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SICHERHEIT/056: EU-Think Tank fordert Einrichtung eines Militärdirektoriums (guernica)


guernica Nr. 4/2008, 2008
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

"Mit eisernem Willen"
Führender EU-Think Tank fordert die Einrichtung eines Militärdirektoriums

Von Gerald Oberansmayr


In einer jüngst erschienen Studie lassen die EU-Eliten andenken, wie auch ohne Lissabon-Vertrag einer dessen Kernelemente gerettet werden kann: Die Einrichtung eines Militärdirektoriums jener Staaten, die bereit sind "in Rüstung zu investieren und das Leben ihrer jungen Menschen zu riskieren."

Nick Witney hat bereits eine lange Karriere im militärisch-industriellen Komplex hinter sich. Als Chefunterhändler des britischen Verteidigungsministeriums zog er die Fäden beim Al-Yamamah-Waffengeschäft des Rüstungskonzerns British Aerospace Enterprises (BAE) mit dem saudi-arabischen Herrscherhaus. Die BBC enthüllte, dass dabei zwei Milliarden Euro Schmiergeld flossen. Der Deal, bei dem 22 Jahre lang Öl gegen Waffen im Wert von 80 Milliarden Euro getauscht wurden, war politisch so brisant, dass der britische Justizminister Lord Goldsmith 2006 anordnete, die Untersuchungen abzubrechen, weil dadurch die nationale Sicherheit gefährdet sei. Wer so tief im Morast rüstungsindustrieller Geschäfte verwickelt ist, dem stehen auch in Brüssel alle Türen offen. Nick Witney wurde 2003 erster Vorsitzender der EU-"Verteidigungs"-Agentur. Nun verfasste er im Auftrag des European Council on Foreign Relation (ECFR) die Studie "Re-energising Europe's Security and Defence Policy". Das ECFR gilt mittlerweile als einer der einflussreichsten Think Tanks der EU-Militärpolitik. Zu den Gründungsmitgliedern zählt die EU-Elite des politisch-militärisch-wirtschaftlichen Establishments (siehe: ECFR: Who-is-Who der Politik-Militär-Finanz-Eliten)


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ECFR: Who-is-Who der Politik-Militär-Finanz-Eliten

Das European Council on Foreign Relations (ECFR), Auftraggeber dieser Studie, wurde im Oktober 2007 gegründet und unterhält seither Büros in Berlin, London, Madrid, Paris, Rom, Sofia und Warschau. Die Liste der 50 Gründungsmitglieder umfasst das Who-is-Who des Politik-Militär-Finanz-Adels der EU, u.a.:

Robert Cooper (Generaldirektor für Außenwirtschaftsbeziehungen und politisch-militärische Fragen im Generalsekretariat des Rates der EU; Befürworter eines "liberalen Imperialismus")
Joschka Fischer (eh. BRD-Außenminister; machte die Grünen zur Kriegspartei im NATO-Krieg gegen Jugoslawien)
Martti Ahtisaari (eh. UN-Sondergesandter für das Kosovo, verantwortlich für den Ahtisaari-Plan zur Kolonisierung des Kosovo)
George Robertson (eh. NATO-Generalsekretär)
Chris Patten (eh. EU-Außenkommissar)
Giuliano Amator (Italienischer Innenminister)
Pascal Lamy (eh. EU-Handelskommissar)
Caio Koch-Weser (eh. Weltbankdirektor, heute Vizepräsident der Deutschen Bank Gruppe, Mitglied im Kuratorium von Bertelsmann)
George Soros (Finanzmagnat einer der ECFR-Hauptfinanziers)
Dominique Strauss-Kahn (eh. franz. Finanzminister und WTO-Generalsekretär)
Renato Ruggiero (eh. italien. Außenminister und WTO-Generalsekretär)
Rupert Polenz (Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des deutschen Bundestages)
Lionel Jospin (eh. franz. Premierminister)
Karl-Theodor zu Guttenberg (Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des deutschen Bundestages), uvm.

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It's the military, stupid!

Diese Studie räumt mit der vor allem von Grünen und Sozialdemokraten gerne verbreiteten Flunkerei auf, es ginge beim Vertrag von Lissabon um die Demokratisierung der EU. Witney konzentriert sich darauf, warum dieser neue EU-Vertrag für die Eliten so wichtig ist: It's the military, stupid! Angetan hat es Witney in erster Linie die Möglichkeit, ein militärisches Kerneuropa jener Mächte einzurichten, die über "anspruchsvollere Kriterien im militärischen Bereich" verfügen, die sog. "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit": Das Ziel des Lissabonner Vertrages sei es, "eine Art Verteidigungseurozone mit einem harten Kern von sechs bis acht Staaten zu schaffen, die in Verteidigungsfragen schneller und weiter als die anderen voranschreiten." (1) Und genau darum geht es für Witney, um die EU weltmachtfit zu machen. Die militärischen Schwergewichte müssen die Geschicke der EU bestimmen, die Militarisierungsunwilligen müssen von zentralen Entscheidungsgremien ferngehalten werden. Entsprechend "not amused" ist Nick Witney über die Ablehnung des EU-Reformvertrags bei der irischen Volksabstimmung. Gerade die IrInnen, die gemessen am BIP die geringsten Rüstungsausgaben in der EU haben, wagen es dem Aufbau der Militärmacht EU Prügel vor die Füße zu werfen. Doch die Studie weiß eine einfache Abhilfe. Wenn das militärische Kerneuropa nicht auf der Grundlage der EU-Verträge geschaffen werden kann, dann eben ohne. Witney fordert die Einrichtung eines EU-Militärdirektoriums im Rahmen der EU-Verteidigungsagentur. So viel demokratiepolitische Ignoranz muss möglich sein, denn bereits diese Rüstungsagentur hätte eigentlich erst mit Inkrafttreten des EU-Vertrags ins Leben gerufen werden dürfen. Und das hat die EU-Staatschefs auch nicht gekümmert, sie haben die Einrichtung dieser Schaltzentrale für EU-Rüstungsprojekte ohne Konsultation von Bevölkerungen und Parlamenten einfach "vorgezogen". Witney: "Wenn die Verabschiedung des EU-Vertrags stark verzögert wird oder noch Schlimmeres passiert, dann sollte dieses Modell trotzdem geschaffen werden - so dass so viel wie möglich davon in die Arbeit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) integriert werden kann. Die ESVP braucht dringend Pioniergruppen und die Grundlage dafür um dieses Konzept zu implementieren, existiert bereits mit der Europäischen Verteidigungsagentur." (2, S. 27)


"Das Leben der jungen Menschen riskieren."

Die Studie schlägt einen dreistufigen Ausleseprozess vor, um das militärische Kerneuropa aus der Taufe zu heben

Basiskriterium: Mindestens 1% Rüstungsausgaben am BIP
Aufbaukriterium: Spezielle Pioniergruppen für die wichtigsten Rüstungsbereiche (Forschung und Technologie, Rüstungskooperation, Rüstungsindustrie, etc.)
Elitekriterium: "Aus den speziellen Pioniergruppen eine Kerngruppe gebildet werden, die sich aus den Staaten zusammensetzt, die am meisten zu den meisten Aktivitätsbereichen beitragen." (2, S. 3)

Am Ende der Selektion steht ein EU-Militärdirektorium, in dem der "Einfluss proportional zu den Beiträgen jedes Landes sein soll." Witney will jene, Staaten im Zentrum der EU-Macht, die "bereit sind, Geld für Rüstung auszugeben, das Leben ihren jungen Menschen zu riskieren und in die Modernisierung der Rüstung zu investieren." (2, S. 22)

Die Bereitschaft, "das Leben der jungen Menschen zu riskieren", betont Witney besonders, denn seiner Ansicht nach haben die Soldaten nichts mehr bei der Verteidigung des eigenen Landes verloren, Offensivgeist ist gefragt - und das weltweit. Verächtlich resümiert Witney: "Nur 30% der EU-Soldaten können außerhalb, des nationalen Territoriums operieren. Was die anderen 70% mit ihren Tagen tun ist ein Geheimnis." (2, S. 20) Und nur 5%, das sind 98.000 EU-Soldaten, sind tatsächlich in Irak, Afghanistan, Kosovo, Bosnien, Tschad, Kongo, Libanon, usw. im Einsatz. Das ist ihm viel zu wenig. Großbritannien, das satte 19% seiner Jungs weltweit besetzen und kämpfen lässt, gilt Witney in dieser Hinsicht als leuchtendes Vorbild: "Schließlich sind (weltweit, Anm. GO) einsetzbare Truppen nur dann von Wert, wenn sie auch tatsächlich zum Einsatz gebracht werden." (2, S. 20)


Zahlen sollen alle

Das EU-Militärdirektorium sei - so die Studie - unentbehrlich, um einige Durchbrüche zur Erlangung weltweiter Kriegseinsätze zu schaffen:

Neue Rüstungsprogramme insbesondere in den Bereichen: Transport von Truppen und Material zu den Kriegsschauplätzen; Schutzmaßnahmen und Unterstützung für die kämpfenden Bodentruppen; bessere Kommunikationsmittel und Logistik sowie Präzisionswaffen. Mit Hilfe der EU-Verteidigungsagentur sollen gemeinschaftlich jene militärischen Riesenprojekte angestoßen werden, die die Finanzkraft der einzelnen Staaten übersteigen, wie z.B. beim gemeinsamen Lufttransportkommando, das derzeit von Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden errichtet wird.

Viel mehr Truppen und Kriegsmaterialien müssen auf "Stand by" gestellt werden, d.h. sie müssen so in Warteposition gehalten werden, dass sie auf Knopfdruck für globale Militäreinsätze abrufbereit stehen. Ausdrückliches Lob zollt die Studie dem "Battle-Group"-Konzept, das bereits nach diesem "Stand by"-Prinzip funktioniert.

Der bisherige Mechanismus, wonach die Kosten für Militäreinsätze bei jenen Staaten anfallen, die sich daran beteiligen, muss schleunigst überwunden werden. Denn das schaffe einen "negativen Anreiz", sich vorm Kriegführen zu drücken. Entscheiden dürfen im EU-Militärdirektorium die militärisch Mächtigen und Willigen, für deren Militärabenteuer sollen dann aber alle zur Kasse gebeten werden.

Das militärische Kommando muss in Brüssel zentralisiert werden. Die Studie fordert die Schaffung eines voll integrierten, operativen Hauptquartiers, das unter der Führung von Javier Solana alle EU-Operationen, militärische wie zivile, befehligt.

Mächtige EU-Rüstungsgiganten müssen aus dem Boden gestampft werden. Als Vorbild dient die Politik der US-Regierung Anfang der 90er Jahre, als das Pentagon durch gezielte Auflagen bei den Rüstungsaufträgen die US-Kriegswaffenindustrie zu einer großangelegten Konzentrations- und Fusionswelle zwang.


Kampfhubschrauber statt Spitäler

Der Studienautor weiß freilich, dass die Unterstellung Europas unter ein EU-Militärdirektorium kein Unterfangen darstellt, das die demokratische Zustimmung der Bevölkerungen finden wird. Er fordert daher - in Anlehnung an den preußischen General Clausewitz - die politische Führung auf, diese politische Neuordnung Europas mit "eisernem Willen" (2, S. 51) durchzuziehen. "Wenige Nationalratsabgeordnete wollen vor ihrer Wählerschaft begründen, warum deren Steuern für Kampfhubschrauber statt für Spitäler verwendet werden sollen ... Militärische Operationen kosten Geld und riskieren Menschenleben. Nur ein eiserner politischer Wille, untermauert von klarem Zielbewusstsein, kann dafür sorgen, dass sich diese strategische Orientierung gegen kurzfristige Unannehmlichkeiten durchsetzt. "(2, S. 9, 51)

Mit "eisernem Willen" Kampfhubschrauber statt Spitäler durchboxen - der Mann bringt auf den Punkt, worum es in der EU geht.


Anmerkungen:

(1) zit. nach Jürgen Wagner, Lissabonner Vertrag hin oder her - das militärische Kerneuropa soll kommen!, IMI-Studie 08/2008

(2)Quelle: Re-energising Europe's Security and Defence Policy, Nick Witney, Policy Paper im Auftrag des European Council on Foreign Relations (ecfr.eu)


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Quelle:
guernica Nr. 4/2008, August/September 2008, Seite 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2008