Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 30. Mai 2023
german-foreign-policy.com
Schlüsselgremium für transatlantische Sanktionen
Transatlantisches Gremium plant nach erfolgreicher Koordination der westlichen Russland-Sanktionen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen gegen China. EU bereitet Economic Security Strategy vor.
WASHINGTON/BRÜSSEL - Der heute zusammenkommende EU-U.S. Trade and Technology Council (TTC) plant nach erfolgreicher Koordination der westlichen Russland-Sanktionen neue Maßnahmen zur ökonomischen Eindämmung Chinas. Das geht laut Berichten aus einem Entwurf für die Abschlusserklärung des transatlantischen Treffens hervor. Der TTC, der 2021 gegründet wurde, um die transatlantischen Differenzen der Ära Trump auf ökonomischem Feld zu überwinden, hat sich nach dem Beginn des Ukraine-Krieges in ein zentrales Gremium zur innerwestlichen Abstimmung über Strafmaßnahmen gegen Russland verwandelt. Jetzt soll er zusätzlich Export- und Investitionskontrollen gegenüber China in den Vereinigten Staaten und der EU koordinieren. Zu dem Treffen wird unter anderem US-Außenminister Antony Blinken erwartet. Gleichzeitig arbeitet die EU an einer Economic Security Strategy, die ebenfalls wirtschaftliche Maßnahmen gegen China ermöglichen soll. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat bereits kürzlich dafür plädiert, Investitionen europäischer Firmen in der Volksrepublik bei Bedarf zu verbieten. Experten sprechen sich für die Gründung einer "geo-ökonomischen NATO" aus.
Der EU-U.S. Trade and Technology Council (TTC) geht letzten Endes auf einen Vorstoß der EU zurück, die Ende 2020 - kurz nach dem Sieg von Joe Biden in der US-Präsidentenwahl - die Gründung eines transatlantischen Gremiums mit dem Ziel vorschlug, die ökonomischen Differenzen der Ära Trump zu überwinden und die Grundlage für eine engere transatlantische Wirtschaftskooperation zu schaffen. Geplant war etwa neben Absprachen zur jeweiligen Ausgestaltung der Energiewende auch eine gemeinsame Festlegung auf Technologiestandards mit dem Ziel, in der Weltwirtschaft als mächtiger High-Tech-Block auftreten zu können; von einer "euro-atlantischen Technologieallianz" oder auch von einer "heimlichen G2" für die globale "Technologiesteuerung" war die Rede.[1] Von Anfang an war es darüber hinaus ein treibendes Motiv, die chinesische Industrie zurückzudrängen. So erklärte etwa Jake Sullivan, Nationaler Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, es gehe darum, "unsere Ansätze bei Handel und Technologie so anzugleichen, dass die Demokratien und nicht irgendjemand anderes, nicht China oder andere Autokratien, die Regeln für Handel und Technologie für das 21. Jahrhundert schreiben".[2] Die Gründung des TTC wurde am 15. Juni 2021 auf dem EU-USA-Gipfel in Brüssel beschlossen; das Gründungstreffen fanc am 29. September 2021 in Pittsburgh statt.
Die bisherige Bilanz des TTC ist gemischt. Von echter Linderung oder gar der Beseitigung der transatlantischen Differenzen in Wirtschaftsfragen kann keine Rede sein; bestes Beispiel dafür sind die hunderte Milliarden US-Dollar schweren Investitionsprogramme wie der Inflation Reduction Act (IRA), mit denen die Biden-Administration strategisch bedeutende High-Tech-Investitionen aus Europa in die Vereinigten Staaten saugt und damit zugleich die Bemühungen Deutschlands und der EU um eine größere ökonomische Eigenständigkeit untergräbt (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Zugleich ist der TTC aber nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, wie es etwa in einer Analyse des Atlantic Council heißt, zum maßgeblichen "transatlantischen Forum für die Koordination von Exportkontrollen gegenüber Russland" bzw. zur detaillierten Abstimmung der auf beiden Seiten des Atlantiks verhängten Russland-Sanktionen geworden.[4] "Der TTC hat eine Schlüsselrolle dabei gespielt, eine geeinte Front gegen Russland zu schaffen", erklärt Schwedens Außenminister Tobias Billström.[5] Dabei habe es sich auch um einen "Testfall" gehandelt, urteilt EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis. Ob sich eine enge Kooperation auch gegen andere Staaten erzielen lasse, müsse sich zeigen, heißt es beim Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS).[6]
Eine Ausweitung der TTC-Aktivitäten gegen China steht bei dem aktuellen, insgesamt vierten Treffen des Gremiums auf der Tagesordnung, das am heutigen Dienstag in Luleå im Norden Schwedens beginnt und morgen enden soll. Zwar geht es auch um Maßnahmen, die auf die Stärkung des Westens in der globalen Rivalität zielen; so werden etwa Schritte in Betracht gezogen, um gemeinsam die Entwicklung des nächsten Mobilfunkstandards 6G sowie Regularien für Künstliche Intelligenz (KI) voranzutreiben. Im Vordergrund stehen auf dem TTC-Treffen jedoch Maßnahmen, die ganz einfach China schaden sollen. So wird berichtet, es sei geplant, die jeweiligen Exportkontrollen enger aufeinander abzustimmen.[7] Faktisch läuft dies auf die Übernahme von US-Sanktionsvorschriften durch die EU hinaus. Darüber hinaus zielt der TTC darauf ab, westliche Investitionen in der Volksrepublik hart zu regulieren (Outbound Investment Screening): Man müsse verhindern, "dass das Kapital, das Fachwissen und die Kenntnisse unserer Unternehmen den technologischen Fortschritt strategischer Konkurrenten in einer Weise" unterstützten, die der eigenen Sicherheit schade, heißt es in einem Entwurf der Abschlusserklärung.[8] Faktisch sollen damit Investitionen westlicher Unternehmen in China untersagt werden, die Beijing einen umfassenderen technologischen Fortschritt ermöglichen würden.
Diesem Ziel öffnet sich unabhängig vom TTC auch die EU. Die Kommission arbeitet derzeit an einem Papier, das als Economic Security Strategy firmiert und ausdrücklich verhindern soll, dass modernste Technologien - auch sogenannte Dual Use-Technologien, die sowohl zivil wie auch militärisch verwendet werden können - "in den falschen Händen landen", wie EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis erklärt.[9] Als Mittel dazu hat schon vor einiger Zeit auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein Outbound Investment Screening plädiert.[10] Die Maßnahme stößt in einer ganzen Reihe von EU-Mitgliedstaaten, darunter auch die Bundesrepublik, auf Ablehnung; das Bundeswirtschaftsministerium etwa hat sie klar zurückgewiesen. Für erhebliche Überraschung sorgte Wirtschaftsminister Robert Habeck, als er am 10. Mai ganz unvermittelt seine Position änderte und sich für Kontrollen deutscher Investitionen im Ausland offen gab.[11] Dombrovskis urteilt, es werde nicht ganz leicht sein, EU-weit einheitliche Export- und Investitionskontrollen festzulegen - denn die Mitgliedstaaten seien sehr darauf bedacht, zentrale Hoheitsrechte zu wahren und sie nicht an Brüssel zu übertragen. Allerdings gebe es inzwischen einen Präzedenzfall: Gegen Russland habe die Einführung gemeinsamer Zwangsmaßnahmen "ziemlich gut funktioniert".[12]
Unter Außenpolitik-Experten wird mit Blick auf derlei Zwangsmaßnahmen inzwischen die Schaffung einer "geo-ökonomischen NATO" diskutiert. So heißt es etwa in einem aktuellen Papier aus dem European Council on Foreign Relations (ECFR), einer außenpolitischen Denkfabrik mit Hauptsitz in Berlin, "im Jahrhundert des Wettbewerbs zwischen China und dem Westen" werde "das Reich der Geo-Ökonomie wahrscheinlich die zentrale Front".[13] Die Autoren des Papiers sprechen sich dafür aus, zur Entscheidungsfindung über etwaige wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen ein gemeinsames Forum zu gründen, eben eine "geo-ökonomische NATO"; das sei dem jetzigen Zustand vorzuziehen, in dem faktisch die USA über Sanktionen und Investitionskontrollen entschieden und dann die Staaten Europas zur Übernahme ihrer Regularien drängten. Führe man Diskussionen gemeinsam und entscheide dann im Bündnis, könne man mit größerer Schlagkraft auftreten, urteilt der ECFR - nicht zuletzt gegenüber China.
[1] Tyson Barker: TTC Lift-off: The Euro-Atlantic Tech Alliance Takes
Shape. ip-quarterly.com 30.09.2021.
S. dazu Die euroatlantische Technologieallianz.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8751
[2] Mark Scott, Jacopo Barigazzi: US and Europe to forge tech alliance amid
China's rise. politico.eu 09.06.2021.
S. dazu Im Streit vereint.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8627
[3] S. dazu Im "Systemwettbewerb" mit den USA.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9091
[4] Here's what to expect on China, AI, green energy, and more when EU and US officials meet in Sweden. atlanticcouncil.org 26.05.2023.
[5] Sweden to host Trade and Technology Council meeting. europeaninterest.eu 23.05.2023.
[6] William Alan Reinsch, Emily Benson: Assessing Progress within the TTC. csis.org 18.05.2022.
[7] Philip Blenkinsop: EU and US to pledge joint action over China concerns. swissinfo.ch 13.05.2023.
[8] TTC: EU und USA wollen bei Auslandsinvestitionen genauer hinsehen. table.media 26.05.2023.
[9] Philip Blenkinsop: EU faces test to get members to cede power on export controls. reuters.com 26.05.2023.
[10] S. dazu In die Sanktionsspirale.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9233
[11] Martin Greive, Dana Heide, Moritz Koch, Julian Olk, Annett Meiritz: Habeck will China-Geschäfte deutscher Unternehmen kontrollieren. handelsblatt.com 10.05.2023.
[12] Philip Blenkinsop: EU faces test to get members to cede power on export controls. reuters.com 26.05.2023.
[13] Jeremy Shapiro, Jana Puglierin: The art of vassalisation: How Russia's
war on Ukraine has transformed transatlantic relations. European Council on
Foreign Relations: Policy Brief. April 2023.
S. dazu Die Vasallisierung Europas.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9237
*
Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 30. Mai 2023
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