister Ramon Espadaler bezifferte die Teilnehmerzahl anschließend auf 1,6 Millionen, während sein spanischer Amtskollege Jorge Fernández Díaz die Ziffer auf ein Viertel reduzierte. Die genaue Zahl - sie wird wohl oberhalb der Millionengrenze liegen - wird sich ermitteln lassen, denn die Organisatoren von der parteiunabhängigen Katalanischen Nationalversammlung (ANC) haben die eindrucksvolle Demonstration auf ganzer Länge abfotografiert, das rekordverdächtige "Megafoto" soll veröffentlicht werden.

Die meisten Parteien Kataloniens, von den bürgerlichen Katalanisten bis zur Linken, unterstützen die Forderung nach einer Volksabstimmung, auch wenn nicht alle für die Unabhängigkeit eintreten. Nur die postfranquistische Volkspartei (PP), die in Madrid die spanische Zentralregierung stellt, und die rechten "Ciutadans" (Bürger) stellen sich im katalanischen Parlament gegen ein Referendum, die sozialdemokratische PSC schlingert aus Rücksicht auf ihre spanische Mutterpartei PSOE. Die stärkste Partei, die offen für die Unabhängigkeit der Region eintritt, ist die sozialdemokratisch orientierte Republikanische Linke Kataloniens (ERC), die im Parlament inzwischen die zweitstärkste Fraktion stellt und sich Hoffnungen machen kann, bei den nächsten Wahlen 2016 die bisher regierende konservative CiU an der Spitze abzulösen. Jetzt schon ist diese auf die Stimmen der ERC angewiesen, die ihre Tolerierung der Regierung des katalanischen Präsidenten Artur Mas davon abhängig gemacht hat, dass dieser im kommenden Jahr ein Referendum über die Unabhängigkeit durchführt - zur Not auch unabhängig von einer Zustimmung oder Ablehnung durch Madrid.

"Es ist unmöglich, mit einer Regierung auf Augenhöhe zu sprechen, die mit Monologen antwortet" reagierte ERC-Chef Oriol Junqueras am vergangenen Sonntag auf die nicht anders erwartete Antwort des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy. Dieser hatte sich sechs Wochen Zeit gelassen, auf ein Schreiben von Artur Mas zu antworten, in dem dieser offiziell "Dialog" und "Verhandlungen" gefordert hatte, um eine mit Madrid vereinbarte Befragung des katalanischen Volkes "in der kürzestmöglichen Frist" durchführen zu können. Rajoy verwies einmal mehr auf den "legalen Rahmen", in dem sich jedes Handeln abspielen müsse und der wegen der in der Verfassung festgeschriebenen "Unteilbarkeit Spaniens" jeden Austritt eines Teils aus dem Staat verbiete - und ignorierte dabei explizit die umfangreiche juristische Analyse von möglichen Vorgehensweisen, die Mas seinem Schreiben beigefügt hatte. Statt dessen warnte der spanische Regierungschef: "Die Bande, die uns zusammenhalten, können nicht ohne enorme gefühlsmäßige, ökonomische, politische und soziale Kosten gelöst werden."

Inzwischen ist in Katalonien jedoch Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bevölkerung bereit, diese angedrohten Kosten hinzunehmen. "Spanien ist vor allem ein Unternehmen, das aus der Geschichte entstanden ist. Dessen Ziel ist, dass eine Minderheit in der Zentrale Madrid mit Hilfe reicher baskischer und katalanischer Minderheiten dicke Geschäfte macht", formuliert dies im Gespräch Quim Arrufat, der für die linke Kandidatur der Volkseinheit (CUP) im katalanischen Parlament sitzt. "Wir haben nie wirklich mit der Franco-Diktatur Schluss gemacht. Trotz aller Reformen sind noch immer dieselben Familien an der Macht, sie stellen Minister, die Spitzen der beiden größten Parteien. Wenn man Spanien verändern will, muss man deshalb mit Spanien Schluss machen." Der spanische Nationalismus habe in den vergangenen Jahrzehnten wirkliche Veränderungen unmöglich gemacht, so dass es für die Katalanen keine Zukunft innerhalb dieses Staates geben könne.

Die CUP - deren Name Candidatura d'Unitat Popular auch eine bewusste Referenz an die Unidad Popular von Salvador Allende in Chile ist - konnte bei den Wahlen im vergangenen Jahr erstmals in das katalanische Parlament einziehen, nachdem sie zuvor bereits in vielen Kommunalvertretungen präsent gewesen war. Sie versteht sich als sozialistisch, feministisch, ökologistisch und eben "independentista", also für die Unabhängigkeit. Um sie herum gruppieren sich neben kleineren linken Parteien auch unabhängige Organisationen wie die Jugendorganisation Arran, die Gewerkschaftsbünde COS und Intersindical-CSC sowie alternative Medien.

Dieser Bewegung ist klar, dass es beim Kampf um die Unabhängigkeit nicht darum gehen kann, die Fahnen auszutauschen. "Am Tag danach geht der Kampf weiter" betont etwa Adriá, der 0am 11. September einen Infostand von Arran betreut. In der Nacht zuvor hat seine Gruppe Wandbilder gemalt und Transparente aufgehängt. Im Zentrum von Barcelona leuchten nun neben den Farben Kataloniens auch Hammer und Sichel, das feministische Frauenzeichen oder auch das aus Deutschland stammende Symbol der Antifaschistischen Aktion als Acció Antifeixista.

Die von Arran hochgehaltenen Symbole der kommunistischen Bewegung sind bei den Aktionen am Nationalfeiertag praktisch die einzigen dieser Art. Zumindest auf der traditionelle Demonstration am Abend des 11. September fehlen die kommunistischen Parteien PCC und PSUC-viu. Lediglich eine kleine Abordnung des Jugendverbandes des Linksbündnisses EUiA zeigt Flagge. Auch zu der Menschenkette hatten die beiden Parteien nicht aufgerufen, sondern sich statt dessen an einer Umzingelung der katalanischen Caixa-Bank beteiligt. Man habe dafür sorgen wollen, dass der soziale Protest an diesem Tag nicht zu kurz komme, hieß es zur Begründung. Für die Mitglieder einer Nachbarschaftsinitiative in Barcelonas Altstadt, die ein kleines Geschichtsmuseum betreibt, ist die Aktion hingegen eine Spaltung der Bewegung. "Sie haben 364 Tage im Jahr Zeit dafür - aber sie machen ihre Aktion am gleichen Tag zur gleichen Uhrzeit" kritisiert ein Redner der Gruppe während der Gedenkveranstaltung für die Verteidiger Barcelonas, die 1714 während der Belagerung der Stadt durch französische und spanische Truppen getötet worden waren. An das Datum der Kapitulation Barcelonas und das damit verbundene Ende der faktischen Unabhängigkeit Kataloniens erinnert die Diada Nacional am 11. September.

Kataloniens Kommunisten fühlen sich in der gegenwärtigen politischen Lage zwischen Baum und Borke. Die erste legale Großdemonstration zum Nationalfeiertag am 11. September 1977 mit Hunderttausenden Teilnehmern war noch von den Fahnen und Transparenten der gerade aus dem Untergrund aufgetauchten PSUC, der traditionellen kommunistischen Partei, dominiert worden. In den 90er und 2000er Jahren war die in den 80er Jahren als Abspaltung von dieser entstandene PCC immer mit vielen Mitgliedern und dem Slogan "Som una nació - Autodeterminació" (Wir sind eine Nation - Selbstbestimmung) bei den Demonstrationen dabei.

Doch die PCC arbeitet heute mit der PSUC-viu, der offiziellen katalanischen Partnerpartei der KP Spaniens (PCE), zusammen, und beide wollen sich wohl im kommenden Jahr zu einer gemeinsamen Partei vereinigen. Im Bündnis Vereinigte und Alternative Linke (EUiA) sind sie die prägenden Kräfte. Doch während die PCC traditionell auf katalanische Selbstbestimmung setzt - nicht unbedingt auf Unabhängigkeit -, besteht die Mitgliedschaft der PSUC-viu zu einem Großteil aus Immigranten, die aus anderen Regionen Spaniens nach Katalonien eingewandert sind und sich weiter auf ihre Herkunftsgebiete orientieren. Ihr Fixpunkt ist nicht Barcelona, sondern Madrid und dort die PCE. Zudem ist auch die EUiA selbst in eine Allianz eingebunden: Im Parlament bildet sie eine gemeinsame Fraktion mit der ökosozialistischen ICV, die mobilisierungsfähiger und in den Medien deutlich präsenter ist.

Während es in der Frage der Unabhängigkeit aus diesem Lager keine eindeutige Stellungnahme gibt, sprechen sich alle Parteien und Bündnisse für das Recht des katalanischen Volkes aus, seine Zukunft selbst zu entscheiden. Es ist zu vermuten, dass unabhängig von den offiziellen Orientierungen ihrer Spitzen viele der Mitglieder von PCC, EUiA und ICV, aber auch einige der PSUC-viu, bei einem solchen Referendum gegen Spanien stimmen werden.

*

Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 38 vom 20. September 2013, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de
 
Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2013