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PARTEIEN/212: Paisley und McGuinness begraben das Kriegsbeil (SB)


Paisley und McGuinness begraben das Kriegsbeil

Historische Eintracht zwischen DUP und Sinn Féin in Nordirland


Wer sich an den früheren Bürgerkrieg in Nordirland, die sogenannten "Troubles" erinnert, die zwischen 1968 und 1998 rund 3700 Menschen das Leben kosteten und weitere Zehntausende verletzt oder traumatisiert zurückließen, wird seinen Augen am gestrigen Tag angesichts der Fernsehbilder aus dem Parlamentsgebäude im Nordosten Belfasts nicht getraut haben. Begleitet vom britischen Premierminister Tony Blair und seinem irischen Amtskollegen Bertie Ahern kamen die beiden früheren Erzfeinde Ian Paisley, Anführer der konservativen, protestantisch-probritischen Democratic Unionist Party (DUP), und Martin McGuinness, Vizepräsident der katholisch-nationalistischen Sinn Féin, die große Treppe der Eingangshalle im Schloß Stormont herunter, um feierlich die wenige Minuten zuvor erfolgte Vereidigung einer gemeinsamen Koalitionsregierung für Nordirland zu verkünden. Allein der Moment auf der Treppe, als McGuinness, der 56jährige, frühere Oberkommandierende der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) in der Stadt Derry dem 81jährigen, fundamentalistischen Pfarrer und früheren Brandredner Paisley mit einem freundlichen Handzeichen den Vortritt gab, genügte, um auch den letzten Zweifler davon zu überzeugen, daß die Führer derjenigen in Nordirland, welche die Union der Provinz mit Großbritannien beibehalten wollen, und derjenigen, welche die Wiedervereinigung Ulsters mit dem restlichen Irland befürworten, das Kriegsbeil begraben haben.

Jahrelang hatte Paisley die "Sinn Féin/IRA" als Mördertruppe, McGuinness und Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams gar als "Terrorpaten" gegeißelt, mit denen er und seine Partei niemals etwas zu tun haben würden. Deshalb hat die DUP die Verhandlungen zum Karfreitagsabkommen vom 1998, das den Durchbruch im nordirischen Friedensprozeß markiert, boykottiert. Inzwischen jedoch hat die DUP die Ulster Unionist Party (UUP) als größte protestantische Kraft überholt und kommt deshalb um eine pragmatischere Haltung nicht herum. Nichtsdestotrotz hat die Paisley-Truppe darauf insistiert, daß sich die IRA von ihrem umfangreichen Waffenarsenal trennen und alle Aktivitäten einstellen und die Sinn Féin sich zur Zusammenarbeit mit der nordirischen Polizei eindeutig bekennen müsse, bevor sich beide Seiten an einen Tisch setzen könnten. Diese Bedingungen haben jeweils die IRA im Sommer 2005 und Sinn Féin auf einem Parteitag in diesem Frühjahr erfüllt.

Daraufhin war es am 26. März zum allerersten Gespräch zwischen Paisley, Adams und ihren jeweils wichtigsten Kollegen gekommen. Dem ging am 9. Oktober letzten Jahres die historisch erste Begegnung zwischen Paisley, der seit mehr als 40 Jahren eine eigene protestantisch-evangelische Sekte in Ballymena leitet, und dem Vorsitzenden der irischen Bischofskonferenz Sean Brady, voraus. Als Erster Minister Nordirlands in spe hatte der freipresbyterianische DUP-Chef den katholischen Erzbischof zu Tee und Gebäck in den Regierungsitz Stormont eingeladen. Das Treffen soll in sehr herzlicher Atmosphäre stattgefunden haben, was natürlich im krassen Widerspruch zu den früheren Hetztiraden Paisleys gegen den Vatikan und die katholischgeprägte Republik Irland stand (1988 beispielsweise wurde der DUP-Europaabgeordnete aus dem Plenarsaal in Strasbourg von Otto Graf von Habsburg und Freunden gewaltsam gezerrt, als er den das EU- Parlament besuchenden Papst Johannes Paul II. lautstark als unerwünschte Person beschimpfte).

Während es keine Pressefotos vom Treffen Paisley-Brady geben durfte, wurde dieses Verbot beim Gipfeltreffen am 4. April in Farnleigh House am Rande Dublins, als es zu einem historisch ersten öffentlichen Händeschütteln zwischen dem DUP-Gründer und Ahern, dem Premierminister der Irischen Republik kam, aufgehoben. Das Foto dieser Begegnung war ein deutliches Zeichen des geschichtlichen Wandels. Schließlich trugen Paisleys erbitterte Proteste Mitte der sechziger Jahren gegen die damals vorsichtigen Annäherungsversuche der Regierungen in Dublin und Belfast unter Seán Lemass und Terence O'Neill nicht unwesentlich zum Ausbruch der ganzen "Troubles" bei.

Rund 40 Jahre danach steht nun Paisley mit McGuinness als seinem Stellvertreter einer nordirischen Regierungskoalition vor, an der seine DUP und Sinn Féin als größte jeweils probritische und proirische Fraktionen sowie die Ulster Unionist Party (UUP) und die gemäßigte katholisch-nationalistische Social Democratic Labour Party (SDLP) beteiligt sind. Vordringlichste Themen der neuen Provinzexekutive sind die Fragen der Wassergebühren, des umstrittenen Baus eines Sportstadions auf dem Gelände des früheren Hochsicherheitsgefängnisses Maze südlich von Belfast und eines Gesetzes zur Verankerung des Gälischen neben dem Englischen als offizielle Landesprache.

Auch wenn Paisley und die DUP durch das Ende des bewaffneten Kampfes der IRA und das Karfreitagsabkommen, demzufolge der Beitritt zur Republik Irland nur mit der Zustimmung einer Mehrheit der Menschen in den sechs nordöstlichen Grafschaften vollzogen werden darf, die Bindung Nordirlands an die Union mit Großbritannien als gestärkt betrachten, deutet die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung. Sinn Féin hat immer wieder klargestellt, daß es ihr mit der Übernahme der Regierungsverantwortung in Belfast in allererster Linie darum geht, die durch das Karfreitagsabkommen entstandenen Nord-Süd-Institutionen voranzubringen, um so schnell wie möglich die Überwindung der Teilung und die Abschaffung des nordirischen Ministaates herbeizuführen. Die bahnbrechende Bildung einer Regierung mit der DUP dürfte für Sinn Féin bei den Wahlen für das Unterhaus in Dublin, den Dáil, die am 24. Mai stattfinden, positive Auswirkungen haben. Die Partei um Adams und McGuinness wird vermutlich die Zahl ihrer Sitze erhöhen und kann sich berechtigte Hoffnungen machen, in der nächsten Legislaturperiode Zünglein an der Waage zu spielen, von dessen Zustimmung das Überleben einer künftigen Minderheitenregierung abhängt.

Bei der SDLP, die lange Zeit größte katholische Partei Nordirlands war und die in den letzten Jahren immer weiter hinter Sinn Féin zurückgefallen ist, gibt es Gerüchte über einen Beitritt zu Fianna Fáil, der Partei von Premierminister Ahern, die seit der Trennung von Großbritannien im Jahre 1922 das politische Leben der Republik Irland dominiert. Sollte Fianna Fáil (Soldaten des Schicksals) durch einen Zusammenschluß mit der SDLP tatsächlich den Sprung über die innerirische Grenze wagen, wäre das ein riesiger Schritt Richtung Wiedervereinigung. Ohnehin dürfte für Nordirlands Protestanten die Union mit Großbritannien einiges an Attraktivität verloren haben, nachdem bei den Wahlen zum schottischen Parlament am 3. Mai die Scottish Nationalist Party (SNP), welche unter Alex Salmond für die volle Unabhängigkeit ihres Landes innerhalb der Europäischen Union eintritt, erstmals die Labour-Partei von Tony Blair und dessen designiertem Nachfolger Gordon Brown als stärkste Kraft abgelöst haben.

Bei aller Freude über die erzielte Einigung von DUP und Sinn Féin und die aufgenommene Arbeit durch die Mehrparteienregierung in Belfast stellt sich jedoch die Frage, ob man nicht vor Jahrzehnten zu einem ähnlichen Kompromiß hätte kommen können, welcher vielen Menschen das Leben gerettet oder viel Leid erspart hätte. Bereits 1974 gab es mit dem sogenannten Sunningdale-Agreement einen ersten Versuch, der jedoch durch einen wochenlangen Generalstreik protestantischer Werktätiger, Überfälle loyalistischer Paramilitärs und die wortgewaltige Ablehnung Paisleys zu Fall gebracht wurde. Man täte Paisley jedoch womöglich Unrecht und nähme dessen alttestamentarische Sprache zu ernst, würde man behaupten, der Pragmatismus des DUP-Führers sei eine völlige neue Seite, die erst mit dem Rentenalter zum Vorschein gekommen sei. Dies zeigen die Ausführungen Henry Kellys, der in der Kolumne "An Irishman's Diary" in der Irish-Times-Ausgabe vom 14. April über eine erstaunliche, in Vergessenheit geratene Episode aus dem Jahr 1971 berichtet hat.

Damals stand der Bürgerkrieg gerade noch am Anfang, die britischen Truppen waren erst zwei Jahre zuvor nach Nordirland verlegt worden, um katholische und protestantische Randalierer auseinderzuhalten; die schlimmsten Gewaltexzesse lagen noch in der Zukunft. Dennoch kam es schon zu diesem Zeitpunkt fast an jedem Tag zu einem Bombenanschlag. Die Gewalt steigerte sich. Im Dezember 1971 trafen eines Samstagabends zufällig im Europa Hotel in Belfast drei Journalisten aus Dublin - Kelly, der damals wie heute für die Irish Times schrieb, Vincent Browne, der damals bei der Irish Press war und heute der Herausgeber der linken Wochenzeitung Village sowie Moderator einer allabendlichen, politischen Diskussionsendung des irischen Staatssenders Raidió Teilifís Éireann ist, und der inzwischen verstorbene Liam Hourican, der damals für das RTÉ-Büro in der nordirischen Hauptstadt arbeitete - auf Paisley, damals fast einziger Vertreter der DUP im britischen Parlament, und dessen politischen Weggefährten und Berater Kronanwalt Desmond Boal.

Es folgte eine lebhafte politische Diskussion, die, obwohl Paisley am nächsten Tag eine Messe zelebrieren mußte, von rund acht Uhr abends bis in die frühen Morgenstunden dauerte. Es kam die Frage auf, wie die beiden Traditionen auf der Insel - der Unionismus der Protestanten und der Nationalismus der Katholiken - miteinander versöhnt werden könnten. Als Browne von Paisley wissen wollte, was Dublin tun könnte, um den Unionisten im Norden entgegenzukommen, verwies der Protestantenführer umgehend auf die irische Verfassung von 1937, die er - nicht ganz zu Unrecht - als "theokratisch in einem römisch-katholischen Kontext" bezeichnete. Würde die Republik am einseitigen Charakter ihrer Verfassung einige Veränderungen vornehmen, könnte es zwischen Belfast und Dublin "gute Nachbarschaft im striktesten Sinne des Wortes" geben.

Die Besucher aus Dublin trauten ihr Ohren nicht. Hier stand der eisernste Verteidiger der Union, der unerschrockenste Vertreter des nordirischen Protestantismus, der wenige Jahre zuvor den eigenen Premierminister wegen allzu großer Freundlichkeit gegenüber Dublin gestürzt hatte, und machte nun seriöse Vorschläge, wie man die Spannungen zwischen beiden Teilen Irlands beilegen könnte. Daß Paisley es ernst meinte, zeigt die Tatsache, daß er auf die Bitte Houricans einging und sich mit diesem auf ein Schlafzimmer im Hotel für eine halbe Stunde zurückzog, um ein Exklusivinterview zu geben, in dem er auf Band seine Anregungen wiederholte. Das Interview wurde von RTÉ am nächsten Tag, dem Sonntag, im Laufe der Nachrichtensendung am Mittag komplett ausgestrahlt. An jenem Montag gaben die Irish Times und die Irish Press den Berichten ihrer Korrespondenten Kelly und Browne über die Begegnung mit Paisley und über deren mögliche Bedeutung breiten Raum. Doch in Dublin fand sich niemand, weder ein Minister der damaligen Fianna-Fáil-Regierung von Jack Lynch noch irgendein Hinterbänkler im Dáil, der auf den Vorstoß Paisleys einzugehen bereit war. Kelly spricht nicht umsonst von einer "großen, verpaßten Gelegenheit". Wenige Wochen später lief er Paisley erneut im Europa Hotel über den Weg. Nach Angaben Kellys machte der DUP-Chef damals "ganz klar, daß er irgendeine Reaktion aus Dublin erwartet hatte, und ernsthaft enttäuscht war, als keine kam".

9. Mai 2007