Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REPORT

BERICHT/001: Deutsch-Polnischer Alltag - Architekturausstellung in Schleswig-Holstein (SB)


Zur Geschichte zweier Grenzkulturen im Herzen Europas

Modernes Bürohaus in Danzig (2)

Modernes Bürohaus in Danzig
ARCH-DECO Bürohaus, Gdansk / Danzig 2005-06
Foto: W. Krynski

Deutschland hat einen neuen Präsidenten - Polen auch. Am 30. Juni 2010 wurde Christian Wulff zum neuen Staatsoberhaupt der Bundesrepublik gewählt, wenige Tage später Bronislav Komorowski in Polen. Für beide Präsidenten war der Ausgang der Wahl zunächst ungewiß, die Entscheidung knapp und aufregend, für beide Länder kam der Wachwechsel überraschend und vor der Zeit. Während in Polen die Neuwahl durch das Flugzeugunglück am 10. April diesen Jahres, bei dem der amtierende Lech Kaczyinski ums Leben kam, notwendig wurde, sorgte in Deutschland der plötzliche Rücktritt Horst Köhlers für einen vorzeitigen Urnengang. Beide Präsidenten sind die Dienstjüngsten ihres Landes. Beide betonen ihr Interesse an einem Ausbau der Beziehungen zwischen ihren Ländern. In dieser Woche trafen sie in Warschau erstmals zusammen.

Für den Schattenblick ein Anlaß, vor dem Hintergrund der großen politischen Ereignisse nicht darauf zu verzichten, einen Blick auf den Alltag deutsch-polnischer Verständigung zu werfen, deren Aktivisten die sich mit der Organisation von Ausstellungen, Vorträgen, Filmen, Lesungen, Musik-Events, Städtepartnerschaften oder Jugendbegegnungen dafür einsetzen, ein gutnachbarliches Verhältnis zwischen Deutschen und Polen zu befördern.

So steht, um nur einige, wenige Stichworte zu nennen, der schleswig-holsteinische KulturSommer 2010 unter dem Länderschwerpunkt Polen, Dresden richtete die 3. Deutsch-Polnischen Medientage aus, auf dem 4. Baltic Media Forum in Lübeck diskutierten prominente Politiker unter dem Titel "Wandel-Wende-Wirklichkeit" zwei Tage lang über das Verhältnis beider Länder und das Itzehoer Wenzel-Hablik-Museum eröffnete im Juni eine Ausstellung über polnische Architektur im Spiegel der letzten 100 Jahre.

Polnische Architektur nach dem 2. Weltkrieg (1)

Polnische Architektur nach dem 2. Weltkrieg
"POLSKA Architektura. POLEN Architektur. Im Spiegel der Geschichte"
Ausstellung im Wenzel-Hablik-Museum, Itzehoe
Foto: Redaktion Schattenblick

Der Ort ist nicht von ungefähr gewählt. Das Museum, benannt nach dem ausgesprochen vielseitigen Künstler Wenzel Hablik, der sich am Anfang des 20. Jahrhunderts als Maler, Graphiker, Architekt und Designer einen Namen machte, beherbergt Dank einer Stiftung und einem gleichnamigen Förderverein einen Querschnitt durch die Vielfältigkeit seiner Werke, darunter Ölgemälde, Wandbehänge, Möbel, Tongefäße, Wohnaccessoires aus Messing, Kupfer und Silber, Schmuckstücke und beeindruckende Radierungen mit philosophischen Bezügen zu Nietzsche und Schopenhauer über das Leben der Menschen in der Zukunft. Hablik war leidenschaftlicher Sammler von Muscheln und Kristallen, die ihn zu futuristischen Architekturentwürfen inspirierten. Auch dies ein naheliegender Grund, warum sich das Museum als einziges in Deutschland auf Architektur und Design fokussiert hat.

Stanislaw Witkiewicz - Villa unter den Tannen (1)

Stanislaw Witkiewicz - Villa unter den Tannen
"POLSKA Architektura. POLEN Architektur. Im Spiegel der Geschichte"
Ausstellung im Wenzel-Hablik-Museum, Itzehoe
Foto: Redaktion Schattenblick

Die Ausstellung über die "Polska Architektura" bietet dem Zuschauer übersichtlich und gut sortiert einen Blick auf verschiedene Zeitetappen polnischer Architektur, auf die Moderne zwischen 1918 und 1925 mit ihren eigenwilligen Schöpfungen, auf die Bauten im großen Maßstab sozialistischer Prägung nach dem zweiten Weltkrieg, darunter auch Zeugnisse temporärer Architektur eines sich ankündigenden Aufbruchs in den 80er Jahren, sowie auf Projekte aus der Zeit nach 1989, die sich sichtlich stärker am Westen orientieren. Wenngleich es schwierig sein dürfte, von einer speziell polnischen Architektur zu sprechen, weil sich Architektur wie alle Künste der strengen Zuordnung unter nationale Grenzen widersetzt, sind die Ausstellungsobjekte als Fotografie oder Modell deutliche Zeugen der verschiedenen Epochen jüngerer polnischer Geschichte.

Kioske aus den 80er Jahren (1)

Kioske aus den 80er Jahren
"POLSKA Architektura. POLEN Architektur. Im Spiegel der Geschichte"
Ausstellung im Wenzel-Hablik-Museum, Itzehoe
Foto: Redaktion Schattenblick

In diesem kleinen und konzentrierten Rahmen war der Vortrag von Professor Dr. Frank Golczewski, Spezialist für osteuropäische Geschichte an der Uni Hamburg, über Probleme des deutsch-polnischen Verhältnisses am Abend des 7. Juli, obwohl in scharfer Konkurrenz zum WM-Duell zwischen Deutschland und Spanien um den Einzug ins Finale, ein lebendiger Beweis dafür, daß Fußball eben doch nicht alles ist.

Dafür, wie sehr und quer zur Faktizität der Ereignisse gewollte oder gemachte Erinnerung unser Bild von der Vergangenheit und damit unser Selbstverständnis bestimmt - "so soll es gewesen sein" statt "so ist es gewesen" -, lieferte der Vortrag gerade für dieses Land, das lange und immer wieder von der Landkarte verschwunden war, beeindruckende und den meisten Zuhörern bislang unbekannte Beispiele.

So ist die Schlacht bei Tannenberg/Grunwald vom 14. Juli 1410, die als die letzte Schlacht gilt, die Polen glorreich gewonnen hat und darum jedes Jahr mit einem historischen Spektakel als eine Art Volksfest nationaler Identität begangen wird - ganz besonders in diesem Jahr, in dem sich das Ereignis zum 600. Male jährt -, eben kein Sieg Polens über Deutschland. Vielmehr verlor damals ein Heer des Deutschen Ordens gegen ein gemeinsames Heer von Litauern und Polen. Denn Deutschland gab es damals noch gar nicht - und Polen auch nicht. Das Gebiet war geteilt zwischen Rußland, Österreich und Preußen und der Ort des Geschehens gehörte damals nicht einmal zu polnischem Gebiet. Daß man das Schlachtfeld, allerdings auch erst seit dem ersten Weltkrieg, in Polen zu einem nationalen Erinnerungsort gemacht hat, ist ein Zeichen, wie nationale Traditionen hergestellt und funktionalisiert werden.

Und noch einer weiteren verbreiteten Annahme stellte Prof. Golczewski die Sicht neuerer Geschichtsforschung entgegen: Die sogenannte Ostkolonisation seit dem 13. Jahrhundert sei kein Raubzug gewesen, sondern eher eine Auswanderungsbewegung auf Bitten der Herrscher in Polen zur Besiedlung und Verbesserung ihrer Ländereien, vergleichbar dem Ruf nach Gastarbeitern in der Bundesrepublik zur Zeit des Wirtschaftswunders. Der Topos "Drang nach Osten" wecke hier falsche Assoziationen, denn es ging im 13. Jahrhundert nicht um nationale Vergrößerung.

Erst im 19. Jahrhundert bildeten sich Nationalstaaten heraus und erst mit ihnen begannen die deutsch-polnischen Probleme. Vorher gab es Streitigkeiten um Besitz oder Titel, aber nicht darum, ob ein Landstrich deutsch oder polnisch war. Die Schwierigkeiten zwischen den Nachbarn seien also weitaus jünger als landläufig kolportiert. Auch das sicher neu für manch poleninteressierten Zuhörer.

Professor Dr. Frank Golczewski

Professor Dr. Frank Golczewski
Foto: Redaktion Schattenblick

1848 dringen mit dem sogenannten Völkerfrühling die Erkenntnisse der französischen Revolution nach Osten und auch an das Ohr des Volkes: daß der Adel nicht von Gott kommt etwa und die Legitimation von Herrschaft nicht von oben, sondern von unten. Die Nation wird Ausdruck der Volkssouveränität. Was nach der Paulskirche gelten sollte, daß nämlich alle Völker in Selbstbestimmung und Freiheit leben, forderten nun auch die Polen.

Um den nationalen Einfluß allerdings auszudehnen, brauchte man die Bauern, eine Teilung Polens von unten beginnt. Da aber gar nicht klar ist, wer Pole, wer Deutscher ist - man ist vielfach einfach ein "Hiesiger" -, muß ein Mittel gefunden werden, seinen jeweils eigenen Volksbestand zu erweitern und zu sichern. Das einzige Kriterium aber, das eine Zuordnung ermöglichte, war die Sprache. Über die Etablierung der jeweiligen Sprache zunächst in Schule und Unterricht entwickelte sich der nationale Kampf zum Kampf um die Kinder - nationale Propaganda als pädagogisches Projekt. So lernten die Polen, Polen, die Deutschen, Deutsche zu sein und sein zu wollen.

Von 1860 an gibt es in den Grenzgebieten immer wieder Konflikte und Konkurrenzdenken auf beiden Seiten. Zur Konkurrenz tritt auf preußischer Seite die Behauptung sozialkultureller Überlegenheit. Polen sollen dankbar sein, Deutsche werden zu dürfen. Polnische nationale Identität habe sich, so der Historiker, durch die Geschichte immer in Gegenwehr zu Deutschland entwickelt, gegen die Gefahr, eingedeutscht oder abgewertet zu werden. Und so mag es nicht verwundern, daß die "Rota" von Maria Konopnicka, ein Lied aus dem Jahre 1908, zur zweiten Nationalhymne in Polen wird: "Wir geben das Land nicht auf, wir lassen unsere Sprache nicht versündigen, wir lassen nicht zu, daß der Feind uns germanisiert." Deutsch-polnische Auseinandersetzung bis in die höchsten Ebenen der Kultur.

Polnischer Pavillon auf der Expo 2005 in Japan (3)

Polnischer Pavillon auf der Expo 2005 in Japan
Ingarden & Ewý, Architekci
Polnischer Pavillon Expo 2005, Japan 2004-05
Foto: K. Ingarden

Im 1. Weltkrieg verlieren alle Teilungsmächte den Krieg, Österreich, Rußland und Deutschland. Es entsteht ein neuer polnischer Staat, von dem man zunächst gar nicht genau weiß, wo er eigentlich liegt. Über manche Grenzziehung wird nach Maßgabe des Versailler Vertrages abgestimmt, über andere in weiteren, militärischen Auseinandersetzungen entschieden. Der neue polnische Staat ist mit allen Nachbarn im Konflikt. Man habe sich, so Professor Golczewski, auf national reine Staaten versteift, obwohl in Osteuropa keine national reinen Gebiete existierten. Parallelen zur jüngeren Geschichte drängen sich auf, obwohl es den Begriff 'ethnische Säuberungen' damals noch nicht gab.

Um die Polen davon zu überzeugen, daß sie jetzt Polen waren, mußte man ihnen die polnische Geschichte erklären. Man mußte tun, was der englische Historiker Eric Hobsbawm "invention of tradition" nennt, indem man die geschichtliche Entwicklung, die keineswegs national war, zu einer nationalen Tradition machte. Darum wurde aus der Schlacht um Tannenberg eine deutsch-polnische Auseinandersetzung, obwohl es doch eigentlich um die Rechte an Bauern ging.

Trotz aller Schwierigkeiten gab es zwischen 1934 und 1939 eine Phase guter Beziehungen zwischen den Nachbarn, die beiden Seiten peinlich ist, einen Nichtangriffspakt zum Beispiel und ein Presseabkommen. 1935 öffnet das polnische Generalkonsulat in Hamburg seine Pforten. Der dahinter steckende Plan Deutschlands, Polen zum Juniorpartner für einen Angriff auf die Sowjetunion zu machen, mißlingt allerdings, die Polen verweigern sich 1939. Der daraus erwachsende Haß auf deutscher Seite, so Professor Golczewski, entsprach "dem Haß eines abgewiesenen Liebhabers".

Wieder wird Polen geteilt, diesmal zwischen Rußland und Deutschland, aber das genügt den Deutschen nicht. Sie wollen, daß Land und Volk verschwinden, durch Vernichtung (polnische Juden), Eindeutschung (Polen mit deutschen Wurzeln) oder Abwertung (Heranziehung zu niedrigsten Arbeiten). Als die Polen sich in Aufständen zur Wehr setzen, werden polnische Städte dem Erdboden gleichgemacht. Nach der Vernichtung des Warschauer Ghettos wird auch der Rest der Stadt ausradiert.

Zerstörtes Warschau

Zerstörtes Warschau
Foto: Redaktion Schattenblick

Beim Wiederaufbau nach dem Ende des Krieges hat man versucht, diese Ereignisse ungeschehen zu machen, seine eigene Geschichte trotzig wiederherzustellen. Die historisierende Bauweise in Polen nach dem 2. Weltkrieg ist ein beredtes Beispiel dafür, wie Architektur Geschichtsbewußtsein prägen kann und umgekehrt. So wurden Neubauten errichtet, die aussehen, als stammten sie aus der Zeit vor dem Krieg oder sogar aus dem Mittelalter. Dieses Aufeinanderprallen von alt und neu in Warschau ist ein Symbol für das neue Polen.

Interessierte Fragen am Ende des Vortrags

Interessierte Fragen am Ende des Vortrags
Foto: Redaktion Schattenblick

Polnische Identität, so Professor Golczweski, habe sich in der Abarbeitung an den Deutschen entwickelt, gegen Mißbrauch, Vereinnahmung und Vernichtung. Polnisches Bewußtsein sei deshalb immer auch Emanzipation von dem, "was Deutsche Polen antun wollten". Umso wichtiger, das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen in neue Bahnen zu lenken. Es gebe in Polen genügend Menschen, die dazu bereit sind.

"Im allgemeinen, finde ich, wäre es hilfreich", äußerte sich der polnische Botschafter in Deutschland, Marek Prawda, auf dem Baltic Media Forum in Lübeck am letzten Wochenende, "wenn die Polen nicht jede Woche überprüften, ob die Deutschen ein gutes Gedächtnis haben, und wenn die Deutschen die Möglichkeit nicht ausschlössen, daß Polen außer Traumata auch Ansichten haben."

Das Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe

Das Wenzel-Hablik-Museum in Itzehoe
Foto: Redaktion Schattenblick

13. Juli 2010