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PARTEIEN/208: Sinn Féin hält an Wiedervereinigung Irlands fest (SB)


Sinn Féin hält an Wiedervereinigung Irlands fest

Gerry Adams und Co. entpuppen sich als eifriger Schüler Clausewitzens


Für die linksgerichtete Sinn Féin, den politischen Arm der Irisch- Republikanischen Armee (IRA), könnte 2007 zum ganz großen Jahr werden. Am 7. März finden in Nordirland Wahlen zum Provinzparlament statt. Alles spricht dafür, daß hierbei Sinn Féin ihre Position als stärkste katholisch-nationalistische Kraft auf Kosten der gemäßigten Social Democratic Labour Party (SDLP) festigen, wenn nicht sogar ausbauen wird. Damit stünden Sinn Féin automatisch der Posten des Stellvertretenden Ersten Ministers und weitere Kabinettsitze in der neuen interkonfessionellen Regierung zu, die am 26. März vereidigt werden soll. Ob es hierzu kommt, hängt natürlich von der erzkonservativen Democratic Unionist Party (DUP) ab, die voraussichtlich aus den Wahlen sowohl als stärkste probritische, protestantische Kraft als auch als größte Gruppierung überhaupt hervorgehen wird und ohne deren Beteiligung - gemäß den De-Hondt- Prinzipien des Karfreitagsabkommens vom 1998 - die neue Provinzexekutive ebenfalls nicht gebildet werden kann.

Die DUP, die vor rund 40 Jahren Jahren praktisch als Einmannpartei des heutigen Vorsitzenden, des 80jährigen, freipresbyterianischen Pfarrers Ian Paisley begonnen hat, hegt große Ressentiments gegenüber Sinn Féin und hat bis heute keine direkten Verhandlungen mit deren Vertretern geführt. Die DUP macht die militanten Befürworter eines vereinigten Irlands für den Bürgerkrieg, der zwischen 1968 und 1998 rund 3500 Menschen das Leben kostete, allein verantwortlich und ignoriert dabei geflissentlich die Gewalttaten, die in diesem Zeitraum von loyalistischen Paramilitärs, der einst protestantisch dominierten Polizei namens Royal Ulster Constabulary (RUC) und den britischen Streitkräften verübt wurden.

Während die DUP dem sogenannten Friedensprozeß in Nordirland bisher skeptisch bis ablehnend gegenüberstand und auf diese Weise recht erfolgreich der einst übermächtigen Ulster Unionist Party (UUP) das Wasser abgrub, hat Sinn Féin aktiv daran teilgenommen und einige große Opfer gebracht, um mitreden zu können. Die IRA mußte sich von ihrem Waffenarsenal trennen und ein Ende ihres bewaffneten Kampfes verkünden. Im Zuge des Karfreitagsabkommens wurde sogar der verfassungsmäßige Anspruch der Republik Irland auf die ganze Insel aufgegeben und die Wiedervereinigung zum Staatsziel erklärt, das nur mit Einverständnis der Mehrheit der Menschen in den sechs nordöstlichen, mit Großbritannien noch zum Vereinigten Königreich gehörenden Grafschaften verwirklicht werden darf. Zuletzt mußte sich Sinn Féin bereit erklären, sich zur Polizei, die von RUC in den Police Service of Northern Ireland (PSNI) umbenannt und reformiert wurde, zu bekennen. Dies hat Sinn Féin mit der Annahme einer entsprechenden Resolution auf einem Sonderparteitag Ende Januar gemacht.

Sinn Féin hofft nun, in diesem Jahr die Früchte ihrer politischen Arbeit einfahren zu können. Sollte für die irischen Republikaner das Wahlergebnis in Nordirland positiv ausfallen, kann es sein, daß man bereits Ende März in der neuen Provinzexekutive in Belfast mitregiert. In diesem Fall will Sinn Féin den im Karfreitagsabkommen vorgesehenen Nord-Süd-Rat wieder aktivieren, um den Annäherungs- und Versöhnungsprozeß auf der Insel voranzutreiben. Für Sinn Féin kommt es bei den Verhandlungen mit der DUP-Führung um Paisley, die sich wegen des Widerstandes der Hardlinern in den eigenen Reihen möglicherweise nicht dazu wird durchringen können, eine Koalition mit dem politischen Gegner einzugehen, eine gute Figur abzugeben, denn in wenigen Wochen finden in der Republik Irland ebenfalls Parlamentswahlen statt (Das genaue Datum muß Premierminister Bertie Ahern noch bestimmen).

Aufgrund ihres stetigen Erfolges in Nordirland und ihrer soliden Basisarbeit in den minderprivilegierten Stadvierteln im Süden könnte es Sinn Féin gelingen, die Zahl ihrer Sitze zu verdoppeln und als viertstärkste Kraft hinter Fianna Fáil, Fine Gael und der Labour Party und dafür vor den Grünen und den Progressive Democrats in den Dáil, das Unterhaus in Dublin, einzuziehen. Derzeit regiert eine konservative Koalition aus Fianna Fáil und den PDs. Als Alternative präsentiert sich eine Allianz aus Fine Gael und Labour. Nach jüngsten Umfragen dürfte der Opposition jedoch selbst mit den Stimmen der Grünen erneut nicht gelingen, den langjährigen, recht populären Premierminister Bertie Ahern zu stürzen. Doch weil dessen politischen Verbündeten, die neoliberalen PDs schwächeln, könnte Taoiseach Ahern nach den Wahlen auf die Suche nach einem neuen Koalitionspartner sein.

Weil der Labour-Chef Pat Rabbitte von vornherein eine Beteiligung seiner Fraktion an einer weiteren Fianna-Fáil-Regierung ausgeschlossen hat, kämen für Ahern nur noch die Grünen oder Sinn Féin in Betracht. Die Positionen von Fianna Fáil und den Grünen liegen derzeit zu weit auseinander - obwohl man niemals nie sagen sollte. Eine Koalition mit Sinn Féin hat Ahern prinzipiell ausgeschlossen, da für ihn und die Führer der anderen Dáil-Fraktionen die politische Bewährungszeit seit der Ausrufung des IRA-Waffenstillstands im Jahre 1997 noch nicht vorbei ist. Dies könnte sich aber rasch ändern, sollte es in Belfast zu der derzeit noch unvorstellbaren Koalition aus DUP und Sinn Féin kommen. Folglich spekulieren politische Beobachter in der Republik seit einiger Zeit darüber, daß es nach den Dáil-Wahlen eine Art Hinterzimmer-Deal geben könnte, demzufolge Sinn Féin einer von Ahern geführter Minderheitenregierung die nötige Mehrheit verschaffte. Aus so einer Position heraus könnte Sinn Féin auch vom Süden her die Wiedervereinigung vorantreiben, zumal sich Fianna Fáil in letzter Zeit ebenfalls auf die eigene republikanische Vergangenheit besinnt.

Vor diesem Hintergrund fand in Dublin am 3. März, vier Tage vor den Wahlen in Nordirland, der alljährliche Parteitag von Sinn Féin statt. Die Rede des Parteivorsitzenden Gerry Adams wurde sogar live im irischen Fernsehen, vom ersten Programm des staatlichen Senders Raidio Telefís Éireann (RTÉ), ausgestrahlt und bildete den Aufmacher bei allen Nachrichtensendungen des Abends. In seiner Rede erklärte Adams die Einstellung des bewaffneten Kampfes der IRA, die Anerkennung Nordirlands durch Sinn Féin und deren Bekenntnis zum PSNI zu notwendigen Schritten, um die Teilung der Insel überwinden zu können. Ohne Clausewitz beim Namen zu nennen, lautete Adams' Botschaft an die Sinn-Féin-Delegierten und die Öffentlichkeit auf beiden Seiten der irisch-irischen Grenze: der Krieg geht weiter, wird jedoch mit politischen Mitteln fortgesetzt. Als vorrangiges Ziel sprach er von der Überwindung der "Teilung" der Insel und einem Ende der "fremdländischen Besetzung" Nordirlands:

Der Krieg ist vorbei. Der Frieden muß herbeigeführt werden. Wir sind die Friedensbringer. Wir sind die Erbauer der Nation. ... Genauso, wie wir für die politische Macht in der neuen Exekutive im Norden bereit sind, streben wir auch ein Mandat zum Regieren in diesem Zuständigkeitsbereich hier an. Sinn Féin ist zum Regieren im Norden und im Süden bereit.

Was die DUP betrifft, so sprach Adams davon, daß der Paisley-Truppe nach den Provinzwahlen in Nordirland die "Zeit der Entscheidung" bevorstünde:

Sie muß sich entscheiden, ob sie bereit ist, am 26. März mit Sinn Féin die Macht zu teilen. Ich hoffe, sie ist es. ... Die Führer des Unionismus in die politischen Institutionen einzubringen würde im unerläßlichen Prozeß der nationalen Versöhnung einen enormen Schritt nach vorn bedeuten. ... Welche Entscheidung Ian Paisley auch immer trifft, er weiß, daß er mit uns wird verhandeln müssen. Und er weiß, daß wir bereit sind, auf Augenhöhe mit ihm zu verhandeln.

Gleichzeitig warnte Adams die DUP vor einem Festhalten an ihrer bisherigen Nein-Haltung. Dadurch würde sich die DUP lediglich dem historischen Prozeß des Zusammenwachsens von dem, was zusammen gehöre, verschließen. Die DUP habe "keine Vetomacht", sie könne "den Prozeß der Veränderung nicht aufhalten", erklärte er. Der Sinn-Féin-Präsident verteidigte die innerhalb der eigenen Partei nicht unumstrittene Entscheidung zur Zusammenarbeit mit der nordirischen Polizei und kündigte in diesem Zusammenhang ein "entschlossenes Engagement" Sinn Féins gegenüber dem PSNI an. "Unsere Aufgabe besteht darin, sicherzustellen, daß die Polizei zu einem öffentlichen Dienst wird - einer der demokratisch kontrolliert, entpolitisiert, transparent und unparteiisch ist", sagte er. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Rechnung von Adams und des Sinn-Féin-Vizechefs Martin McGuinness aufgeht.

5. März 2007