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INNEN/422: Tschechien - Alles geht weiter, nur ohne Vertrauen (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände

EU-Koordination - 26.03.2009

Tschechien: Alles geht weiter - nur ohne Vertrauen


Die EU ein langweiliger Bürokratenhaufen? Weit gefehlt: Was sich zurzeit auf der politischen Arena in Brüssel abspielt, ist eher eine Art Krimi in Zeitlupe. Wer killt den Lissabon-Vertrag? Oder kommt die EU mit einem blauen Auge davon?


Das tschechische Parlament hat gestern Ministerpräsident Mirek Topolánek das Misstrauen ausgesprochen. Die Regierung muss nun den Rücktritt einreichen, bleibt aber bis zu Neuwahlen im Amt. Dies beruhigt die Gemüter auf EU-Ebene, denn ausgerechnet Tschechien hat im krisengeschüttelten ersten Halbjahr 2009 die Ratspräsidentschaft inne. Dass einer Regierung, die gleichzeitig auf europäischer Bühne den Vorsitz hat, im eigenen Land das Vertrauen entzogen wird, ist schon mal an sich ein bemerkenswerter Vorgang. Doch da die derzeitigen Amtsinhaber in Prag vermutlich noch bis Sommer ihre Ämter kommissarisch weiterführen, wird die EU-Arbeit dadurch wohl weniger leiden als man annehmen könnte. Am 1. Juli übernehmen die Schweden das Zepter der Ratspräsidentschaft. Was die Gemüter aber durchaus beunruhigt, ist die Frage, ob Tschechien den neuen EU-Vertrag unterzeichnen wird, der noch den dortigen Senat (die obere Kammer des tschechischen Parlaments) passieren muss.

Alles hätte so schön sein können: Die Regierungen von 25 EU-Mitgliedstaaten vereinbaren eine gemeinsame EU-Verfassung und alle ziehen an einem Strang. Das war die Situation im Oktober 2004, als die Regierungen den Vertrag über eine Verfassung für Europa in Rom feierlich unterzeichneten. Doch der Vertrag konnte so nicht in Kraft treten, weil er nicht in allen Staaten ratifiziert wurde. Bei Volksabstimmungen in Frankreich (Mai 2005) und den Niederlanden (Juni 2005) fiel das Gesetzeswerk durch. Im Wesentlichen wurde kritisiert, dass die Verfassung unsozial, undemokratisch, neoliberal und friedenspolitisch fragwürdig sei. Andere Regierungen hatten das Volk nicht befragt, sondern selbst entschieden, dem Vertrag zuzustimmen. Nach dem Scheitern der EU-Verfassung musste eine neue Grundlage geschaffen werden: Der EU-Reformvertrag oder auch Lissabon-Vertrag wurde ausgehandelt. Rumänien und Bulgarien traten der EU bei und der abgeänderte Vertrag wurde erneut zur Abstimmung gegeben.

Doch diesmal stellten sich die Iren quer: Im Juni 2008 lehnten sie den Lissabon-Vertrag in einem Referendum ab. Nach Zugeständnissen an die irische Regierung könnte - laut Umfragen - das irische Volk in einer weiteren Volksabstimmung im kommenden Oktober aber geneigt sein, dem Werk nun doch zuzustimmen. Ursprünglich sollte der EU-Reformvertrag schon am 1. Januar 2009 in Kraft treten.

Und jetzt das "geglückte" Misstrauensvotum gegen Topolánek im tschechischen Parlament - insgesamt schon das fünfte seit Januar 2007... Es scheint, als hielten alle Lissabon-Vertrag-Befürworter den Atem an. Der extrem EU-kritische tschechische Staatspräsident Václav Klaus wird in den nächsten Monaten den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Klaus ist nicht nur EU-Gegner, er zweifelt auch den Klimawandel an. Auf einer Konferenz von "Klimaskeptikern" in New York Mitte März beschuldigte er die EU-Regierungen der Panikmache. Sie befänden sich in Knechtschaft radikaler Umweltschützer. Der konservative Senat ist ebenfalls nicht gerade als europafreundlich bekannt.

Ein Sprecher der tschechischen Umweltorganisation zeleny kruh sagte: "Für die Umweltpolitik ist das Regierungschaos allgemein gesehen schlecht. Wir bekommen voraussichtlich im September oder November vorgezogene Neuwahlen. Das heißt, einige Gesetze, die gerade in Arbeit sind, zum Beispiel im Abfallbereich oder für bessere Luftqualität, werden nicht fertiggestellt." Die EU-Ratspräsidentschaft sieht der Verband allerdings auch eher nicht gefährdet, da sogar der Kopf der Opposition versprochen hat, die noch amtierende Regierung bis Juni ihre Geschäfte weiterführen zu lassen. "Die Position der Minister bei den Verhandlungen ist jetzt natürlich geschwächt," so der Sprecher.

Der Krimi geht weiter. [Juliane Grüning]


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Quelle:
Newsletter zur EU-Umweltpolitik
Nr. 10/09, 26.03.2009
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination, 26.03.2009
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2009