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PARTEIEN/345: In Irland verläßt Gerry Adams die politische Bühne (SB)


In Irland verläßt Gerry Adams die politische Bühne

Verjüngung soll Regierungsbeteiligung Sinn Féins in Dublin ermöglichen


In Irland hat Gerry Adams nach 34 Jahren als Präsident der nationalistischen Sinn-Féin-Partei seinen Abschied von der aktiven Politik angekündigt. Immer wieder unterbrochen durch stehende Ovationen der 2500 Delegierten auf dem diesjährigen Parteitag Sinn Féins ließ am 18. November in Dublin der 69jährige Adams, der im irischen Parlament als Abgeordneter die Grafschaft Louth vertritt, in einer eineinhalbstündigen Rede seine politische Karriere Revue passieren, um am Ende bekanntzugeben, daß er sich bei den nächsten Wahlen in der Republik Irland als Kandidat nicht aufstellen lassen werde; auf einem Sonderparteitag im Frühjahr 2018 solle die Nachfolgeschaft geregelt werden. Als haushohe Favoritin gilt die 48jährige Parteivizechefin Mary Lou McDonald.

Damit steht Sinn Féin nicht nur eine Verjüngung bevor. Während Adams aus Belfast stammt und sein Name eng mit der Geschichte Sinn Féins als politischer Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) während des dreißigjährigen Bürgerkrieges in Nordirland (1968-1998) verknüpft ist, hat McDonald, die in Dublin geboren und aufgewachsen ist, keine paramilitärische Vergangenheit vorzuweisen. Sie gilt von daher als unbelastet. Durch den Rücktritt macht Adams Sinn Féin für viele Bürger, die sich bis heute an der früheren IRA-Verbindung gestört haben, wählbarer in der Republik. Gleichzeitig wird Sinn Féin, welche bereits jetzt die drittstärkste Fraktion im Dáil stellt, für die beiden anderen großen Parteien, die regierende Fine Gael und die oppositionelle Fianna Fáil, erstmals ernsthaft zur potentiellen Koalitionspartnerin.

Auf der grünen Insel hat das Votum einer Mehrheit der britischen Bürger im Juni 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union die nationale Frage, die nach dem Ende der "Troubles" und dem Abschluß des Karfreitagsabkommens 1998, das ein Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich mit Großbritannien vorsieht, bis sich dort eine Mehrheit in freier Abstimmung anders entscheidet, bis auf weiteres gelöst zu sein schien, mit einer ungeheuren Wucht wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Im Süden war lange Zeit das Streben nach der Wiedervereinigung verpönt. Wer sich offen für die Beendigung der 1921 von London und den probritischen Unionisten mit Waffengewalt erzwungenen Teilung - Partition - aussprach, lief Gefahr, zum IRA-Sympathisanten und Terrorismus-Apologeten gestempelt zu werden.

Inzwischen herrscht ein ganz anderes politisches Klima. Das Drängen der Euroskeptiker in der konservativen Regierung Theresa Mays nach einem harten Brexit, sprich Austritt des Vereinigten Königreichs aus EU-Binnenmarkt und europäischer Zollunion, würde im Falle seiner Umsetzung die Installierung einer festen Grenze zwischen Nordirland und der Republik zwingend erforderlich machen. In Dublin lehnen alle Parteien ein solches Szenario kategorisch ab. Premierminister Leo Varadkar hat vor wenigen Tagen offen mit einem Veto Irlands bei den Brexit-Verhandlungen gedroht, sollte Dublin von London keine schriftliche Erklärung erhalten, daß es nach dem Brexit keine Grenzinstallationen zwischen den 26 Grafschaften der Republik und der sechs im Nordosten der Insel geben wird. Varadkars profilierter Einsatz im Brexit-Streit hat nicht nur handfeste diplomatische und wirtschaftliche, sondern auch wahltaktische Gründe. In den letzten zwölf Monaten haben sowohl Sinn Féin als auch Fianna Fáil Konzepte zur Wiedervereinigung Irlands vorgelegt. Fine Gael muß den beiden politischen Rivalen die nationale Frage überlassen und bleibt lediglich Zuschauer.

Vergessen werden darf auch nicht, daß bei den Wahlen zum nordirischen Parlament im vergangenen März die nationalistischen Parteien erstmals mehr Sitze gewonnen haben als die unionistischen. Das historische politische Erdbeben hatte eine wichtige Ursache. Die katholisch-nationalistischen Wähler sind in großer Zahl zur Urne gegangen, um ihre Zufriedenheit darüber zum Ausdruck zu bringen, daß Sinn Féin wenige Wochen zuvor die Koalitionsregierung mit der protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) wegen ihrer Arroganz und unkooperativen Haltung in Fragen der Gleichstellung der gälischen Sprache, der Ehe für alle und der Aufarbeitung der "Troubles" zum Kollaps gebracht hat. Seitdem verhandeln Sinn Féin und DUP wegen einer Neuauflage der interkonfessionellen Administration für Nordirland - ergebnislos.

In der Brexit-Frage stehen sich Sinn Féin und DUP diametral gegenüber. Als fast einzige Partei Nordirlands hat die DUP 2016 Stimmung für den EU-Austritt gemacht. Doch ähnlich wie Schottland und im Gegensatz zu England und Wales haben die meisten Menschen in Nordirland gegen den Brexit votiert. Ungeachtet dessen macht die DUP mit den harten Brexiteers in London gemeinsame Sache und ignoriert die möglichen wirtschaftlichen Probleme völlig.

Noch vor der Abstimmung hatte die DUP Gelder aus dubiosen Quellen zur Finanzierung einer recht teuren Werbekampagne in der Londoner U-Bahn eingesetzt. Seit Mays Regierung bei den Unterhauswahlen im vergangenen Juni ihre parlamentarische Mehrheit verloren hat, wird sie von den zehn DUP-Abgeordneten im Unterhaus an der Macht gehalten. Im Gegenzug wurde der DUP eine Million Pfund zusätzlicher Zuwendungen aus dem britischen Staatshaushalt für Nordirland zugesichert. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, daß in den letzten Wochen sowohl der Nordirland-Minister James Brokenshire als auch der Brexit-Minister David Davis dem konstruktiven Vorschlag einer Verlegung der künftigen Zollkontrollen zur EU an die Flug- und Schiffshäfen beiderseits der Irischen See eine Absage erteilt haben. Seit der irische Außenminister Simon Coveney in diesem Sommer als erster Politiker die Idee ventilierte, läuft die DUP dagegen Sturm, denn sie sieht darin - nicht ganz zu unrecht - einen gewichtigen Schritt Richtung Wiedervereinigung Irlands.

Die Reaktion führender unionistischer Politiker auf den Rücktritt von Adams war wenig versöhnlich, um es milde auszudrücken. Sammy Wilson zum Beispiel, DUP-Unterhausabgeordneter aus Belfast, verglich den Sinn-Féin-Präsidenten mit dem alternden "blutgetränkten Diktator" Robert Mugabe in Zimbabwe und meinte, in der "unionistischen Gemeinde" würde ihm niemand eine Träne nachweinen. Sicherlich hat sich Adams als IRA-Kommandeur und -Chefstratege während der Troubles einige schlimme Dinge zuschulden kommen lassen - berüchtigt, wenngleich gerichtlich unbewiesen, ist seine Rolle bei der Liquidierung der mehrfachen Mutter Jean McConville im Jahre 1972 wegen des Verdachts der Spitzeltätigkeit für die britischen Streitkräfte. Doch gleichzeitig darf man seine Verdienste um den nordirischen Friedensprozeß nicht vergessen. Ohne Adams und seinen engen politischen Weggefährten, dem letzten März an Krebs gestorbenen Martin McGuinness, hätte die IRA nicht oder vielleicht sehr viel später den bewaffneten Kampf für beendet erklärt. Darüber hinaus sollten die Unionisten nicht so tun, als hätten ihre eigenen Handlanger bei den loyalistischen Paramilitärs keine Greueltaten verübt.

So oder so war der Rücktritt von Adams eigentlich längst überfällig. In den letzten Jahren, nach der Verlegung des Schwerpunktes seiner politischen Tätigkeit von Belfast nach Dublin, war Adams' Präsidentschaft von Sinn Féin nicht immer von Erfolg gekrönt gewesen. Während der Bankenkrise und deren Bewältigung ab 2008 erwies sich sein wirtschaftlichen Sachverstand als wenig überzeugend. Bei den letzten Wahlen ist Sinn Féin im Süden zwar kontinuierlich gewachsen, jedoch hinter den eigentlichen Erwartungen zurückgeblieben. Dafür war nach landläufiger Meinung Adams mit seiner Dauerbehauptung, niemals offiziell Mitglied der IRA gewesen zu sein, selbst verantwortlich. Es ist sicherlich so, daß juristische Überlegungen Adams zu diesem Standpunkt zwangen, doch das machte ihn in den Augen der Wähler im Süden nicht glaubwürdiger. Adams dürfte als Mose Sinn Féins in die Geschichtsbücher eingehen. Er hat seine Partei dem alles überragenden Ziel eines wiedervereinigten Irlands nähergebracht, doch den Traum werden andere verwirklichen.

20. November 2017


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