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SICHERHEIT/054: Mit der EU in alle Welt (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 18. Juni 2008

Mit der EU in alle Welt
Zurück in die NATO, Bildung einer europäischen Eingreiftruppe:
Nicolas Sarkozy präsentiert "Weißbuch" zur Neuausrichtung der französischen Militärpolitik

Von Rainer Rupp


Vor dem Hintergrund neuer großer Streiks im öffentlichen Dienst hat Staatspräsident Nicolas Sarkozy am Dienstag demonstrativ vor 3000 Armeeangehörigen in Paris seine neue, offensive "Verteidigungsstrategie" für Frankreich vorgestellt. Die von Sarkozy persönlich durchgepeitschte "Streitkräftereform", die in einem "Weißbuch" festgeschrieben ist, verheißt nichts Gutes: In dessen Zentrum stehen nicht nur die Rückkehr Frankreichs in den Schoß der NATO und eine stärkere bilaterale militärische Zusammenarbeit mit den USA, sondern auch eine weitere Militarisierung der Europäischen Union.


Umbau der Struktur

Um die öffentliche Akzeptanz seiner neuen Sicherheits- und Militärstrategie zu fördern, präsentierte sich Sarkozy angesichts der knappen Staatskassen als ein auf Einsparungen auch beim Militär bedachter Staatsmann. Die alten Armeestrukturen sind weitgehend an der traditionellen Aufgabe der Landesverteidigung ausgerichtet. Sie kosten viel Geld und gelten zugleich als ungeeignet, eine globale Verteidigung der Interessen französischer Konzerne im Verein mit der NATO oder der zu schaffenden EU-Armee wahrzunehmen. Deshalb soll die Mannschaftsstärke der französischen Armee laut Sarkozy-Plan von derzeit 330000 um 54000 auf 276000 gekürzt werden. Mit den dadurch bewirkten Einsparungen sollen die verbleibenden Einheiten besser für ihre neuen Interventionsaufgaben in aller Welt ausgebildet und dieser Aufgabe entsprechendes modernes Rüstungsgerät beschafft werden.

Im Rahmen der Kürzungen ist die Auflösung von 50 Garnisonsstandorten vorgesehen. Das könnte wegen des Wegfalls Zehntausender damit verbundener ziviler Arbeitsplätze auf lokaler Ebene zu erheblichem Widerstand führen (was auf absehbare Zeit die Öffentlichkeit von den strategischen Implikationen der neuen Sarkozy-Strategie ablenken könnte). Demnach ist den Interessen des französischen Kapitals am besten gedient, wenn Frankreich möglichst eng mit Washington und der NATO zusammenarbeitet, da die meisten EU-Staaten bereits NATO-Mitglieder sind. Das Verhältnis zwischen der NATO und der EU werde in Paris inzwischen als "komplementär und nicht als rivalisierend" angesehen, berichtete die New York Times am Dienstag unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter von Sarkozy.

Offensichtlich bewußt hatte der französische Präsident die "Weißbuch"-Vorstellung auf die Zeit nach dem irischen Referendum verschoben. Denn die darin enthaltenen Pläne zur Schaffung einer globalen Kriegsfähigkeit Europas hätten der irischen "No"-Bewegung zusätzliche Argumente geliefert. In der Tat enthält Sarkozys Strategie die Forderung nach EU-geführten Militärinterventionen außerhalb der NATO-Strukturen. Während Frankreichs EU-Ratspräsidentschaft ab dem 1. Juli wolle er sich um eine Stärkung der "europäischen Verteidigung" bemühen, so Sarkozy. Er forderte unabhängige militärische Strukturen für die EU und eine "permanente und autonome Planungskapazität".


"Falsche Analyse"

Um die nur schleppend vorangehende Militarisierung der EU, deren Institutionalisierung nun auch noch durch das irische "Nein" zusätzlich erschwert wird, dennoch voranzutreiben, sieht Sarkozys "Weißbuch" die Schaffung einer schnellen Eingreiftruppe von 30000 Mann vor. Diese soll das Rückgrat der geplanten 150000 Soldaten starken EU-Interventionsarmee bilden. Mit ihr würde es der EU ermöglicht, auch in weit entfernten Regionen zeitgleich zwei bis drei Operationen durchzuführen.

Im Unterschied zu der im "Weißbuch" von 1994 festgelegten Strategie wird die neue nicht von Frankreichs Sozialisten (PS) mitgetragen. Auch alle linken Parteien verurteilen die Sarkozy-Vorstellungen. Die PS-Vertreter hatten bereits Anfang April die entsprechende Kommission unter Protest verlassen. Der ehemalige französische PS-Verteidigungsminister Alain Richard wirft Sarkozy vor, daß dessen Strategie "auf einer falschen Analyse der Bedrohungen" basiere. Insbesondere kritisiert Richard die größere Nähe zu den USA und die Rückkehr in die integrierte Kommandostruktur der NATO. Diese verringere "den Einfluß Frankreichs in den Regionen, wo der US-amerikanische Einfluß bereits am Boden liegt".


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Quelle:
junge Welt vom 18.06.2008
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juni 2008