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SICHERHEIT/055: Großer Krieg innerhalb der nächsten 15 Jahre? (guernica)


guernica Nr. 3/2008, Juni/Juli 2008
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Neues Weißbuch der französischen Armee
Großer Krieg innerhalb der nächsten 15 Jahre?

Das neue "Weißbuch" will die französische Armee für den "großen Krieg" nach außen und die "große Krise" im Inneren fit machen.


Signifikantes EU-Rüstungsbudget

Am 16. Juni 2008 legte Frankreich nach 1972 und 1994 ein drittes Mal ein Weißbuch zur Militärpolitik vor. Im Zentrum steht dabei die Stärkung der Rüstungskapazitäten und Kriegsfähigkeit der EU, vornehm umschrieben mit: "Europa muss zu einem Hauptakteur hinsichtlich des Krisenmanagements werden."*) So soll eine 60.000 Mann/Frau starke "Schnelle EU-Eingreiftruppe" zügig einsatzbereit gemacht und mit den erforderlichen Luft- und Marineeinheiten ausgestattet werden. Diese Streitmacht soll zwei bis drei Militärinterventionen gleichzeitig ausführen können. Dafür gibt es insbesondere die Schwächen im Bereich weit entfernter Kriegsschauplätze zu überwinden: Lufttransportkapazitäten (A400M), Luftbetankung, Aufrüstung im Bereich Militärhubschrauber, See-Luft-Kapazitäten (Flugzeugträger, etc.). Der EU-Rüstungsindustrie soll insbesondere im Bereich Kampfflugzeuge, Drohnen, Cruise Missiles, Satelliten, elektronische Bauteile neue Milliardenaufträge verschafft werden, um sich gegenüber der US-Konkurrenz behaupten zu können. Für das Jahr 2009 ist ein 16%iger Sprung nach oben bei den Rüstungsbeschaffungen geplant, nicht zuletzt um die Modernisierung der französischen Atomstreitmacht voranzubringen. Beginnend mit 2009 sollen neue atomare Mittelstreckenraketen, ab 2010 neue atomare Langstreckenraketen in Dienst gestellt werden. Außerdem will sich Frankreich für ein "signifikantes" Rüstungsbudget auf EU-Ebene stark machen.


"Großer Krieg"

Wofür der ganze Aufwand? Die Antwort des Weißbuches: "Sicherstellung der Versorgung mit Energie und strategischen Rohstoffen" und natürlich der obligate "Kampf gegen den Terrorismus der sich perfiderweise immer dort aufhält, wo auch die "strategischen Rohstoffe" lagern. Zum bevorzugten Einsatzgebiet französischer und europäischer Militärinterventionen wird daher "eine geographische Achse vom Atlantik zum Mittelmeer, dem arabischen Golf und dem indischen Ozean" erklärt. "Diese Achse deckt das Gebiet mit der größten Gefährdung der strategischen Interessen Frankreichs und Europas ab". Ohne große Umschweife wird die Bevölkerung auf einen großen Krieg in naher Zukunft eingestimmt: "In einer unsicheren und instabilen internationalen Umgebung kann eine französische Beteiligung an einem Krieg zwischen Staaten nicht ausgeschlossen werden. Bei den Planungen der Streitkräfte für die nächsten fünfzehn Jahre muss daher die Möglichkeit eines großen Konflikts in Rechnung gestellt werden."

Das deckt sich auffallend mit EU-Strategiedokumenten. So hat das Institute for Security Studies - einer der wichtigsten EU-Think Tanks - im sog. "European Defence Paper" die Beteiligung der EU an "militärischen Herausforderungen im Mittleren Osten" in Aussicht gestellt, die "von der gleichen oder sogar einer größeren Dimension als des Golfkrieges von 1990-1991 sind." Zur Erinnerung: bei diesem Krieg wurden rund 300.000 Menschen getötet. Solche "Regionalkriege" müssten "zur Verteidigung europäischer Interessen" geführt werden, wie etwa dem "Stabilitätsexport zum Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Rohstoffen." (European Defence Paper, Paris 2004).


"Große Krise"

Aufrüstung geht zu Lasten von Sozialausgaben. Das Weißbuch rechnet daher auch mit wachsenden sozialen Spannungen im Inneren. Die Armee soll daher nicht nur in Afrika und Asien aufmarschieren, sondern 10.000 Soldaten müssen "auf dem nationalen Territorium mobilisiert werden können, um die zivilen Behörden im Fall einer großen Krise zu unterstützen." Vielleicht ist das der "Hochdruckreiniger", mit dem Sarkozy bereits als Innenminister angekündigt hat, die unruhigen französischen Vorstädte "zu säubern ".

*)Quelle: Das französische Weißbuch für Verteidigung und nationale Sicherheit auf:
http://tinyurl.com/528j9y


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Quelle:
guernica Nr. 3/2008, Juni/Juli 2008, Seite 2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2008