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PARTEIEN/290: Streit um Verhaftung von Gerry Adams voll entbrannt (SB)


Streit um Verhaftung von Gerry Adams voll entbrannt

Spekulationen auf Auswirkungen auf EU- und Kommunalwahl halten an



Nach zwei Tagen Befragung des Sinn-Féin-Parteichefs Gerry Adams in Verbindung mit dem Mordfall Jean McConville aus dem Jahr 1972 wurde dem Antrag des Police Service of Northern Ireland (PSNI), die Vernehmung um weitere 48 Stunden zu verlängern, am Abend des 2. Mai von einem Richter stattgegeben. Adams wird verdächtigt, damals als Führungsmitglied der katholisch-nationalistischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) in Belfast den Befehl zur Tötung und zum Verschwindenlassen der Leiche der zehnfachen Mutter und Witwe McConville wegen Spitzeltätigkeit in der Belfaster Sozialsiedlung Divis Flats gegeben zu haben. Adams, der seit 1983 Sinn-Féin-Präsident ist und wie kaum ein zweiter zur Beendigung des nordirischen Bürgerkrieges und des bewaffneten Kampfes der IRA gegen die Übermacht aus britischen Streitkräften, der einst protestantisch-dominierten Polizei und den loyalistischen Paramilitärs von Ulster Volunteer Force (UVF) und Ulster Defence Association (UDA) beigetragen hat, weist alle Vorwürfe von sich.

Von der Unschuld von Adams in der McConville-Angelegenheit sind die wenigsten Menschen in Irland und Großbritannien überzeugt. Seit Jahren bestreitet er, jemals Mitglied der IRA gewesen zu sein, obwohl die Hinweise für das Gegenteil ganze Bücherregale füllen könnten. Die Frage ist jedoch, ob eine Beteiligung von Adams an einem Vorfall, den alle für schrecklich und bedauerlich halten, vor Gericht bewiesen werden kann. Da sind Zweifel erlaubt. Wie die Irish Times am 3. Mai unter Verweis auf Sinn-Féin-Quellen berichtete, wurde Adams bisher vor allem zu den Aussagen der früheren IRA-Freiwilligen Brendan Hughes und Dolours Price sowie zu eigenen Äußerungen in den Medien aus vergangenen Jahrzehnten befragt.

Hughes, eine Ikone der irisch-republikanischen Bewegung und ein früherer Freund von Adams, der sich jedoch von ihm im Streit um den Friedenskurs von IRA und Sinn Féin abwandte, und Price, die wegen eines Bombenanschlags 1983 auf das Gerichtsgebäude Old Baily in London mehrere Jahre hinter Gitter verbrachte, haben vor ihrem Tod - 2008 respektive 2013 - Adams als denjenigen identifiziert, der den Befehl zur Hinrichtung von McConville gegeben hat. Hughes hat zudem behauptet, daß die IRA ein Funkgerät in McConvilles Wohnung gefunden habe, während Price eigenhändig die junge Frau über die Grenze zu ihrem Tod auf einem einsamen Strand in der Grafschaft Louth in der Republik Irland gefahren haben wollte.

Wenn der PSNI nicht viel mehr als die Aussagen zweier Verstorbener in der Hand hat, die nicht vor Gericht unter Eid ins Kreuzverhör genommen werden können und deren Glaubwürdigkeit als politische Gegner des Beschuldigten ohnehin in Frage steht, dann dürfte das für eine Anklageerhebung, geschweige denn für eine Verurteilung vermutlich nicht reichen. Nicht umsonst hat die übrige Sinn-Féin-Führung - Martin McGuinness, Stellvertretender Erster Premierminister von Nordirland, und Mary Lou McDonald, Vizepräsidentin und Abgeordnete im Dubliner Parlament - gleich nach der Verhaftung von Adams den Vorwurf des politischen Mißbrauchs der Justiz erhoben. Schließlich hatten die Meinungsumfragen drei Tagen vor der Vorladung von Adams durch den PSNI Sinn Féin einen erdrutschartigen Sieg bei den EU- und Kommunalwahlen beiderseits der irischen Grenze am 22. Mai prognostiziert. Dieser Erfolg von Sinn Féin ist nun wegen der Affäre um die paramilitärische Vergangenheit ihres langjährigen Vorsitzenden gefährdet.

In einer Pressekonferenz am 2. Mai hat McGuinness erneut die These vertreten, es gäbe "dunkle Kräfte" aus der früheren, inzwischen aufgelösten nordirischen Sicherheitspolizei, dem von katholischen Nationalisten gefürchteten "Special Branch", die sich mit der Reform der früheren Royal Ulster Constabulary (RUC) zum konfessionsneutralen PSNI nicht abgefunden hätten und die den Bürgerkrieg gegen den irischen Republikanismus mit anderen Mitteln nach wie vor führten. McGuinness machte für die Verhaftung von Adams wörtlich "eine Kabale innerhalb des PSNI" verantwortlich, die seiner Meinung nach "eine negative und zerstörerische Agenda dem Friedensprozeß und Sinn Féin gegenüber" verfolge.

Sinn Féin sieht im Friedensprozeß bekanntlich den Weg, Irland friedlich wiederzuvereinigen. Offenbar will die alte Garde der RUC Special Branch gerade dies mit allen Mitteln verhindern. Ebenfalls am 3. Mai in der Irish Times schrieb der Belfast-Korrespondent Fiach Kelly unter Verweis auf Sinn-Féin-Quellen, besagte "Kabale" innerhalb des PSNI stehe mit "Hardlinern" bei der Democratic Unionist Party (DUP), der größten protestantisch-unionistischen Gruppierung Nordirlands, und der noch reaktionäreren, aber kleineren Traditional Unionist Voice (TUV) in Verbindung. Jedenfalls ist durch die Verhaftung von Adams die Stimmung innerhalb der Belfaster Koalitionsregierung aus Sinn Féin und DUP auf den absoluten Nullpunkt gesunken. Als am Abend des 2. Mai McGuinness und Regierungschef Peter Robinson von der DUP dem großen Eröffnungsspiel im herrlichen neuen, weil umfassend umgebauten Rugby-Stadium Ravenhill zu Belfast zwischen den Provinzen Ulster und Leinster von der Tribüne aus beiwohnten, haben sie sich keines einzigen Blickes gewürdigt, sondern saßen beide mit grimmiger Miene da. Am Sieg Leinsters über die Ulstermen mit 22 zu 20 Punkten dürfte das nicht gelegen haben.

3. Mai 2014