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PARTEIEN/256: Wahlkampf in Irland - linke Opposition im Aufwind (SB)


Wahlkampf in Irland - linke Opposition im Aufwind

Etablierte Parteien bekommen zunehmend Konkurrenz


In genau zwei Wochen finden am 25. Februar die Wahlen zum irischen Unterhaus, dem Dáil, statt. Vor zwei Tagen lief die Frist zur Anmeldung einer Kandidatur ab. Ohne etwas von der Spannung des derzeit erbittert ausgefochtenen Wahlkampfs, der bekanntlich vor dem Hintergrund einer beispiellosen Finanz- und Wirtschaftskrise auf der grünen Insel stattfindet, zu nehmen, kann man allein aus der Zusammensetzung der offiziellen Kandidatenliste bereits jetzt einige verläßliche Aussagen über die Zusammensetzung des 31. Dáil machen.

Fest steht, daß die seit 1997 zuerst mit den neoliberalen Progressive Democrats und seit 2007 mit den Grünen regierende Fianna Fáil die Mehrheitsfraktion nicht stellen wird. Dies hängt nicht nur mit ihren katastrophal niedrigen Umfragewerten, sondern vor allem mit der Tatsache zusammen, daß sie nur 75 Kandidaten ins Rennen schickt. Selbst wenn diese alle den Sprung in das Dáil schafften, verfügte Fianna Fáil, die in Irland seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1922 am längsten die Regierungsverantwortung entweder allein oder in Koalition mit kleineren Parteien getragen hat, in dem 166sitzigen Unterhaus immer noch über keine eigene Mehrheit.

Seit der Gründung von Fianna Fáil als nationalkonservative Interessensvertretung der Kleinbauern und der unteren Mittelschicht im Jahre 1926 wird dies auch die erste Wahl sein, bei der sie nicht genügend Kandidaten aufgestellt hat, um eine eigene Regierungsmehrheit zu erringen. Dieser Umstand erklärt sich aus der derzeit ungeheuren Unpopularität der Soldaten des Schicksals (so die Übersetzung des gälischen Parteinamens), deren jahrelange, berüchtigte Kumpanei mit dem einheimischen Bausektor viele Bürger als wesentlichen Faktor für die Entstehung jener Immobilienblase ansehen, deren Platzen Premierminister Brian Cowen und Finanzminister Brian Lenihan im September 2008 zur Herausgabe einer umfassenden Bankengarantie veranlaßte, deren ungeheure Kosten das Land im vergangenen November in die Arme des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) getrieben hat, um den Staatsbankrott zu vermeiden.

Die sich abzeichnende, schwere Bestrafung durch die Wähler und die Aussicht auf eine längere Verbannung auf die Oppositionsbänke haben viele führende Fianna-Fáil-Mitglieder, darunter Premierminister Cowen, dessen Vorgänger Bertie Ahern und Justizminister Dermot Ahern, veranlaßt, ihren Rücktritt aus der aktiven Politik zum Ende der derzeitigen Legislaturperiode zu verkünden. Die mangelnden Erfolgsaussichten erklären auch, warum Fianna Fáil, die vor vier Jahren 106 Kandidaten aufstellte, es diesmal nur auf 75 bringt bzw. bringen kann. Hatte Fianna Fáil 2007 71 Sitze errungen, so liegt sie derzeit in den Umfragen bei rund 17 Prozent. Folglich geht man davon aus, daß die Partei mehr als die Hälfte ihrer Sitze verlieren wird und daß der neue Vorsitzende, Ex-Außenminister Mícheál Martin, im neuen Parlament eine Fraktion von lediglich 20 bis 30 Abgeordneten anführen wird.

Die ebenfalls nationalkonservative Fine Gael, traditionell die Partei des Großbürgertums und der Großbauern, stellt erst zum zweitenmal in ihrer Geschichte mehr Kandidaten als Fianna Fáil auf (1969 gingen Fine Gael (Klan der Iren) und Fianna Fáil mit 125 respektive 122 Kandidaten ins Rennen). 2007 wartete Fine Gael mit 91 Kandidaten auf. Diesmal sind es 104. Sie liegt in allen Umfragen bei 34 Prozent und wird im neuen Parlament vermutlich die größte Fraktion bilden und mit Enda Kenny den nächsten Premierminister stellen. Wenngleich Fine Gael aufgrund der Anzahl ihrer Kandidaten theoretisch eine eigene Mehrheit erreichen könnte, gehen alle Experten davon aus, daß sie zwar sehr gut abschneiden und mit siebzig plus eventuell ihr bestes Ergebnis erzielen, jedoch auf einen Koalitionspartner oder die Duldung durch eine andere Fraktion angewiesen sein wird, um regieren zu können.

Als Koalitionspartnerin von Fine Gael wird seit langem die sozialdemokratische Labour-Partei gehandelt, zumal sie in der Vergangenheit mehrmals zusammen regiert haben und seit 1997 die Opposition zu Ahern, Cowen und Konsorten anführen. In den jüngsten Umfragen kommt Labour unter ihrem Vorsitzenden Eamon Gilmore im Schnitt auf 22 Prozent. Bekommt sie bei der Wahl diesen Stimmenanteil, hätte es für sie eine positive und eine negative Seite. Damit würde Labour vermutlich mehr als 30 Sitze gewinnen und erstmals in ihrer langen Geschichte Fianna Fáil auf den dritten Platz verweisen. Das wäre eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu 2007, als Labour nur 20 Sitze errang, aber nichts im Vergleich zu den Perspektiven, die im vergangenen Herbst vorherrschten. Damals lag Labour in den Umfragen mit Fine Gael praktisch gleich auf. Es wurde sogar das Szenario diskutiert, daß Labour erstmals stärkste Kraft werden könnte. Folglich haben die Sozialdemokraten mit 68 mehr Kandidaten aufgestellt, was sich für sie eventuell ungünstig auswirken könnte.

In Irland gibt es keine Parteilisten. Die Kandidaten kämpfen in Wahlkreisen, die zwischen drei und fünf Abgeordneten ins Parlament schicken, jeweils für sich. Der Wähler gibt mit der Nummer eins seine Stimme dem von ihm präferierten Kandidaten und kann gleichzeitig durch die Vergabe weiterer Nummern eine Art Rangliste der übrigen Kandidaten aufstellen. Nach der Auszählung aller Erststimmen werden die Zweitstimmen der Kandidaten verteilt, die am erfolglosesten waren, bis die führenden Bewerber eine bestimmte Quote - die sich über eine Formel aus der Anzahl der Kandidaten und der abgegebenen Stimmen errechnet - erreicht haben und damit gewählt sind. Auch die über die Quote hinausgehenden Zweistimmen der erfolgreichen Kandidaten werden verteilt. Insgesamt gibt es in der Republik Irland 43 Wahlkreise, was bedeutet, daß Labour in einigen mit zwei Kandidaten vertreten ist. Der Rückgang ihrer Zustimmungswerte bedeutet, daß statt, wie geplant, der stärkere Labour-Kandidat gewählt wird und seine Zweistimmen dazu dienen, einen Parteikollegen ebenfalls über die Quote zu bringen, es nun so aussieht, daß die Sozialdemokraten in solchen Wahlkreisen die Erststimmen für ihre Partei unter sich aufteilen und beide dadurch nicht gewählt werden.

Enorm hoch ist die Anzahl der Kandidaten, die sich entweder als Parteilose oder als Vertreter kleinerer Parteien zur Wahl angemeldet haben. Sie hat sich im Vergleich zu 2007 von 107 auf 233 mehr als verdoppelt. Die meisten dieser Kandidaten sind dem linken Spektrum zuzuordnen. Dies gilt für die People Before Profit Alliance und die Sozialistische Partei, die mit neun respektive acht Kandidaten zusammen unter dem Banner der United Left Alliance (ULA) zum Zwecke der Stimmenmaximierung an der Wahl teilnehmen, wie auch für die Gruppierung New Vision oder unabhängige Kandidaten wie Catherine Connolly, die einst Labour-Mitglied war und seit einigen Jahren nun als parteilose Lokalpolitikerin dem Galway County Council angehört.

Die kleineren Parteien zusammen mit den unabhängigen Kandidaten liegen derzeit in den Umfragen mit 13 Prozent gleichauf mit der linksnationalistischen Sinn Féin, die 41 Kandidaten aufbietet. Folglich geht man davon aus, daß die Sinn Féin die Zahl ihrer Abgeordneten von derzeit fünf mehr als verdoppeln und bei mehr als zehn landen wird, während es eine ebenso hohe Anzahl von neuen Abgeordneten von der ULA zusammen mit denen aus den Reihen der Parteiungebundenen geben wird. Auf jene Abgeordneten wird die Aufgabe zukommen, den Widerstand innerhalb wie außerhalb des Dáil gegen das ganze Kürzungs- und Privatisierungsprogramm zu mobilisieren, das Fine Gael und Labour aller Voraussicht nach unter Verweis auf die leere Staatskasse zu implementieren versuchen werden.

11. Februar 2011