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SICHERHEIT/060: Kolonialpolitik Naher Osten - Exporteure des Todes (guernica)


guernica Nr. 1/2009, Januar/Februar 2009
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Kolonialpolitik II: Naher Osten
Exporteure des Todes

Von Gerald Oberansmayr


Die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten kann nicht von der Politik der westlichen Großmächte getrennt werden, die die Region mit Waffen vollpumpen. Dabei haben die EU-Staaten mittlerweiLe bereits die USA überrundet. Mit der Forderung nach Stationierung von EU-Truppen in Palästina, wird versucht, die jüngste Gewalteskalation für europäischen Machtgewinn im Nahen Osten zu nutzen.


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Zwei Drittel der Rüstungsexporte in Entwicklungsländer von USA und EU-Staaten

Die weltweiten Waffenexporte sind seit 2000 deutlich angestiegen. Machte das Volumen der gesamten Waffenexportverträge im Zeitraum 2000 bis 2003 147,6 Mrd. US-$ aus *), so waren es im Zeitraum 2004 bis 2007 bereits 208,3 Milliarden US-$. Alleine 2007 waren es rd. 60 Mrd. US-$ (plus 9,2% gegenüber dem Vorjahr). Rund zwei Drittel - Tendenz steigend - geht davon in Entwicklungsländer. Die größten Waffenexporte strömen in die Länder des Nahen Ostens. Im Zeitraum 2000-2003 waren es 42,3% aller Rüstungsverträge mit Staaten der "3. Welt") (33,3 Mrd. US-$), im Zeitraum 2004-2007 bereits 46,3% (63,1 Mrd. US-$).

Die Hauptprofiteure des Geschäfts mit dem Tod sind die Rüstungskonzerne der USA und Westeuropas, wobei letztere dramatisch gegenüber den USA aufgeholt haben und sich beim Waffenexport in Länder der "3. Welt" mit einem Riesensprung von 2006 auf 2007 an die Spitze gesetzt haben: Alleine die größten vier EU-Rüstungsexportnationen (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien; im Folgenden EU-4) konnten ihren Anteil an den Waffenexportverträgen mit Entwicklungsländern von 18,5% (2006) auf 32,2% (2007) steigern. Da konnte nicht einmal die USA mithalten, deren Anteil von 24% auf 28,8% wuchs. Die westlichen Großmächte machen gemeinsam fast zwei Drittel der Rüstungsgeschäfte mit den Entwicklungsstaaten. Noch deutlicher sind die absoluten Zahlen. Zwischen 2002 und 2007 haben sich die die Waffenexportverträge der EU-4 versiebenfacht, auf knapp 14 Milliarden US-$.


Die neue Nummer 1

In keiner Region ist die Vorherrschaft des Westens bei den Rüstungsexporten so drückend wie in der Nahost-Region. USA und EU-Staaten pumpen diese Region mit Waffen voll. Und auch hier haben die Westeuropäer geradezu explosionsartig zugelegt und die USA auf den zweiten Platz verwiesen. Im Zeitraum 2000 - 2003 hatte die USA mit einem Anteil von 73,6% der Rüstungsexporte (Vertragsvolumen) im Nahen Osten noch eine hegemoniale Position, die EU-4 hielten gerade einmal bei 5,7%. Doch der Zeitraum 2004 - 2007 zeigt bereits an völlig anderes Bild: Die EU-4 haben sich mit 37,6% deutlich vor den USA mit 32,8% an die Spitze gesetzt (sh. unten). USA und EU-4 gemeinsam beherrschen 70% des Todesmarktes im Nahen Osten, deutlich vor Russland, das allerdings seinen Anteil mehr als verdoppeln konnte. In absoluten Zahlen heißt das: Das Volumen der Rüstungskontrakte der EU-4 mit Ländern des Nahen Osten stieg von 1,9 Mrd. US-$ (2000-2003) auf 23,7 Mrd. US-$ (2004-2007), also das mehr als Zwölffache. Das reflektiert auch die Verschiebung der Struktur innerhalb der Zielländer westeuropäischer Rüstungsexporte: Das Gewicht des Nahen Osten erhöhte sich von 28% aller EU-4-Rüstungsexporte in "3. Welt"-Staaten (2000-2003) auf das mehr als Doppelte, nämlich fast 64% (2004-2007).

Es lohnt sich, die Empfängerländer im Nahen Osten näher aufzuschlüsseln: Wenig überraschend erfreut sich Israel großzügiger Waffenlieferungen durch die USA, wobei ab 2004 auch die EU-4 in das Rüstungsgeschäft mit Israel einstiegen. Israel ist seit Jahrzehnten Besatzungsmacht, die sich keinen Deut um UN-Resolutionen schert. Was dem Irak Saddam Husseins 1991 (nach der Besetzung Kuwaits) eine Krieg und Hundertausenden IrakerInnen den Tod bracht, wird im Falle Israels mit Waffenlieferungen und politischer Rückendeckung für Blutbäder wie vor kurzem in Gaza vergolten.

Doch Israel ist nicht das Hauptempfängerland. Die meisten Waffen gehen an das wohl reaktionärste Regime im Nahen Osten, an Saudi-Arabien. Die EU-4 schlossen alleine zwischen 2004 und 2007 Rüstungsverträge im Ausmaß von sagenhaften 16.900 Mrd. US-$ mit den Scheichs am Golf ab. Nichts straft die westliche Menschenrechtsrethorik mehr Lügen als ihre Rüstungsexportgeschäfte. Denn Saudi-Arabien ist in der Tat das, was man den sog. "Schurkenstaaten" so gerne vorhält. Saudi-Arabien ist eine der letzten absoluten Monarchien, eine Diktatur, in der die Scharia herrscht, öffentlich ausgepeitscht wird, Köpfe und Hände abgehackt, Frauen fundamentale Rechte vorenthalten, homosexuelle Beziehungen mit der Todesstrafe geahndet werden, Parteien verboten sind und Oppositionelle brutal verfolgt werden. Aber was bei dem einen als Vorwand für Krieg und Besatzung herhalten muss, nimmt man im Falle Saudi-Arabien augenzwinkernd zur Kenntnis und honoriert es mit milliardenschweren Waffendeals. Schließlich sind es "unsere" Diktatoren und Folterer, die nebenbei auf den weltweit größten Erdölvorkommen sitzen. Merke: "Schurkenstaaten" sind Staaten wie Syrien, Iran und Irak (vor 2003), weil sie nicht mit "uns" sondern mit anderen Großmächten wie Russland und China kungeln und von dort ihre Waffen beziehen.


Brandstifter als Feuerwehr

Rüstungsexporte folgen einer vorwiegend politischen Logik. Sag mir, wem du Waffen lieferst und ich sag dir, wer deine Verbündeten sind. Dass der Westen sowohl Israel als auch dessen erzreaktionäre Opponenten wie Saudi-Arabien mit Waffen überschwemmt, legt ein grundlegendes Muster der Kolonialpolitik offen. Die Kolonialmächte haben kein Interessen an Frieden und Aussöhnung in der Region, denn das könnte ihren Einfluss zurückdrängen. Eine Politik des ständigen "Teile und Herrsche" soll die westliche Vorherrschaft in dieser geostrategisch und wirtschaftlich so wichtigen Region absichern. Dafür werden auch rivalisierende Mächte und Gruppen mit Waffen und politischer Rückendeckung versorgt. Der Westdarling Saudi-Arabien erkennt bis heute nicht die Existenz Israels an und unterstützt islamistische Organisationen wie die Hamas politisch und finanziell. Der Aufstieg der Hamas wurde von Israel und dem Westen zu Beginn sogar selbst gefördert, um ein Gegengewicht zur PLO zu schaffen, als diese noch als fortschrittliche Befreiungsbewegung agierte. Das Ziel: Transformation des sozialen Befreiungskampf in einen "Kampf der Kulturen". Aus dem Kampf gegen Besatzung und soziale Ungerechtigkeit, der Bündnisse von fortschrittlichen PalästinenserInnen und Israelis ermöglicht, soll ein Kampf Volk gegen Volk werden. Ethnizismus ist immer die Kehrseite des Kolonialismus. Indem man soziale Konflikte kulturell und religiös zuspitzt, werden diese unlösbar gemacht, sodass die dauerhafte Intervention der Großmächte als "Sicherheitsgaranten" unverzichtbar erscheint. Die Brandstifter rufen sich selbst als Feuerwehr, um weiterhin mit Benzin - Waffen, Truppen, Gewalt - zu löschen.


Palästina als neues EU-Protektorat?

Rüstungsexporte geben auch Auskunft über globale politische Kräfteverhältnisse. Der Aufstieg der EU-Staaten zu den führenden Rüstungsexporteuren in die Staaten der "3. Welt" im allgemeinen und in die Nah-Ost-Region im besondern zeigt, dass sich die antiimperialistischen Bewegungen aus der allzu simplen Frontstellung lösen müssen, wo der Hauptfeind ausschließlich in der Allianz USA-Israel festgemacht wird. Die Machteliten der großen EU-Staaten drängen auf die Hegemonie im Nahen Osten. Erst unlängst haben die EU-Staatschefs die Absicht bekräftigt, eine 60.000 Mann/Frau starke Eingreiftruppe aufzustellen, die im "EU-Hinterhof" für Gefügigkeit sorgen und nötigenfalls die Ungefügigen mit "Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen" (European Defence Paper, 2004) zur Räson bringen soll. Dieser "Hinterhof" wird in diversen EU-Dokumenten mit einem Radius von 4.000 Kilometern rund um die EU definiert und umfasst damit die rohstoffreichen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralafrikas.

Der französische Präsident Sarkozy hat den israelischen Angriff auf den Gaza-Streifen postwendend genutzt, um die Stationierung von EU-Truppen im Westjordanland zu fordern. Anstelle eines unabhängigen Palästina soll ein neokoloniales EU-Protektorat nach dem "Vorbild" Bosniens und des Kosovos geschaffen werden. Sarkozy greift damit jenen Faden auf, den der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer zu spinnen begann. Fischer versuchte ebenfalls, die Gewalteskalation im Jahr 2002 für die Implementierung von EU-Truppen in Israel/Palästina zu instrumentalisieren. Die Strategie, durch dauerndes ethniscbes Zündeln die Gewalt soweit aufzuschaukeln, dass das militärische Eingreifen von außen schließlich unausweichlich scheint, hat man ja in Jugoslawien von der Pike auf gelernt.


Die Zahlen sind entnommen: CRS Report for US-Congress - Conventional Arms Transfers to Developing Nations, 2000-2007, 23. Oktober 2008. Die Zahlen beziehen sich auf die Volumina der im jeweiligen Zeitraum abgeschlossenen Rüstungsexportverträge.


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Rüstungsexportverträge mit Ländern des Nahen Ostens
Anteil der Lieferländer in %

2000-2003
USA: 74 %
Russland: 9 %
China: 2 %
EU-4 (GB, FR, BRD, IT): 6 %
Rest: 9 %

2004-2007
USA: 33 %
Russland: 21 %
China: 3 %
EU-4 (GB, FR, BRD, IT): 37 %
Rest: 6 %

Quelle: US-Regierung


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Quelle:
guernica Nr. 1/2009, Januar/Februar 2009, Seite 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2009