Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REDAKTION

PARTEIEN/241: Nordirlands Unionisten nach Unterhauswahl unter Schock (SB)


Nordirlands Unionisten nach Wahl unter Schock

Nach Wahl zum britischen Parlament erwägen DUP und UUP Zusammenlegung


Was hat es im Vorfeld der Wahlen zum britischen Unterhaus in London auf Seiten von Nordirlands Unionisten nicht alles an Intrigen und Planspielen gegeben und wie wenig hat es alles geholfen? Nach dem amtlichen Endergebnis fehlen den bisher oppositionellen Konservativen unter David Cameron, die 306 Sitze erobert haben, 20 Stimmen an der absoluten Mehrheit - 326 - im House of Commons. Da reichen den Tories die Stimmen der acht unionistischen Abgeordneten aus Nordirland nicht, weshalb Cameron bereits am Tag nach der Wahl, dem 7. Mai, Vorgespräche mit Nick Clegg, dem Vorsitzenden der liberaldemokratischen Partei, die ihrerseits 57 Sitze errungen hat, über eine Koalition bzw. die Duldung einer konservativen Minderheitsregierung aufnahm.

Sollten diese Gespräche scheitern, könnten sich die Lib Dems auf die Avancen des amtierenden Premierministers Gordon Brown einlassen, um mit dessen Labour-Partei, die ihrerseits 258 Sitze bekam, eine Koalition zu bilden. Wegen der für eine absolute Mehrheit fehlenden Stimmen müßten sich die sozialdemokratische Labour und die Lib Dems die Unterstützung der Abgeordneten der Scottish National Party (SNP), der walisischen Nationalpartei Plaid Cymru und der gemäßigten katholisch-nationalistischen Social Democratic Labour Party (SDLP) aus Nordirland sichern. So oder so werden während der künftigen Legislaturperiode die protestantisch-probritischen Unionisten für die Tories, auf deren Seite sie im Unterhaus traditionell stehen, nicht Zünglein an der Waage spielen können. Insgesamt geht aus den Unterhauswahlen der Unionismus an sich, der im Kern das Nein zu einer Vereinigung der sechs nordöstlichen Grafschaften Irlands mit der Republik im Süden verkörpert, stark geschwächt hervor.

Bei der letzten Unterhauswahl 2005 hatte Reverend Ian Paisleys Democratic Unionist Party (DUP) die Ulster Unionist Party (UUP), die nach der Teilung Irlands jahrzehntelang stärkste politische Kraft in Nordirland war, vernichtend geschlagen. Der damalige DUP-Chef David Trimble verlor seinen Sitz im Unterhaus und mußte zurücktreten. Von den 18 nordirischen Sitzen gewann die DUP neun, die UUP dagegen nur den einen. Auf nationalistischer Seite gewannen Sinn Féin, der politische Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), fünf Sitze und die SDLP drei.

Seitdem ist vieles passiert. Die DUP, deren Vormarsch auf ihre Kritik am Karfreitagsabkommen von 1998 zurückzuführen war, wurde von den Regierungen Großbritanniens und Irlands praktisch gezwungen, wie einst die UUP, mit Sinn Féin eine Koalitionsregierung für Nordirland zu bilden. Nach dem Ausscheiden des alternden Paisleys aus der aktiven Politik vor zwei Jahren hatte dessen langjähriger Vertrauensmann Peter Robinson die Führung der DUP und den Posten des Ersten Ministers Nordirlands übernommen. In diesem Frühjahr hat das nordirische Regionalparlament die Befugnisse für Polizei- und Justizwesen nach mehr als dreißig Jahren von London an Belfast zurückübertragen lassen. Nordirland hat damit zum erstenmal seit den Anfangsjahren der sogenannten "Troubles" wieder ein eigenes Innenministerium, das von David Ford von der überkonfessionellen Alliance Party geleitet wird. Gegen diesen wichtigen Schritt in Richtung Normalität hatte die UUP opponiert, die so die DUP rechts überholen wollte. In ihrer Kritik wurde sie nur noch von der neuen Splitterpartei Traditional Unionist Voice übertroffen, die bei den Wahlen zum EU-Parlament im Sommer 2010 der DUP viele Stimmen gekostet hatte.

Über Weihnachten und im Frühjahr kamen führende Mitglieder von DUP und UUP unter der Schirmherrschaft des erzreaktionären Oranierordens und der konservativen Partei Großbritanniens bei einer Reihe konspirativer Treffen zusammen, bei denen die Frage, wie bei der bevorstehenden Wahl der unionistische Stimmen- bzw. Sitzanteil zu maximieren wäre, im Mittelpunkt stand. Nach Bekanntwerden der Geheimgespräche warfen Premierminister Brown und Nordirland-Minister Shaun Woodward Camerons Konservativen und den Unionisten vor, aus parteipolitischem Kalkül den Friedensprozeß zu gefährden und ein Wiederaufflammen der Gewalt in Nordirland billigend in Kauf zu nehmen. Das Ergebnis der Gespräche war, daß DUP und UUP mit Rodney Connor einen gemeinsamen Kandidaten im Wahlkreis Fermanagh South-Tyrone aufstellten, der Michelle Gildernew von der Sinn Féin den Sitz abnehmen sollte. Darüber hinaus haben die UUP und die Tories das Parteienbündnis Ulster Conservatives and Unionists - New Force (UCUNF) aus der Taufe gehoben. Dem UUP-Chef Sir Reg Empey soll Cameron in einer künftigen Regierung sogar einen Ministerposten in Aussicht gestellt haben.

Doch der Vorstoß der britischen Konservativen in die Niederrungen der nordirischen Politik hat sich als peinlicher Flop erwiesen. Gleich nach der Gründung der UCUNF ist Lady Silvia Hermon, die im Unterhaus dem linken Labour-Flügel nahestand, aus der UUP ausgetreten. Bei der Wahl geschah der "neuen Kraft" katastrophales. Während die inzwischen "unabhängige" Kandidatin Hermon ihren Sitz in North Down mit einer überwältigenden Mehrheit von 66 Prozent der abgebenen Stimmen verteidigte, haben die ehemaligen Parteikollegen von der UUP keinen einzigen Sitz gewinnen können. Bei dem Versuch, den Wahlkreis South Antrim dem DUP-Kandidaten William McCrea abzunehmen, ist der UUP-Chef Empey kläglich gescheitert. Damit werden die Ulster Unionists zum erstenmal seit der Teilung Irlands im Jahre 1922 nicht mehr im britischen Unterhaus vertreten sein. Kein Wunder, daß innerhalb der Partei bereits jetzt laut über ein Zusammengehen mit der DUP nachgedacht wird.

Die Democratic Unionists haben von ihren bisher neun Sitzen acht erfolgreich verteidigen können. Der Angriff der TUV-Hardliner fiel schwächer aus als erwartet. Insgesamt haben die unionistischen Nein-Sager um Jim Allister mehr als fünfzig Prozent weniger Stimmen erhalten als bei der Wahl zum Europaparlament vor einem Jahr. Dafür hat es die DUP jetzt mit einer regelrechten Führungskrise zu tun, nachdem der Parteichef Robinson seinen Sitz in East Belfast, den er seit 1979 im Unterhaus vertrat, unerwartet verloren hat. Grund für die Abstraffung des DUP-Vorsitzenden und amtierenden nordirischen Premierministers durch die Wähler im Osten der Hauptstadt Ulsters war der Sex- und Korruptionsskandal um seine Frau und politische Gefährtin Iris. Bemerkenswert ist auch der Umstand, daß die Wähler in diesem Teil des unionistischen Kernlands nicht Trevor Ringland, den UUP-Kandidaten, sondern Naomi Long von der Alliance Party zu ihrer neuen Parlamentsabgeordneten gewählt haben.

Zum Abschluß eines insgesamt denkwürdigen Tages für die Unionisten kam am späten Nachmittag aus Fermanagh South-Tyrone eine letzte Hiobsbotschaft: nach der zweiten Nachzählung wurde amtlich bestätigt, daß Sinn Féins Gildernew ihren Sitz mit gerade noch vier Stimmen Vorsprung gegen den gemeinsamen DUP-UUP-Kandidaten Ford erfolgreich verteidigt hatte (Aufgrund Sinn Féins prinzipieller Ablehnung der Zugehörigkeit Nordirlands zum Vereinigten Königreich mit Großbritannien nehmen ihre Abgeordneten ihre Sitze im Londoner Unterhaus nicht ein). Demnach lautet die aktuelle Sitzaufteilung in der Unruheprovinz: DUP 8, SF 5, SDLP 3, Alliance 1, Unabhängige 1, UUP 0 und TUV 0.

7. Mai 2010