Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

SICHERHEIT/048: Die Rückkehr des Kolonialismus (guernica)


guernica Nr. 1/2007, Februar/März 2007
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

CIMIC im Rahmen der Europäischen Union
Die Rückkehr des Kolonialismus im zivil-militärischen Gewand

Von Jürgen Wagner


Mit dem Ziel, immer schneller - und häufiger - Kriegseinsätze durchführen zu können, werden derzeit die westlichen Militärstrukturen konsequent umstrukturiert, wie beispielsweise die Aufstellung der NATO-Response-Force oder der EU-Battle-Groups zeigen. Während diese Umstrukturierung im so genannten hochintensiven Bereich wenigstens teilweise kritisch wahrgenommen und analysiert wird, erfährt das andere wichtige Gebiet, in dem augenblicklich dramatische Veränderungen vorgenommen werden, um buchstäblich für die "Neuen Kriege" gerüstet zu sein, (zu) wenig Beachtung.

Dieser zweite Bereich leitet sich direkt aus der Erkenntnis ab, dass künftig der dauerhaften "Stabilisierung" (Kontrolle) eine ebenso große Bedeutung zukommt, wie dem eigentlichen militärischen Sieg, wie u. a. die katastrophale Lage in Afghanistan und im Irak zeigt. Zu diesem Zweck werden derzeit unter dem Deckmantel der so genannten zivil-militärischen Zusammenarbeit (Civil Military Cooperation, CIMIC) Strukturen zur Effektivierung westlicher Besatzungsregime aufgebaut. Im Kern geht es dabei um eine noch engere Integration politischen militärischer entwicklungspolitischer wirtschaftlicher, humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung", wie es das jüngst verabschiedete Bundeswehr-Weißbuch formuliert.(1)


Kolonialismus als moralisch-sicherheitspolitischer Imperativ.

Wesentlich für diese Sichtweise ist die "Theorie" der neuen Kriege. Ihre führenden europäischen Vertreter gründen ihre Aussagen auf die Feststellung, dass klassische zwischenstaatliche Kriege, geführt aufgrund eng gefasster nationaler, früher nannte man sie imperialistischer Interessen, (weitgehend) der Vergangenheit angehören würden. An ihre Stelle sei aber eine rasant steigende Zahl innerstaatlicher Gewaltkonflikte getreten, die primär endemische Ursachen hätten. Regionalspezifische Faktoren, ethnische oder religiöse Rivalitäten, Stammesfehden und vor allem die Habgier einzelner Warlords seien ihre hauptsächlichen Triebfedern, die letztlich zur Erosion jeglicher Ordnung und damit zu "gescheiterten Staaten" ("failed states") führen würden.(2) Mit diesem Konstrukt wird die Frage der Kriegsursachen bewusst von der Interessenspolitik der kapitalistischen Mächte abgekoppelt. Ohne militärische Schützenhilfe seien viele Staaten der Dritten Welt nicht zu einer "erfolgreichen" Integration in den Weltmarkt in der Lage, die ihrerseits wiederum zynischerweise als Vorbedingung für eine wirksame Armutsbekämpfung zurechtinterpretiert wird. Auf Grundlage dieser Argumentation sei es schon aus moralischer Erwägungen die Pflicht, dem Töten und Sterben in der Dritten Welt mittels militärischem "Stabilitätsexport" zu begegnen. Zudem sei man hierzu aber auch aus sicherheitspolitischen Gründen gezwungen. Denn in fehlgeschlagenen Staaten entständen "Brutstätten für Terroristen", da ihre "Ausbildungslager und Rückzugsgebiete vorzugsweise dort liegen, wo im Verlauf eines innergesellschaftlichen Krieges die staatlichen Strukturen zusammengebrochen sind".(3) Der Westen muss also bereit sein, so die logische Schlussfolgerung weiter, "sich auf bewaffnete Pazifizierungen ganzer Regionen einzulassen".(4) Dieses Legitimationskonstrukt westlicher Kriegspolitik findet sich mittlerweile in nahezu sämtlichen Strategiepapieren.

In letzter Konsequenz wird also gefordert, Staaten so lange unter westliche Kontrolle zu stellen, bis sie "funktionieren". Dies bedeutet die faktische Abschaffung des Souveränitätsrechts, das beinhaltet, dass sämtliche Staaten dieselben Rechte besitzen, insbesondere das Recht, nicht angegriffen zu werden. Wer voll souverän ist, entscheiden diesem Konzept zufolge künftig die Großmächte, womit eine dramatische Hierarchisierung der internationalen Beziehungen zum Abschluss gebracht werden soll, die bereits durch die Etablierung quasi-kolonialer Besatzungsregime, u. a. in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan und im Irak, in vollem Gange ist. Immer offener wird eine neokoloniale Besatzungspolitik gefordert.


Der Aufbau der Kolonialstrukturen.

In einer für Javier Solana verfassten Studie, der "Human Security Doctrine for Europe", präzisierte u. a. Mary Kaldor die Überlegungen, wie diese westlichen Protektoratstruppen genau aussehen sollen. Dort wird für den Aufbau einer zivil-militärischen Truppe aus 10.000 Soldaten und 5.000 Zivilisten (Verwaltern) plädiert, die künftig die anvisierten EU-Protektorate organisieren soll.(5) Während sich der Aufbau einer solchen Truppe gegenwärtig noch im Diskussionsstadium befindet, wurde mit der Einrichtung einer so genannten zivilmilitärischen Zelle, die als Nukleus eines eigenständigen europäischen Hauptquartiers fungieren und ab 2007 voll einsatzfähig sein soll, bereits begonnen. Ein weiterer Bereich, in dem beabsichtigt wird, die zivil-militärische Zusammenarbeit zu verstärken, ist der Katastrophenschutz. So schlug ein von Ex-EU-Kommissar Michel Barnier im Auftrag der österreichischen EU-Präsidentschaft erstellter Bericht die Gründung einer um militärische Komponenten ergänzten europaweiten Katastrophenschutztruppe ("europe aid") vor, die aber u. a. auch in Bürgerkriegsszenarien zum Einsatz kommen soll.(6) Noch konkreter ist die Paramilitarisierung der EU-Außenpolitik bereits im Bereich der Polizeikräfte fortgeschritten: Anfang 2006 wurde die European Gendarmerie Force in Dienst gestellt, die eine quasi-militärische Truppe darstellt, die primär zur Aufstandsbekämpfung ("riot control") dienen soll.(7)

Auch die Entwicklungshilfe wird immer stärker für die Erfordernisse europäischer Kriegslogik instrumentalisiert. Folgt man dieser Logik liegt es auch nahe, Entwicklungshilfegelder, die - eigentlich - ausschließlich rein humanitären Zwecken dienen und strikt politisch neutral vergeben werden sollten, für sicherheitsrelevante Bereiche zu verwenden. Zunehmend werden deshalb Kosten für "Stabilitätsexport" aus dem Etat der Entwicklungshilfe bezahlt und so der Armutsbekämpfung entzogen, beispielsweise werden Gelder zur so genannten Sicherheitssektorreform im Kongo oder der logistischen Unterstützung der AMIS-Mission im Sudan (89 Mio. EUR) über die African Peace Facility aus den Mitteln des Europäischen Entwicklungsfonds bezahlt.(8)

Während in Deutschland und generell in der Europäischen Union gerne betont wird, der eigene Ansatz, insbesondere im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit, unterscheide sich grundsätzlich von dem militärfixierten, engstirnigen US-Ramboismus, lässt sich aber eher feststellen, dass Brüssel die Erfordernisse eines "intelligenten Kolonialismus" früher erkannt hat, als Washington, das nunmehr aber in atemberaubender Geschwindigkeit nachzieht.(9)


CIMIC als moralisch-sicherheitspolitische Bankrotterklärung.

Letztlich zielen all diese Vorschläge und Initiativen darauf ab, eine in sich koheränte Besatzungspolitik zu konzipieren. Genau aus diesem Grund, weil es eben nicht darum geht, effektiv die Ursachen von Konflikten zu beseitigen, erweist sich das gesamte sicherheitspolitische Konzept der transatlantischen Strategen als fataler Irrweg. Wer mit moralischen Argumenten für "Stabilitätsexport" und damit für Milliardenbeträge für die Rüstung plädiert, leistet nicht nur einer selektiven Interessensdurchsetzung Vorschub, sondern fördert auch eine Umverteilung von Ressourcen, die nahezu zwangsläufig Kriege und Konflikte nach sich zieht. Befürworter zivil-militärischer Besatzungsregime blenden konsequent die zerrüttende Wirkung westlicher Interessenspolitik, etwa zur Rohstoffsicherung oder hinsichtlich Waffenexporten, aus. Wer "Sicherheit" und "Staatlichkeit" herbeibomben will, um Länder anschließend so lange unter die Schirmherrschaft westlicher Protektorate zu stellen, bis sie neoliberalen Spielregeln gehorchen, perpetuiert den Teufelskreis aus Armut und Gewalt.

Jürgen Wagner (Informationsstelle Militarisierung)

Anmerkungen:

(1) Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr (22.10.2006), S. 7

(2) vgl. Münkler, Herfried: Die neuen Kriege, Reinbeck 2002; siehe auch Kaldor, Mary: Neue und alte Kriege: organisierte Gewalt im Zeitalter der Globalisierung, Frankfurt am Main 2000

(3) Münkler 2002, S. 227

(4) ebd., S. 221

(5) vgl. Marischka, Christoph: Menschliche Sicherheit, in: AUSDRUCK - Das IMI-Magazin (April 2005), S. 3 - 9

(6) Barnier, Michel: Für eine europäische Katastrophenschutztruppe: europe aid, Mai 2006

(7) European Gendarmerie Force, Interview mit Claudia Haydt, zip-fm, 22.11.2006

(8) Marischka, Christoph/Wagner, Jürgen: Europas Platz an Afrikas Sonne, in: Pflüger, Tobias/Wagner, Jürgen (Hg.): Welt-Macht EUropa, Auf dem Weg in weltweite Kriege, VSA-Verlag Hamburg 2006, S. 225 - 247

(9) siehe zu CIMIC und NATO/USA den kompletten Beitrag von Jürgen Wagner unter www.werkstatt.or.at


*


Quelle:
guernica Nr. 1/2007, Februar/März 2007, Seite 5
Herausgeberin und Redaktion: Werkstatt Frieden & Solidarität
Waltherstr. 15, A-4020 Linz
Tel. 0043-(0)732/77 10 94, Fax 0043-(0)732/79 73 91
E-Mail: office@werkstatt.or.at
Internet: www.werkstatt.or.at

guernica kostet 1 Euro pro Ausgabe.
Abonnement: mind. 9 Euro für 10 Nummern.


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2007