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AGRAR/086: Produktion von Biosprit - EU-Kommissar rudert zurück (SB)


Energiepflanzen gefährden die Gesundheit und Umwelt

EU-Umweltkommissar Dimas warnt vor ökologischen und sozialen Folgen des Energiepflanzenanbaus


Weltweit nimmt die verfügbare Nahrungsmittelmenge ab. Vielerorts, auch in der Europäischen Union, sind im vergangenen Jahr die Lebensmittelpreise um teils mehr als 100 Prozent gestiegen, eine Entwicklung, die sich in diesem Jahr fortsetzt. Die Liste der Staaten, in denen die ärmeren Menschen aufgrund der hohen Preise in Versorgungsnot geraten, wird immer länger. Die Europäische Union steuert diesem Trend seit geraumer Zeit entgegen, konnte aber bislang nicht verhindern, daß die Getreidelager weitgehend leergeräumt werden mußten. Um einigermaßen konstante Preise zu wahren, hatte die EU mehrere Millionen Tonnen Interventionsgetreide auf den Markt geworfen, bis gegen Ende 2007 nur noch ein Resthäufchen von 0,5 Mio. Tonnen übriggeblieben war. Darüber hinaus wurde das Flächenstillegungssystem außer Kraft gesetzt, die Milchquotenregelung auf den Prüfstand gehoben und weniger Bürokratie bei der Einführung neuartiger Lebensmittel in die EU in Aussicht gestellt; und es wurden die Zollschranken für fast alle Getreidearten aufgehoben - alles Maßnahmen, damit die EU-Bürger trotz des weltweiten Mangels genügend zu essen haben.

Ob die Versorgungssicherheit der EU-Bürger dennoch bereits in diesem Jahr gefährdet ist, hängt nicht zuletzt von der nächsten Ernte ab. Sollte das Klima den Landwirten einen Strich durch die Rechnung machen, müßte die EU mehr als bisher Getreide auf dem Weltmarkt einkaufen - dort konkurrieren aber bereits die anderen Staaten um die knappe Nahrung.

Ein weiterer mangelgenerierender Faktor ist Biosprit. Im März vergangenen Jahres hatten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union vereinbart, daß dem herkömmlichen Treibstoff bis zum Jahre 2020 mindestens 10 Prozent Biosprit beigemischt wird. Damit sollte einerseits die Versorgungsabhängigkeit von Erdölimporten, andererseits die Emission von Treibhausgasen reduziert werden. Die EU-Kommission will am 23. Januar einen Gesetzesvorschlag zum angestrebten Biospritanteil vorlegen.

Am Montag erklärte EU-Umweltkommissar Stravros Dimas gegenüber der BBC (14.1.2008), daß die Europäische Union eher auf die Einhaltung des von ihr gesteckten Ziels verzichten sollte, als daß es mit Mitteln erreicht werde, die die Umwelt zerstörten und die weltweite Armut verschärften:

"Wir haben erkannt, daß die Umweltprobleme durch Biotreibstoffe und auch die sozialen Probleme größer sind, als wir vermutet hatten. Deshalb müssen wird sehr vorsichtig vorgehen."

Die EU müsse Kriterien für Nachhaltigkeit, einschließlich der Sozial- und Umweltverträglichkeit aufstellen, weil Biotreibstoffe durchaus einige Vorteile besäßen. Mit dieser Erklärung hat sich Dimas gegen eine völlige Abkehr von Biotreibstoffen ausgesprochen. Er kündigte aber ein Zertifizierungssystem für Energiepflanzen an und stellte klar, daß die Europäische Union sicherlich keinen Biodiesel aus Palmöl zulassen werde, weil das zum Abholzen der indonesischen Wälder zwecks Anlegens von Palmenplantagen führe.

Am vergangenen Freitag hatten sich 17 Nichtregierungsorganisationen in einem gemeinsamen Brief an EU-Energiekommissar Andris Piebalgs gewandt und ihn aufgefordert, entweder sehr viel strengere Auflagen bei der Biospritproduktion zu verhängen oder am besten sogar jegliche Verpflichtung zur Erhöhung des Biospritanteils zu streichen. Die Organisationen warnten, daß der großmaßstäbliche Anbau von Energiepflanzen zum Anstieg der Lebensmittel- und Futterpreise führen wird. Auch der Wasserverbrauch zur Herstellung der Pflanzen sei riesig. Davon seien die Ärmsten in der Welt als erste betroffen.

Die OECD, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der die 30 führenden Industriestaaten angehören, hat im vergangenen September ebenfalls gewarnt, daß die Förderung von Biosprit in der Europäischen Union zur Erhöhung der Lebensmittelpreise beitragen und zur Abholzung von Wäldern und Vernichtung von natürlichen Lebensräumen führen könnte. Wohingegen der Nutzen im Kampf gegen Klimawandel begrenzt sei. Auch die renommierteste unter den Wissenschaftsorganisationen Großbritanniens, die Royal Society, hegt in ihrem gestern veröffentlichten Report starke Bedenken gegenüber Biotreibstoffen, solange die britische Regierung nicht klare Richtlinien, bei denen Umwelt- und Sozialstandards berücksichtigt werden, erarbeite.

In der US-Regierung ist gegenwärtig noch keine Tendenz gegen die Subventionierung von Biotreibstoffen zu erkennen. Die amerikanischen Landwirte erleben derzeit einen wahren Goldrausch. Im sogenannten Maisgürtel Nordamerikas schießen Raffinieren wie Pilze aus dem Boden und binden große Mengen der Ernte an sich. Ernüchterung wird möglicherweise erst dann eintreten, wenn die Lebensmittelpreise so sehr gestiegen sind, daß es in Metropolen wie Los Angeles zu Aufständen kommt.

Damit muß auch die EU rechnen. Als im vergangenen Jahr in Italien große Demonstrationen gegen die höheren Pastapreise veranstaltet wurden, kam es noch zu keinen nennenswerten Gewaltausbrüchen, aber das Konfliktpotential war nicht zu übersehen. Dimas' Bedenken sind somit auch als Ausdruck des Bestrebens der EU-Administration zu werten, den globalen Lebensmittelmangel so abzufedern, daß die Menschen allmählich daran gewöhnt werden. Bei allzu abrupten Entwicklungen, wie sie bereits im vergangenen Jahr durch die rasche Verteuerung von Grundnahrungsmitteln eintraten, geriete ansonsten die staatliche Ordnung in Gefahr.

15. Januar 2008