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BEITRITT/114: Island - Der EU die kalte Schulter gezeigt (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 12 vom 20. März 2015
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Der EU die kalte Schulter gezeigt
Island: Beitrittsverhandlungen mit EU aufgekündigt

von Georg Polikeit


Die Regierung Islands hat am 12. März offiziell ihren 2009 gestellten Antrag auf EU-Beitritt zurückgezogen. In dem von Außenminister Sveinsson dem lettischen Außenminister Rinkevics als derzeit amtierendem EU-Ratspräsidenten übergebenen Brief heißt es, die isländische Regierung habe nicht die Absicht, die Beitrittsgespräche fortzusetzen.

Die "Mitte-Rechts-Regierung" aus liberaler Fortschrittspartei und konservativer Unabhängigkeitspartei hatte die Beitrittsverhandlungen schon unmittelbar nach ihrem Amtsantritt im Mai 2013 suspendierte. Island ist damit neben der Schweiz und Norwegen der dritte europäische Staat, der einen Beitritt zur EU offiziell abgelehnt hat.

Auch wenn in dem Schreiben keine ausdrücklichen Gründe für die Absage genannt werden, ist es kein Geheimnis, dass der Streit um Fischfangquoten wesentlichen Anteil daran hatte. Die liberal-konservative Regierung in Reykjavik ist im Wesentlichen eine Interessenvertretung der isländischen Unternehmer, und ein gewichtiger Teil davon sind die Unternehmen der Fischerei-Industrie. Deren Interesse an unbeschränkten Vergrößerung ihrer Fangerträge im Nordmeer und in der Arktis steht im Konflikt mit der von der EU vorgesehenen Aufteilung der Fangquoten zwischen den einzelnen EU-Staaten, offiziell im Namen von Arten- und Umweltschutz, in Wirklichkeit aber vor allem im Interesse der Erhaltung des Gesamtbestands an Fischen, um deren Fortpflanzung und damit Geschäfte auch noch in der Zukunft zu sichern.

Im Hintergrund stehen allerdings auch tiefere und weiter zurückliegende Ursachen. Sie hängen vor allem mit der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise in der EU zusammen. Das isländische Vorgehen kann als Symptom dafür gelten, dass die EU seit der Krise erheblich an Anziehungskraft verloren hat. Die frühere Hoffnung, durch Anschluss an die EU die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des eigenen Landes leichter bewältigen zu können, ist erheblich zurückgegangen, nicht zuletzt durch eigene Erfahrung.

Island war 2008 im Schatten der Lehman-Brothers-Pleite von einer schweren Bankenkrise betroffen. Die drei wichtigsten isländischen Banken standen vor dem Bankrott. Sie hatten in den Jahren zuvor ihr Geschäft auf den internationalen Finanzmärkten massiv ausgeweitet und ausländische Investoren mit hohen Zinszusagen angelockt. Als sie im großen Finanzmonopoly die fälligen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen konnten, wurde der isländische Staat zu hektischen "Rettungsmaßnahmen" herangezogen. Das Ergebnis war ein massives Anwachsen der Staatsverschuldung Islands. Die Regierung sah sich zu einem Hilfeersuchen an den Internationalen Währungsfonds (IWF) genötigt. Der aber bewilligte neue Kredite nur gegen harte Sparauflagen. Ein von der Regierung beabsichtigter bescheidener "Schuldenschnitt", der vor allem Kapitalanleger aus Großbritannien und den Niederlanden betraf, führte zu heftigen Kontroversen mit der britischen und niederländischen Regierung. Die isländische Krone erlitt einen drastischen Wertverlust. Durch die IWF-Auflagen wurde ein abrupter Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik verursacht, der für die Mehrheit der Bevölkerung neben einigen enormen Inflation und Verteuerung der Lebenshaltung ein sprunghaftes Ansteigen der Arbeitslosigkeit zur Folge hatte, insbesondere für die gut ausgebildete akademische Mittelschicht.

Dies alles führte zum starken Anwachsen kritischer Stimmungen in der Bevölkerung. Sie äußerten sich ab Anfang 2009 in Massenprotesten, die teilweise mit massiver Polizeigewalt unterdrückt wurden. In einer Volksabstimmung am 6. März 2010 stimmten 93,2 Prozent (!) gegen ein Regierungsvorhaben, das vorsah, den britischen und niederländischen "Kunden" der Icesave-Bank 4 Milliarden Euro auszuzahlen. Die Missstimmung hatte auch zur Folge, dass die inzwischen amtierende Regierung aus sozialdemokratischer "Allianz" und "linken Grünen" bei der Parlamentswahl im April 2013 schwere Verluste erlitt und die Konservativen im Bündnis mit den Liberalen wieder an die Regierung kamen.

Die isländische Wirtschaft hat bis heute noch nicht wieder den Vorkrisenstand erreicht. Unter diesen Umständen sehen offenbar weder die Mehrheit der Bevölkerung noch erhebliche Teile der herrschenden Klasse einen Vorteil darin, sich jetzt der EU anzuschließen. Das Beispiel Griechenlands und anderer "Schuldenländer" vor Augen, überwiegt die Meinung, dass es besser ist, an der eigenen Entscheidungshoheit festzuhalten, statt sich Vorgaben und Diktaten aus Brüssel zu unterwerfen.

Die isländische Regierung ließ allerdings wissen, dass sie weiterhin an einer Kooperation mit der EU im Rahmen des "Europäischen Wirtschaftsraums" (Zollabkommen) und des Schengen-Vertrags (visafreier Verkehr) interessiert ist. Sie will auch Mitglied der NATO bleiben.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 47. Jahrgang, Nr. 12 vom 20. März 2015, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2015

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