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DILJA/002: Kein Ermittlungsinteresse an Mord und Organraub im Kosovo - Teil 2 (SB)


Erdrückende Hinweise im Marty-Bericht zu Mord und Organhandel im Kosovo bzw. in Albanien

Das Fehlen jeglichen Ermittlungsinteresses westlicher Institutionen wirft Fragen nach Mitwisserschaft und direkter Beteiligung auf

Teil 2: Der Europarat - das "gute" Gewissen eines "bösen" Europas?


An dieser Stelle sei angemerkt, daß der Europarat mit der Europäischen Union und ihren vielen Unter- und Nebenabteilungen organisatorisch ebensowenig in Verbindung steht wie mit den Vereinten Nationen oder dem Internationalen Jugoslawien-Tribunal in Den Haag. Nach Informationen des Deutschen Bundestages vom 31. März 2010 ist der Europarat "auf die Errichtung eines gemeinsamen, den gesamten europäischen Kontinent umfassenden Raums gerichtet, in dem die grundlegenden Werte des Europarates - Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (sog. Wertetrias) - gewährleistet werden" [4]. Der am 5. Mai 1949 in London von zunächst zehn europäischen Staaten gegründete Europarat, dem die Bundesrepublik Deutschland am 13. Juli 1950 beitrat und dem inzwischen "mit Ausnahme Kosovos, des Vatikanstaates und Weißrusslands" sämtliche europäische Staaten und damit rund 800 Millionen Menschen angehören, hat nach Informationen des Deutschen Bundestages die Aufgabe, "die pluralistische Demokratie und die Menschenrechte zu schützen, nach Lösungen für die Probleme der Zeit zu suchen und das Bewusstsein für eine kulturelle europäische Identität zu entwickeln und zu festigen" [4]. Dem Datenhandbuch des Bundestages zufolge war die Parlamentarische Versammlung des Europarates "die erste parlamentarische Versammlung in der Geschichte Europas und wird auch als demokratisches Gewissen Europas bezeichnet" [4].

Nun hat dieses Gewissen Alarm geschlagen. Da dieses Gewissen allerdings lediglich "ein Forum zur Diskussion und Debatte über europäische Fragen" [5] ist und keine unmittelbar geltenden Rechtsakte oder Sanktionen erlassen kann, ist er auf gut Deutsch gesagt ein zahnloser Tiger. Die organisatorische Trennung zur gesamten EU und all ihren historischen Vorläufern macht herrschaftstechnisch insofern "Sinn"; in der EU wird (Macht-) Politik betrieben, im Europarat, dem unter anderem auch sämtliche EU-Staaten angehören, wird - salopp gesagt - Moral gepredigt. Diese Zahnlosigkeit beeinträchtigte selbstverständlich auch die Arbeit von Sonderermittler Dick Marty, der 2008 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats mit einer Ermittlungsarbeit beauftragt wurde, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits Hinweise auf einen bis zu 300fachen Mord vorlagen, denen die zuständigen und tatsächlich ermittlungsbefugten nationalen wie internationalen Gremien hätten nachgehen müssen bzw. können, wenn sie bzw. ihre Auftraggeber dies nur gewollt hätten.

Carla del Ponte, die sich bis heute in der Rolle einer aufrechten Kämpferin wider Unrecht, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen gefällt, so als habe sie nie die Arbeit eines politisch begründeten Tribunals geleitet, dessen tatsächliche Funktion darin bestand, dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO-Staaten gegen die Bundesrepublik Jugoslawien den Anschein einer rechtlichen Legitimation zu verschaffen, meldete sich aus dem fernen Buenos Aires zu Wort. In einem am 21. Dezember 2010 geführten Exklusiv-Interview mit swissinfo.ch [6] strich sie heraus:

Im Frühjahr 2008 habe ich auf glaubwürdige Zeugenaussagen vor dem UNO-Kriegsverbrechertribunal über Deportationen und das Verschwinden von Personen in Kosovo 1999 hingewiesen. Es gab weitere Indizien, wonach einige dieser Opfer im Rahmen eines organisierten Handels mit menschlichen Organen getötet wurden.

Und weiter erklärte die amtierende Botschafterin der Schweiz in Argentinien:

Ich bin tief betroffen und schockiert über die Ergebnisse des Europarat-Vorberichts: die vorsätzliche Tötung von Gefangenen, um deren Organe zu entnehmen und damit einen lukrativen Handel zu betreiben. Und das organisiert von ranghohen Mitgliedern der UCK, darunter Personen, die heute hohe Ämter in der Regierung Kosovos bekleiden.

Der Marty-Bericht oder vielmehr Vorbericht, da die vorgelegten zweijährigen Untersuchungsergebnisse des Sonderermittlers im Januar erst der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vorgelegt werden, was diese zum Anlaß für weiterführende Entschließungen oder Resolutionen nehmen könnte, die für ihre Gültigkeit von sämtlichen Mitgliedsstaaten erst ratifiziert werden müßten, wird in diesem Punkt konkreter. Er benennt den "Ministerpräsidenten" des westlichen Protektorats Kosovo, dessen Unabhängigkeitserklärung vom Februar 2008 international nach wie vor umstritten ist, Hashim Thaci, sowie enge Mitarbeiter des ehemaligen UÇK-Kommandeurs als Hauptbeschuldigte. In dem Marty-Bericht werden dem kürzlich wiedergewählten Kosovo-Präsidenten nicht nur Verbrechen wie Folter und Mord vorgeworfen, sondern auch die Ausschlachtung seiner gefangengenommenen Opfer durch kriminelle Ärzte, wobei sogar eine der Stätten des Grauens identifiziert werden konnte und - neben weiteren - in dem Bericht angegeben wurde. Um die Organe "frisch" zu halten, seien die Opfer erst kurz vor der Organentnahme durch ehemalige UÇK-Kämpfer Thacis getötet worden.

Die ehemalige Chefermittlerin des Haager Tribunals schließt sich, so als habe sie selbst wie auch die durch sie repräsentierte UN-Institution zu keinem Zeitpunkt an der Vertuschung dieser Verbrechen mitgewirkt, den Forderungen des Europaratsausschusses nach Ermittlungen durch die zuständigen Institutionen in markigen Worten an [6]:

Ich flehe die Europäische Union EU, die USA, andere interessierte Länder und die UNO an, der EULEX in Kosovo jegliche politische Unterstützung sowie das nötige Material zu gewähren, um die Strafuntersuchung durchzuführen und alle Personen gerichtlich zu verfolgen, die verdächtigt sind, in diese Verbrechen verwickelt zu sein.

Es liege ihr, so del Ponte, am Herzen, "dass sich die Anklagen des Europarats in einen Schrei verwandeln, damit die internationale Gemeinschaft alles unternimmt, um dieses Problem zu lösen" [6]. Ein Schrei, dessen Energie und Intensität sich darin erschöpft, an die "internationale Gemeinschaft" zu appellieren und diese damit als einzige problemlösungskompetente Instanz anzuerkennen, wird dem damit erhobenen Aufklärungsanspruch kaum genügen können, da die eigentliche politische Brisanz der jüngsten Veröffentlichung von eigentlich gar nicht neuen Vorwürfen und Hinweisen gerade in der Frage nach der Mitwisserschaft, wenn nicht sogar aktiven Beteiligung der sogenannten internationalen Gemeinschaft besteht, konkreter gesagt in der Frage nach der tatsächlichen Rolle und Funktion und damit auch den dahinterstehenden Interessen der übrigen Beteiligten EU und USA, der Vereinten Nationen und des Den Haager Tribunals.

Deren Reaktionen auf die Veröffentlichung des Marty-Berichts sprechen unterdessen Bände. Maja Kocijancic, Sprecherin der EU-Außenpolitikbeauftragten Catherine Ashton, forderte den Tessiner Ständerat, ehemaligen Staatsanwalt, Schweizer Europaratsabgeordneten und Sonderermittler Dick Marty am 15. Dezember und damit noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Berichts im Rechtsausschuß des Europarats öffentlich auf, für seine gegen den Ministerpräsidenten des Kosovo, Hashim Thaci, erhobenen Anschuldigungen Belege vorzubringen. "Wir rufen Herrn Marty auf, Beweise vorzulegen. Wir können nur auf Grundlage von Beweisen handeln", so Kocijancic. Dies klingt bestenfalls im ersten Moment plausibel. Tatsächlich entbehrt der Marty-Bericht ungeachtet der zweijährigen, akribischen Ermittlungstätigkeit, auf der er beruht, sogenannter "harter", das heißt gerichtsverwertbarer Beweise, ohne die auch für Hashim Thaci gerade angesichts der schwerwiegenden, gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe die Unschuldsvermutung zu gelten hat.

Gleichwohl stellt diese Stellungnahme der EU-Sprecherin, in zwischenmenschliche Kategorien übersetzt, eine Frechheit und Unverschämtheit insbesondere auch gegenüber Dick Marty und dem Rechtsausschuß des Europarats dar, offenbart sie doch die vollkommen ignorante und ablehnende Haltung der EU gegenüber dieser Initiative des "demokratischen Gewissens" Europas. Im für sie günstigsten Fall hat Maja Kocijancic den Marty-Bericht und nicht einmal dessen einführende Erläuterungen gelesen, denn dann hätte sie wissen müssen, daß die größte Schwierigkeit für Marty und dessen Team in einer eisernen Mauer des Schweigens bestanden hatte. Nur unter Zusicherung absoluter Vertraulichkeit, weshalb auch in dem Bericht kein einziger Informant namentlich genannt wurde, waren Menschen, die im Kosovo bzw. im nördlichen Albanien leben und Kenntnisse haben, die hier relevant sein könnten, überhaupt bereit, den Europaratsermittlern Rede und Antwort zu stehen.

(Fortsetzung folgt)


Anmerkungen

[4] Parlamentarische Versammlung des Europarates. Deutscher Bundestag > Dokumente & Recherche > Datenhandbuch > 21. Auswärtige Beziehungen und europäische Integration > 21.1 Parlamentarische Versammlung des Europarates, Stand: 31.3.2010
http://www.bundestag.de/dokumente/datenhandbuch/21/21_01/index.html

[5] Was macht der Europarat? Aus: Was ist was?
http://www.wasistwas.de/geschichte/alle-artikel/artikel/link//06d66c4c38/article/was-macht-der-europarat/-7c05c71e06.html

[6] Kosovo: Die Revanche von Carla del Ponte. Carla del Ponte fühlt sich rehabilitiert. Von Norma Domínguez, Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch, Buenos Aires, 16. Dezember 2010,
http://www.swissinfo.ch/ger/politik_schweiz/Kosovo:_Die_Revanche_von_Carla_del_Ponte_.html?cid=29040442&rss=true

1. Januar 2011