Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → RECHT

STRAFRECHT/049: Gemeinsame Mindeststandards für Beschuldigte in Strafverfahren (BMJ)


Bundesministerium der Justiz - Berlin, 23. Oktober 2009

Zypries: Europa auf dem Weg zu gemeinsamen Mindeststandards für Beschuldigte in Strafverfahren


Die Justizminister und -ministerinnen der Europäischen Union haben sich heute auf einen Fahrplan geeinigt, mit dem europaweit Mindeststandards für Beschuldigtenrechte in Strafverfahren eingeführt werden sollen. Zugleich haben sich die Ministerinnen und Minister auf einen ersten Schritt zur Umsetzung dieses Fahrplans verständigt und einen Rahmenbeschluss politisch geeinigt, der das Recht auf Übersetzung und Verdolmetschung in Strafverfahren garantiert.

"Dies ist ein guter Tag für die Bürgerrechte in Europa. Ich bin sehr froh, dass unsere jahrelangen Bemühungen jetzt Früchte tragen und wir in diesem bisher eher vernachlässigten Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit in Europa doch noch zu einer Einigung kommen konnten. Mit dem heute vereinbarten Fahrplan und der politischen Einigung im ersten Bereich des "Fahrplans", der dem Beschuldigten im Ausland das Recht auf Übersetzung und Verdolmetschung garantiert, sind wir unserem Ziel, EU-weit Mindeststandards im Strafverfahren einzuführen, ein gutes Stück näher gekommen. Ich bin sehr froh, dass die schwedische Präsidentschaft die deutsche Initiative von 2007 für EU-weite Verfahrensrechte wieder aufgegriffen und zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht hat. Wir haben sie von Beginn an in ihren Bemühungen intensiv unterstützt - denn zu einem gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gehört unverzichtbar auch der Schutz elementarer Bürgerrechte. Jetzt gilt es, die weiteren Maßnahmen in Angriff zu nehmen, auf die wir uns in dem Fahrplan verständigt haben", unterstrich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.

Auf europäischer Ebene stand bei der strafrechtlichen Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren vor allem die Optimierung der Ermittlungstätigkeit durch Verbesserung staatlicher Eingriffsrechte sowie die Sicherung des Verfahrens und seiner Ergebnisse im Vordergrund. Grenzüberschreitende justizielle Zusammenarbeit auf Basis gegenseitiger Anerkennung setzt aber nicht zuletzt Vertrauen in die Rechtssysteme der anderen Mitliedstaaten voraus.

"Grundlage dieses Vertrauens sind gemeinsame Mindestgarantien, die den Bürgerinnen und Bürgern Europas die Gewissheit geben, dass in allen Mitgliedstaaten die gleichen hohen rechtlichen Standards gelten. Deshalb ist es notwendig, dass die Europäische Union mit denselben rechtlichen Instrumenten, mit denen sie Eingriffsbefugnisse regelt, auch die Schutzrechte der Betroffenen festlegt. Dabei kann die Frage, welche Rechte man in einem Strafverfahren hat, für jede und jeden von uns ganz schnell sehr konkrete praktische Bedeutung erlangen. Oft sind es alltägliche Situationen, die dazu führen, dass man mit Ermittlungshandlungen in einem anderen EU-Mitgliedsstaat konfrontiert ist, dessen Sprache man nicht beherrscht. Das kann ein Autounfall deutscher Touristen in Portugal sein, der Ermittlungen wegen einer Verkehrsstraftat nach sich zieht oder auch einen Fußballfan betreffen, der seine Mannschaft zum Auswärtsspiel in einem europäischen Wettbewerb begleitet und im Vorfeld des Spiels wegen einer vermeintlichen Teilnahme an einer Schlägerei rivalisierender Fans vorläufig festgenommen wird. Bisher gab es je nach Mitgliedstaat Unterschiede, wie mit Verdächtigen oder Beschuldigten umgegangen wird, die die Sprache des Mitgliedstaats, in dem sie mit einer solchen Situation konfrontiert sind, nicht oder nur unzureichend sprechen. Zukünftig können die Bürgerinnen und Bürger in Europa darauf vertrauen, in allen Mitgliedstaaten ein gemeinsames Mindestmaß an Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen gewährleistet zu bekommen", erläuterte Zypries.

Die Regelungen des heute geeinigten Rahmenbeschlusses Übersetzung und Verdolmetschung stellen EU-einheitliche Mindeststandards für die Verdolmetschung und Übersetzung in Strafverfahren sicher. Um eigene Rechte wahrnehmen und sich sachgerecht verteidigen zu können, muss man in der Lage sein zu verstehen, mit welchen Vorwürfen und Maßnahmen man konfrontiert wird. Zudem muss man sich verständlich machen und die eigene Sicht der Dinge schildern können. Damit dies möglich ist, verpflichten sich die Mitgliedstaaten, bei allen Vernehmungen, z. B. auf der Polizeiwache oder vor einem Staatsanwalt oder Richter, einen Dolmetscher auf Kosten des Staates zur Verfügung zu stellen; auch entsprechende Verteidigergespräche werden gedolmetscht. Darüber hinaus erhält der Beschuldigte eine Übersetzung der wesentlichen Unterlagen, wie z. B. des Haftbefehls oder der Anklageschrift.

Deutschland hatte bereits während seiner Ratspräsidentschaft 2007 den Vorstoß unternommen, europaweit Mindeststandards für Beschuldigte in Strafverfahren einzuführen. Damals waren die Bemühungen für einen umfassenden Rahmenbeschluss noch an wenigen Mitgliedsstaaten gescheitert. Auf Vorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft ist es nun im Rat gelungen, sich auf eine schrittweise Einführung EU-weiter Mindestgarantien in Strafverfahren zu verständigen. Zur stufenweisen Implementierung von Einzelmaßnahmen hat der Rat heute einen "Fahrplan" beschlossen. Der "Fahrplan" trifft politische Festlegungen und legt folgende konkrete Bereiche für die europaweite Vereinheitlichung und Verbesserung von Rechten fest:

Übersetzung und Dolmetschung, Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung, Rechtsbeistand und die Prozesskostenhilfe, die Benachrichtigung von Verwandten, dem Arbeitgeber und Konsularbehörden, besondere Schutzmaßnahmen für Beschuldigte, die z.B. aufgrund von Erkrankung einer besonderen Fürsorge bedürfen, Diskussionspapier ("Grünbuch") zur Untersuchungshaft.

Für die ebenfalls im Fahrplan vorgesehene Maßnahme "Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung" hat das Bundesministerium der Justiz ein Forschungsprojekt zur europaweiten Einführung einer einheitlichen schriftlichen Beschuldigtenbelehrung ("Letter of Rights") in Auftrag gegeben, das von der Europäischen Kommission gefördert und wissenschaftlich von der Universität Maastricht geleitet wird. Die Ergebnisse dieser Studie, die im kommenden Jahr zu erwarten sind, sollen zügig zu einer EU-weiten Verständigung über die Notwendigkeit und die Inhalte eines solchen Informationsblattes führen. Deutschland wird auch die folgenden Präsidentschaften dabei unterstützen, weitere Verfahrensrechte europaweit zu verankern.

Der Rahmenbeschluss wird durch eine "Entschließung des Rates" begleitet, die Qualitätsstandards für die Dolmetscher- und Übersetzungsleistungen festschreibt. Ein hohes Niveau auf diesem Gebiet ist unerlässlich, damit das Recht auf Übersetzung und Dolmetschung in Strafverfahren zugunsten von Beschuldigten seine volle Wirkung entfalten kann und der Beschuldigte in die Lage versetzt wird, seine Verteidigungsrechte effektiv ausüben zu können.


*


Quelle:
Pressemitteilung vom 23.10.2009
Herausgegeben vom Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
des Bundesministeriums der Justiz
Verantwortlich: Eva Schmierer
Redaktion: Dr. Thorsten Bauer, Dr. Katharina Jahntz,
Harald Schütt, Ulrich Staudigl
Mohrenstr. 37, 10117 Berlin
Telefon 01888 580-90 30
Telefax 01888 580-90 46
http://www.bmj.bund.de
email: presse@bmj.bund.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2009