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SICHERHEIT/061: EU-NATO - Konkurrenz oder Kuschelkurs? (guernica)


guernica Nr. 2/2009, April/Mai 2009
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

EU-NATO: Konkurrenz oder Kuschelkurs?

"Abrüstung und Demilitarisierung bleiben auf der Strecke"


Als Verteidigungsminister Darabos kürzlich im Profil sinngemäß meinte, die NATO sei, im Unterschied zur Europäischen Union, ein Militärpakt mit Antworten von gestern auf die Fragen von morgen, erwähnte er nicht das tiefe und umfangreiche Engagement Österreichs innerhalb der NATO (NATO-Partnership for Peace PfP). Heute wären viele EU-Operationen und -Missionen ohne Unterstützung der NATO nicht machbar und unsere Erfahrungen im Rahmen der HP ermöglichen unserem Heer eine gut vorbereitete Teilnahme in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU. Die Berührungspunkte zwischen EU und NATO sind vielfältiger Art aber auch mancher argwöhnischer und kritischer Beobachtung ausgesetzt.


EU und NATO finden einander

Die strategische Partnerschaft zwischen EU und NATO findet sich in einer nicht im EU-Amtsblatt veröffentlichten Erklärung beider Seiten vom 16.12.2002. Auf der Basis sog. gemeinsamer Werte soll die EU zusätzliche Fähigkeiten für Einsätze zur Krisenbewältigung einbringen. Gegenseitiges Stärken, permanenter Dialog, die Abstimmung der Maßnahmen und die Wahrung unterschiedlicher Interessen der Partner sind die Grundsätze dafür. Als Ziele werden die für beide Seiten nutzbringende Entwicklung und Bereitstellung von Kapazitäten und Kräften, der Zugang der EU zu den Planungskapazitäten der NATO und die Einbindung jener NATO-Staaten ohne EU-Mitgliedschaft in die GSVP genannt. Damit wird eine bereits zu Mitte der 90-iger Jahre bei den Militärmissionen am Balkan beginnende Zusammenarbeit formell festgeschrieben. Die Entscheidung zu ihrer Verstärkung erfolgte dann am NATO-Gipfel 1999 in Washington bzw. am EU-Gipfel von Nizza 2000.


"Berlin-Plus" - NATO hilft EU

Um die militärische Schlagkraft der EU zu verbessern - es fehlt ja noch an diversen Kapazitäten wie etwa beim Lufttransport - wurde am 17. März 2003 die sog. "Berlin-Plus-Vereinbarung" abgeschlossen. Sie regelt die NATO-Unterstützung bei EU-Operationen ohne Einbindung des gesamten Nordatlantik-Bündnisses. Inhalt ist das Angebot der NATO über die Nutzung von Planungs-, Stabs- und Geheimdienststrukturen bis hin zur Kommandoübernahme von EU-Einsätzen durch die in Europa befindlichen NATO-Stäbe. Weiters werden, in Absprache, der Zugang zu NATO-Ressourcen und das NATO-Fähigkeitenprogramm für die Standardisierung gemeinsamer Einsatzkräfte angeboten.


Intensive Weiterentwicklung der Beziehungen

Ein auf Initiative Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens verfasstes Dokument "Europäische Verteidigung: NATO/EU Konsultationen, Planungen und Operationen" wurde Ende 2004 vom Europäischen Rat beschlossen und zur Umsetzung freigegeben. Kern ist die nochmals intensivierte Kooperation in Form von Verbindungselementen, einer EU-Zelle im militärischen Hauptquartier der NATO SHAPE und umgekehrt eine NATO-Zelle im EU-Militärstab. Um eine künftige Eigenständigkeit der EU bei Militärmissionen zu erreichen, wurde den neuesten Strategievorgaben folgend eine zivil-militärische Zelle im EU-Militärstab geschaffen. Dieses Element soll als Operationszentrum für autonome EU-Einsätze in der Zukunft dienen und kann seit Beginn 2007 aktiviert werden. Mit allen diesen gegenseitigen Verknüpfungen steigt natürlich der Einfluss der NATO auf die Planung von Missionen im Rahmen der GASP und GSVP. Die Begriffe "Krisenbewältigung und humanitäre Operation" sollen den beinharten militärischen Problemlösungskurs verharmlosen. Das Angebot der NATO an die VN, künftig UN-Friedensmissionen als NATO selbst auszuführen, ist Teil einer neuen Strategie.


Auf Piratenjagd

Neben separaten und gemeinsamen Einsätzen von NATO und EU (ISAF-Afghanistan oder am Balkan) gibt es aktuell die Jagd auf Piraten vor der Küste Somalias in Form von NATO-Marineeinsätzen und der EU-Operation ATLANTA. Die EU möchte damit ihre Seekriegsfähigkeit weit außerhalb Europas unter Beweis stellen. Auch hier wird zunehmend gemeinsam geplant und agiert, ohne, wie so oft in vergleichbaren Fällen, die Ursachen auf politischer Ebene zu bearbeiten.


Konkurrenz oder Kuschelkurs?

Beides trifft genau genommen nicht ganz zu, schon eher der Begriff einer Zweckgemeinschaft. Unbestritten ist ein latentes Misstrauen hinsichtlich einer zu starken Eigenständigkeit europäischer Sicherheitspolitik durch die NATO-Leitmacht USA. Beim fast ausschließlich militärischen Lösungsansatz der NATO und der aggressiven Außenpolitik der abgewählten Bush-Administration einerseits und einer gemäßigteren EU-Politik mit einigen nichtmilitärischen Komponenten andererseits ist bis dato eine tiefe Kluft erkennbar. Auch US-Präsident Obama ist mit einigen seiner sicherheitspolitischen Wünsche an Europa vorerst abgeblitzt. Die geringeren finanziellen Ressourcen auf Grund der Wirtschaftskrise und langwierige Entscheidungsprozesse wegen der Erweiterungen bei NATO und EU zwingen zur Aufteilung der Aufgaben und zu verstärkter Zusammenarbeit. Eine gegenteilige Position - eine Politik der Abrüstung und Demilitarisierung - bleibt dabei auf der Strecke.


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Obama: Weitere 91,3 Mrd. für Kriege in Irak und Afghanistan

US-Präsident Obama forderte zusätzliche Mittel für die Kriege im Irak und Afghanistan und bekommt sie. Der US-Senat bewilligt Ende Mai weitere 91,3 Milliarden für diese beiden Kriegsschauplätze. Die Gesamtkosten der USA für die Kriege im Irak und in Afghanistan summieren sich damit auf mehr als 900 Milliarden Dollar. Erstmals wird der Einsatz am Hindukusch teurer als der im Irak. Obama hat die Entsendung von mehr als 20.000 zusätzlichen Soldaten nach Afghanistan beschlossen. Mit den Truppen zur logistischen Unterstützung wird sich die Zahl der Soldaten bis Jahresende im Vergleich zu Ende 2008 damit auf rund 68.000 mehr als verdoppeln.


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Quelle:
guernica Nr. 2/2009, April/Mai 2009, Seite 10
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2009