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SICHERHEIT/064: "Ja, der Balkan ist unser Hinterhof" (guernica)


guernica Nr. 1/2010
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

"Ja, der Balkan ist unser Hinterhof"
Bundesheer verdoppelt Truppenstärke in Bosnien-Herzegowina

Von Gerald Oberansmayr


Anfang Juni beschloss der österreichische Nationalrat einstimmig die Verdoppelung des Bundesheerkontingents für die EUFOR-Truppe in Bosnien-Herzegowina. Damit stellt Österreich das größte EUFOR-Truppenkontingent und unterstreicht seine Führungsrolle bei dieser Kolonialmission. Die Soldaten dienen dazu, "beschleunigte Privatisierung" und "freien Kapital- und Warenverkehr" in diesem bettelarmen Land durchzusetzen. Denn - so ein früherer österreichischer Verteidigungsminister: "Das Bundesheer dient dazu, am Balkan der Wirtschaft den Boden aufzubereiten."


Anfang Juni beschloss der Hauptausschuss des Nationalrats einstimmig, das Kontingent des Bundesheers bei der EUFOR-Truppe in Bosnien zu verdoppeln. Ab Juli 2010 wird Österreich damit mit rd. 400 Mann/Frau ein Fünftel der EU-Truppe stellen. Österreich unterstützt damit indirekt auch den Krieg in Afghanistan, da die österreichischen Truppen für jene Truppen aus Italien, Polen und Spanien nachrücken, die von Bosnien nach Afghanistan verlegt werden. Vor allem aber unterstreicht die österreichische Regierung immer offener den Führungsanspruch bei der Kolonialverwaltung Bosnien und Herzegowinas durch die EU. Während EU-Verantwortliche in anderen Weltregionen als Hohepriester von Demokratie und Menschenrechten auftreten, feiern im eigenen "Hinterhof' autoritäre Kolonialregime traurige Urstände.


"Verblüffende Ähnlichkeiten"

Selbst die in dieser Hinsicht bestimmt nicht pingelige Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) urteilte. bereits im Jahr 2003 über das Bosnien-Regime: "Zwischen dem Amtsverständnis der internationalen Verwaltung in Bosnien-Herzegowina und jenem der Beamten der britischen East India Company im frühen 19. Jahrhundert bestehen verblüffende Ähnlichkeiten." (FAZ, 25.07.2003). Dieser "Hohe Repräsentant" der westlichen Staatengemeinschaft, der von der EU bestimmt wird, hatte volle Exekutivrechte: Er kann Parteien auflösen, Wahlergebnisse annullieren, gewählte Präsidenten, Regierungschefs, und Bürgermeister abberufen, Richter entlassen, Gesetze oktroyieren und neue Behörden schaffen. Auch die Zentralstellen der Wirtschaftspolitik sind fest in der Hand der Besatzer: Der Präsident der bosnischen Zentralbank wird vom Internationalen Währungsfond bestimmt und darf weder ein Bürger Bosnien-Herzegowinas noch eines der Nachbarstaaten sein. Die seit 2004 von der EU geleitete Militärmission "Althea" stellt das militärische Rückgrat dieser Kolonialverwaltung dar.


"Auflösung einer Demonstration"

Was ist das Ziel dieses Regimes in Bosnien? Auskunft darüber gibt zum Beispiel ein Blick in das Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen, das die EU: 2008 mit Bosnien "abgeschlossen" hat. Dort verpflichtet sich Bosnien unter anderem zu:

"freiem Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr"
"Beschleunigung des Privatisierungsprozesses."
"Abbau starrer Strukturen, die den Arbeitsmarkt beeinträchtigen, insbesondere in den Bereichen Arbeitsbesteuerung, Höhe der Sozialtransfers und Lohngestaltungsmechanismen."(1)

Es geht letztlich um eine neoliberale Zurichtung für die Konzerne der EU-Zentrumsländer. Der Bankenbereich ist bereits zu 90% privatisiert und, wird nicht zuletzt von österreichischen Banken kontrolliert. Die Leistungsbilanz ist extrem negativ, die Transfers und Kredite der "westlichen Staatengemeinschaft" landen damit umgehend wieder auf den Konten westlicher Konzerne. Die soziale Lage der Menschen bleibt trist: Die Wirtschaftsleistung dümpelt bei 60% des Vorkriegsniveaus; über 40% der Menschen sind arbeitslos, 18% leben in eklatanter Armut, weitere 23% gelten als armutsgefährdet (ORF, 28.01.2010). Die EU beeindruckt das freilich wenig. Im sog. "Fortschrittsbericht" heißt es: "Bosnien und Herzegowina erzielte bei der Schaffung einer funktionierenden Marktwirtschaft weitere Fortschritte. Die Reformen müssen kontinuierlich und entschlossen vorangetrieben werden, damit das Land dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union langfristig standhalten kann." (2)

Die EUFOR-Truppe soll die autoritären Vollmachten des "Hohen Beauftragten" bei der Durchsetzung von Freihandel, freiem Kapitalverkehr und beschleunigter Privatisierung mit dem entsprechenden Gewaltpotential ausstatten. Offensichtlich stößt man dabei auf Widerstand. Aus dem Bericht zur Vorbereitung von Bundesheersoldaten auf den Einsatz in Bosnien lesen wird: "Als Höhepunkt der Leistungsschau lösten Kräfte des Manöverbataillons und der Integrierten Polizeieinheit gemeinsam eine Demonstration auf" (Medieninformation des Verteidigungsministeriums, 11.03.2010)


Für Raiffeisen & Co den Boden aufbereiten...

Es ist kein Zufall, dass der "Hohe Repräsentant" der internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien nun bereits zum zweiten Mal von einem Österreicher gestellt wird (nach Wolfgang Petritsch von 1999 bis 2002 ist das seit dem Vorjahr Valentin Inzko) und auch die EUFOR-Truppe seit Dezember 2009 vom österreichischen Generalmajor Bernhard Bair geleitet wird. Denn österreichische Konzerne haben sich - neben deutschen - bei Privatisierung und Markteroberung einen Spitzenplatz in dieser EU-Kolonie erobert Raiffeisen ist mit einem Marktanteil von 21% und einer Bilanzsumme von 2,4 Milliarden Euro die größte Bank in Bosnien. Die Wirtschaftskammer freut sich, dass die österreichischen Unternehmen seit 1995 "zu den größten Investoren" in Bosnien-Herzegowina zählen. Dass Militär und Konzerne eine enge Liaison pflegen, weiß man spätestens seit den freimütigen Worten des - mittlerweile ehemaligen - deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler. Der frühere Verteidigungsminister Platter hatte schon viel früher ungeniert ausgeplaudert, dass der Einsatz des Bundesheeres am Balkan dazu diene "der Wirtschaft den Boden aufzubereiten." (Der Standard, 10.9.2003).


...und sich Einlass in den militärischen Führungskern der EU verschaffen

Freilich sind es nicht nur die wirtschaftlichen Interessen, für die sich die österreichischen Machteliten in der EU militärisch profilieren wollen. Mit dem Lissabon-Vertrag wurde die Grundlage für ein militärisches Kerneuropa, die sog. Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, geschaffen, das in Zukunft einen inneren Führungskern der EU bilden wird. Wer, da nicht drinnen ist, sitzt am Katzentisch der Macht. Und Eingangsbedingung ist die Bereitschaft, sich an den großen EU-Rüstungsprogrammen ebenso zu beteiligen wie an den diversen Militärmissionen. Eurofighter-Ankauf und Balkan-Missionen dienen offensichtlich dazu, Faymann, Pröll & Co. Einlass in diesen inneren Führungszirkel der EU-Macht zu verschaffen.

Die Teilhabe an der EU-Militarisierung ist mittlerweile zum geheimen Konsens aller Parteiführungen im Parlament geworden. Deshalb konnte Verteidigungsminister auch der Abstimmung über die Verdoppelung des Bosnienkontingents gelassen entgegenblicken. Er erwarte "keine Diskussionen" (OTS, 26.04.2010), ließ er bereits im Vorfeld den Sekretariaten der anderen Parteien über die Medien ausrichten. Und tatsächlich standen alle Habt Acht: Nicht nur die rot-schwarze Regierungsriege, auch "her majesty's loyal opposition" von grün, blau und orange stimmte der Truppenentsendung geschlossen zu. Ebenso einstimmig wurde im Parlament der Truppenübungsplan des Bundesheeres für 2010 abgenickt, mit dem das Bundesheeres auf die Teilnahme an den EU-Battlegroups für weltweite Militäreinsätze derzeit vorbereitet wird.


"Genscher's war"

Die EU rechtfertigt ihre Kolonialmissionen am Balkan immer wieder damit, dass diese dort dafür sorgen müssen, den ethnischen und nationalistischen Hader einzudämmen. Nichts könnte weiter von der Realität entfernt sein. Gerade die, Politik der EU, angetrieben von den deutschen Machteliten, hat maßgeblich dazu beigetragen, den nationalistischen Hass am Balkan anzustacheln, indem die rasche Sezession von Jugoslawien mit allen Mitteln und ohne jegliche Rücksicht auf Minderheitenfragen gefördert wurde.

Gerade im Fall Bosniens mit seinen vielfältigen ethnischen Spannungen musste das zum Bürgerkrieg führen. Nicht umsonst bezeichnete Cyrus Vance, der langjährige amerikanische Balkanbeauftragte, den Bosnien-Krieg nach dem damaligen deutschen Außenminister als "Genscher's war". Genscher erhielt dabei kräftige Unterstützung durch seinen österreichischen Amtskollegen Alois Mock, der sich bemerkenswerterweise auch damals schon auf die Rückendeckung sowohl der grünen als auch der freiheitlichen "Opposition" verlassen konnte. Bürgerkrieg und NATO-Militärinterventionen wurden schließlich geschickt genutzt, sich als Kolonialherren in dieser Region zu etablieren. Anfang dieses Jahrzehnts konnte die "Welt", ein Sprachrohr der deutschen Eliten, schließlich den machtpolitischen Vollzug melden: "Wenn demnächst auf die eine oder andere Weise Mazedonien noch dazukommt, wird die gesamte Region ein unerklärtes Protektorat der Europäischen Union sein. .... Ja, der Balkan ist unser Hinterhof Ja. wir haben dort Interessen, für die wir einstehen wollen. Ja, militärische Macht gehört in letzter Konsequenz eben doch zu den Mitteln, diese Interessen und Werte durchzusetzen. Franzosen und Briten war dieser selbst bewusste Kanon vielleicht nicht neu, doch auch sie blieben auf dem Balkan ohne Macht - bis die Deutschen sich besannen, zögerlich noch unter der Regierung Kohl, zur Entschlossenheit gezwungen unter der Regierung Schröder. So hat sich Europa verändert, weil vor allem die Deutschen sich verändert haben. ... In diesem Selbstbewusstsein haben die Europäer die politischen Regeln des Westens in Südosteuropa durchgesetzt. ... Wer Stärke zeigt, Wer Interessen hat und sie durchsetzen will - der haftet lange." (Die Welt, 30.06.2001)

Die enge Abstimmung und Anbindung an die Berliner Außenpolitik ermöglichte es den österreichischen Macht- und Wirtschaftseliten, an die eigenen unseligen Kolonialtraditionen in dieser Region anzuknüpfen. Dass ab Juli das größte EUFOR-Kontingent von Bundesheer-SoldatInnen gestellt wird, ist ein weiterer Schritt in diese Richtung.


Bundesheer von Kolonialmissionen am Balkan abziehen!

Die Werkstatt Frieden & Solidarität fordert den Rückzug der österreichischen Soldaten und Soldatinnen von den Kolonialmissionen am Balkan. Denn: Die Länder und Völker dieses Raumes werden erst dann wieder eine Chance auf wirtschaftliche Entwicklung und politische Selbstbestimmung haben, wenn sie sich aus der kolonialen Bevormundung durch die EU und vom ethnischen Hader befreien können. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Umgekehrt gilt auch für Österreich: Erst der Ausstieg aus der EU-Militärpolitik und die Abkoppelung von der Berliner Außenpolitik kann wieder Spielraum für eine weltoffene Außenpolitik eröffnen, die den Nachbarn im Südosten auf Augenhöhe und nicht als Kolonialherren begegnet.


Quellen:

(1) Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen der EU mit Bosnien-Herzegowina, 16.06.2008

(2) EU-Kommission, Wichtigste Erkenntnisse aus den Fortschrittsberichten über Albanien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Serbien und das Kosovo, 14.10.2009


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Quelle:
guernica Nr. 1/2010, Seite 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2010