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DILJA/004: Kein Ermittlungsinteresse an Mord und Organraub im Kosovo - Teil 4 (SB)


Erdrückende Hinweise im Marty-Bericht zu Mord und Organhandel im Kosovo bzw. in Albanien

Das Fehlen jeglichen Ermittlungsinteresses westlicher Institutionen wirft Fragen nach Mitwisserschaft und direkter Beteiligung auf

Teil 4: Ohne Ermittlungsinteresse keine Ermittlungen


Vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag sind Ermittlungen seinen eigenen Erklärungen zufolge nicht zu erwarten. Doch wie sieht es mit der EU aus? Immerhin hat Maja Kocijancic, Sprecherin der Außenbeauftragten Catherine Ashton, am 15. Dezember erklärt, die EU nähme "Vorwürfe bezüglich organisierten Verbrechens und Kriegsverbrechen immer sehr ernst" [12]. Die EU habe deswegen, so Kocijancic weiter, im Kosovo eigens die Rechtsstaatsmission EULEX stationiert, die nicht nur für die Ausbildung in Polizei und Justiz zuständig sei, sondern bei Verdacht auf organisiertes Verbrechen oder Kriegsverbrechen selbständig ermitteln würde. Wer nun annimmt, die Ashton-Sprecherin würde weitere Stellungnahmen von etwaigen EULEX-Untersuchungen abhängig machen und deren Ergebnis abwarten, sieht sich unterdessen getäuscht, erklärte doch Ashton selbst, daß es keinen Anlaß zum Handeln gäbe und daß strafrechtliche Ermittlungen, wie der Europarat sie fordere, weder im Brüssel noch im Kosovo geplant seien [12]. Die Schweiz, eines der wenigen Nicht-EU-Länder Europas, erwägt unterdessen, die Anerkennung des Kosovo als Staat rückgängig zu machen.

Ashtons Sprecherin hingegen gab dem Berichterstatter des Rechtsausschusses des Europarats den wohl nicht anders als zynisch zu bezeichnenden Ratschlag, sich doch in dieser Angelegenheit an die EU-Rechtsstaatsmission EULEX im Kosovo zu wenden, da diese eine Reihe von Vorwürfen bereits untersucht habe [12]. Eben dies hat der Sonderermittler, wie seinem Bericht unschwer zu entnehmen ist, längst getan. In dem dem am 16. Dezember 2010 vom Rechts- und Menschenrechtsausschuß der Parlamentarischen Versammlung des Europarats einstimmig angenommenen Marty-Bericht beigefügten Resolutionsentwurf wird auf EULEX ausdrücklich Bezug genommen. Darin heißt es, EULEX habe Ende 2008 bei der Übernahme juristischer Funktionen von der UN-Verwaltung (UNMIK) eine schwieriges Erbe übernommen insbesondere in Hinsicht auf die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und sei konfrontiert gewesen mit unvollständigen Akten, verlorengegangenen Dokumenten und nicht archivierten Zeugenaussagen, weshalb eine große Anzahl von Verbrechen noch immer unaufgeklärt seien [13]. Nicht nur diese Fakten, sondern auch die Tatsache, daß zum Zeitpunkt der Erstellung des Marty-Berichts das Den Haager Tribunal EULEX noch immer nicht vollen Zugang zu den diesen Komplex betreffenden eigenen Akten gewährt hat [14], deuten auf ein profundes Interesse seitens maßgeblicher westlicher Stellen an der Nicht-Aufklärung speziell dieser Verbrechen hin.

Desweiteren heißt es in dem Resolutionsentwurf, daß bislang nur sehr wenige und undifferenzierte Untersuchungen durchgeführt wurden, um die Verbindungen zwischen organisiertem Verbrechen im Kosovo und den Repräsentanten der politischen Institutionen aufzudecken [13]. Nach wie vor wären im heutigen Kosovo Kriegsverbrechen, die an Serben oder auch Kosovo-Albanern, die als Kollaborateure oder auch nur Rivalen der dominierenden Gruppierungen galten, ein großes Tabu. Nur unter vorgehaltener Hand werde darüber gesprochen. EULEX habe, so der Textentwurf, hier erste Fortschritte gemacht, und so sei sehr zu hoffen, daß diese Entwicklung nicht aus politischen Gründen behindert werde. [13]

Mit der Einschätzung, daß im Kosovo aus Angst noch heute geschwiegen werde, steht der Marty-Bericht nicht allein da bzw. wird darin auf die frühere Chefanklägerin del Ponte Bezug genommen. Die heutige Schweizer Diplomatin hatte im Verfahren gegen einen Mitverschwörer der "Drenica"-Gruppe Thacis, einer nach Einschätzung westlicher Geheimdienste im organisierten Verbrechen führenden Fraktion der früheren UÇK, Fatmir Limaj, gegen den in den zurückliegenden zehn Jahren von UNMIK, EULEX und dem Haager Tribunal wegen Kriegs- und organisiertem Verbrechen ermittelt wurde, erklärt, daß die Angst der im Kosovo lebenden Menschen zur dort vorherrschenden Straflosigkeit geführt habe [15]. Wie nur hätte, um diese Frage noch einmal aufzugreifen, Dick Marty mit seinem Team, wie ihm nun seitens der EU entgegengehalten wird, angesichts dieser Verhältnisse im Kosovo "Beweise" erbringen können?

Im Resolutionsentwurfstext wird desweiteren festgehalten, daß die internationalen Ermittler und Staatsanwälte des EULEX-Teams, nun verantwortlich für die Untersuchung der Vorwürfe unmenschlicher Behandlung bis hin zum möglichen Organhandel, auch dabei Fortschritte gemacht haben, die Existenz geheimer UÇK-Lager im nördlichen Albanien, wo illegaler Organhandel und sogar Morde verübt worden sein sollen, zu beweisen, wobei angemerkt wurde, daß die albanischen Behörden diese Untersuchungen nicht wie gewünscht unterstützen [16]. Im Resolutionsentwurf wird EULEX eigens aufgefordert, die begonnene Ermittlungsarbeit ohne Bezugnahme auf die politischen Ämter möglicher Verdächtiger oder die Herkunft der Opfer fortzusetzen und alles zu tun, um das Verschwindenlassen von Menschen, die Hinweise auf den Handel mit menschlichen Organen und die schon so oft beklagte Verbindung zwischen den Gruppen des organisierten Verbrechens und den politischen Kreisen aufzuklären. Desweiteren wird EULEX aufgefordert, alle gebotenen Schritte zu unternehmen, um das Vertrauen möglicher Zeugen zu gewinnen und einen effektiven Zeugenschutz zu gewährleisten. [17]

Die verhaltenen Reaktionen bei der EU und den USA, die sich durch ihren Außenamtssprecher Philip Crowley angesichts der im Marty-Bericht gegen den "Präsidenten" des Kosovo, Hashim Thaci, und andere erhobenen schweren Vorwürfe lediglich für eine regelkonforme Untersuchung der Vorwürfe "durch die zuständigen Behörden" aussprachen [18], deutet auf eine nach wie vor bestehende, stillschweigende Unterstützung bzw. Deckung für Thaci durch die westlichen Staaten und die von ihnen dominierten internationalen Institutionen hin. Da es um die Ermittlungsbereitschaft der zuständigen Behörden insbesondere in Albanien, wo die Grabstätten der Organhandel- und Mordopfer zu vermuten sind, sowie im Kosovo denkbar schlecht bestellt ist - im Marty-Bericht werden nur die Behörden Serbiens für ihre volle Kooperation eigens hervorgehoben und gelobt -, bezeugt diese Stellungnahme des US-Außenamtssprechers die von gezielter Ignoranz gespeiste Haltung Washingtons.

(Fortsetzung folgt)


Anmerkungen

[1] Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human organs in Kosovo, Berichtsentwurf an den Rechtsausschuß der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, von Dick Marty, 12. Dezember 2010,
http://assembly.coe.int/ASP/APFeaturesManager/defaultArtSiteView.asp?ID=964

[12] Kosovos Premier belastet. EU fordert Beweise für Organhandels-Vorwürfe, Der Standard, 15. Dezember 2010,
http://derstandard.at/1291455136853/Kosovos-Premier-belastet-EU-fordert-Beweise-fuer-Organhandels-Vorwuerfe?seite=8

[13] Marty-Bericht siehe [1], hier: "Preliminary draft resolution", 11.

[14] Marty-Bericht siehe [1], hier: "Introductory remarks - an overview", Punkt 19.

[15] Marty-Bericht siehe [1], hier: Fußnote [15]

[16] Marty-Bericht siehe [1], hier: "Preliminary draft resolution", Punkt 12.

[17] Marty-Bericht siehe [1], hier: "Preliminary draft resolution", Punkt 19.2

[18] Fall Thaci. Europarat fordert Ermittlungen, Der Standard, 16. Dezember 2010,
http://derstandard.at/1292462010346/Fall-Thaci-Europarat-fordert-Ermittlungen

3. Januar 2011