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INNEN/390: Asyl - Hart an der Grenze (Schlepper)


Der Schlepper Nr. 39 - Sommer 2007
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Hart an der Grenze

Von Karl Kopp


Der Eindruck entsteht, die gemeinsame Asylpolitik der EU strebe nicht den Schutz von Flüchtlingen, sondern den Schutz Europas vor Flüchtlingen an. Die Mitgliedstaaten sind dabei, Verantwortung in arme Herkunftsregionen zu verlagern anstatt diese zu entlasten. Auf der Strecke bleiben das Asylrecht und die Menschlichkeit.


Täglich riskieren Menschen ihr Leben bei dem Versuch, über das Mittelmeer oder den Atlantik nach Europa zu gelangen. Tausende sterben, weil sie die Reise in überfüllten und seeuntüchtigen Booten antreten. Nach Angaben der spanischen Behörden kamen circa 6.000 Flüchtlinge und Migranten allein auf dem Weg von Westafrika zu den Kanarischen Inseln um. Die hohe Zahl der Todesfälle hat vor allem etwas damit zu tun, dass die Fluchtwege immer länger und gefährlicher werden. Die Festung Europa schottet sich immer effizienter ab.

Wer das Sterben vor den Toren Europas wirklich verhindern möchte, muss sich Gedanken darüber machen, wie Flüchtlinge und Migranten gefahrenfrei und legal auf das Territorium der EU kommen können.


Zahlen und Relationen

Die Asylzahlen in Deutschland und Europa erreichen einen neuen historischen Tiefstand. In Deutschland wurden im Jahr 2006 nur 21.029 neue Asylgesuche registriert - der niedrigste Stand seit 1977. Die Zahl der Asylerstantragstellungen ist im Vergleich zum Jahr 2005 um über 27 % zurückgegangen. In den 25 Staaten der Europäischen Union wurde bereits 2005 die niedrigste Zahl von Asylsuchenden - 230.000 - seit 1988 gezählt. Dieser Trend setzte sich im Jahr 2006 fort: Weniger als 200.000 neue Asylanträge wurden im gesamten EU-Gebiet verzeichnet. Damit hat sich die Zahl der Asylanträge innerhalb der letzten fünf Jahre um die Hälfte reduziert. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge und Vertriebenen bleibt nach Angaben des UNHCR in Entwicklungsländern, darunter Afghanen (2,9 Mio.), Kolumbianer (2,5 Mio.), Iraker (1,8 Mio.), Sudanesen (1,6 Mio.) und Somalier (839.000).


Menschenrechtsverletzungen an den Rändern Europas

An den Rändern Europas spielen sich Dramen ab, die zeigen, dass die EU-Staaten bereit sind, elementare Menschenrechtsstandards aufzugeben. Im Juli 2006 wurden in Melilla drei Menschen bei dem Versuch, die Grenzzäune nach Europa zu überwinden, erschossen. Die Todesfälle an der spanisch-marokkanischen Grenze sind bis heute nicht aufgeklärt. Griechenland steht weiterhin im Verdacht, im September 2006 Flüchtlinge ins Meer geworfen zu haben. Mindestens sechs Menschen starben, weil Beamte der griechischen Küstenwache, so die Aussagen Überlebender, rund 40 Menschen, die sie vor der Insel Chios aufgegriffen hatten, ins Meer zurückstießen. An den östlichen EU-Außengrenzen wurden - nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit - tschetschenische Flüchtlinge von der Slowakei über ukrainische Internierungslager zurück in den Verfolgerstaat Russische Föderation abgeschoben. UNHCR berichtete im März 2006 von Kettenabschiebungen. Tschetschenischen Schutzsuchenden, die es in die Slowakei, auf EU-Territorium, geschafft hatten, wurde entgegen der geltenden Rechtslage der Zugang zum Asylverfahren verweigert. Stattdessen wurden die Betroffenen in die Ukraine zurückgeschickt und von dort in die Russische Föderation abgeschoben.


Vorgelagerte Abwehr

Seit Mitte 2006 spielt Frontex (s.u.) bei den Abfangmaßnahmen weit vor den Toren Europas eine wichtige Rolle. Flüchtlingsboote werden im Zuge von Frontex-Einsätzen bereits in internationalen Gewässern aufgebracht und in afrikanische Transit- oder Herkunftsländer zurück verfrachten. Bei den "Out of Area"-Einsätzen wurden beispielsweise 3.500 Flüchtlinge und Migranten zwischen August und Dezember 2006 auf dem Atlantik oder vor den Küsten Westafrikas aufgegriffen und nach Senegal und Mauretanien zurückgeschickt. Wie die Grenzschützer im Frontexverband auf hoher See mit Schutzbedürftigen umgehen, stellt Frontex-Chef Oberst Ilkka Laitinen lapidar klar: "Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten."


Neue Türsteher

Drittstaaten wie Libyen, Marokko, Mauretanien, der Ukraine, der Türkei etc. wird in einer zynischen Arbeitsteilung eine Türsteherfunktion vor den Toren der "Festung Europa" zugewiesen. Beispiel Marokko: Zwischen Weihnachten 2006 und Neujahr wurden über 400 subsaharische Flüchtlinge und Migranten in Marokko festgenommen und an der algerischen Grenze ausgesetzt. Es kam zu schweren Misshandlungen, verübt von algerischen und marokkanischen Sicherheitskräften. Mehrere Frauen wurden bei dieser Polizeiaktion vergewaltigt. Eine schwangere Frau verlor ihr Baby. Diese Menschenrechtsverletzungen reihen sich ein in eine Kette von Gewaltaktionen gegenüber Schutzsuchenden in Marokko - und Europa schweigt und schaut weg.


Glaubwürdigkeitsverlust

Die Europäische Union verspielt ihre Glaubwürdigkeit in der internationalen Flüchtlings- und Menschenrechtsdebatte. Eine Gemeinschaft von 27 Demokratien muss eine andere Antwort finden als militärische Abwehrmaßnahmen, Auslagerung des Flüchtlingsschutzes und fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen. Die Durchsetzung der Menschenrechte muss oberste Priorität in der EU haben: Diese gelten für alle Menschen in Flucht- bzw. Migrationsbewegungen. Flüchtlingen ist der gefahrenfreie Zugang zum EU-Territorium und zu einem fairen Asylverfahren zu gewährleisten. Jegliche Kooperation mit Drittstaaten, in denen die Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht geachtet werden, ist einzustellen. Europa braucht legale Einwanderungsmöglichkeiten, damit Migranten nicht lebensgefährliche Wege beschreiten müssen. Sonst werden weiterhin Tausende an den Außengrenzen der EU sterben. Wer ernsthaft die Gründe für erzwungene Migration und Flucht bekämpfen will, der muss die Strukturen beseitigen, aus denen Armut und Elend resultieren. Wer die dramatische Ungleichverteilung von Lebens- und Entwicklungschancen verändern will, der muss auch für eine andere, gerechtere Handels-, Agrar- und Fischereipolitik der EU eintreten.



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Wer ist Frontex?

"Freiheit - Sicherheit - Recht": Unter diesem euphemistischen Motto wirkt seit Oktober 2004 auf Grundlage einer EU-Verordnung die "Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - Frontex". Die Aufgabe dieser Agentur mit Sitz in Warschau ist die aktive Sicherung der EU-Außengrenzen gegen Flüchtlinge und Migranten. Das liest sich in der Selbstbeschreibung von Frontex (www.frontex.europa.eu) etwa so:

"Die Agentur koordiniert die operative Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenzen und unterstützt die Mitgliedstaaten

bei der Ausbildung von nationalen Grenzschutzbeamten (...)
in Situationen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern (...),
bei der Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen."

Hierfür stehen Frontex 34.980.000 EUR allein 2007 zur Verfügung. Die deutsche Ratspräsidentschaft will den Ausbau der maßgeblich von Deutschland initiierten Europäischen Grenzagentur Frontex weiter forcieren. Seit Mitte 2006 spielt Frontex bei den Abfangmaßnahmen weit vor den Toren Europas eine wichtige Rolle. Flüchtlingsboote werden im Zuge von Frontex-Einsätzen bereits in internationalen Gewässern aufgebracht und in afrikanische Transit- oder Herkunftsländer zurück verfrachtet.

Hinweis
Zur Umsetzung der EU-Zuständigkeitsverordnung "Dublin II" kann unter www.proasyl.de ab Sommer 2007 die Broschüre "Flüchtlinge im Verschiebebahnhof EU" heruntergeladen werden.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 39 - Sommer 2007, Seite 32-33
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25, 24143 Kiel
Tel.: 0431/73 50 00; Fax: 0431/73 60 77
E-Mail: office@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
Für Vereinsmitglieder ist Der Schlepper kostenlos.
Nichtmitglieder können ihn für 16,50 Euro jährlich
abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2007