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INTERVIEW/004: James Movel Wuye zum Religionskonflikt in Nigeria (SB)


Interview mit James Movel Wuye am 28. Juni in Dublin


In den letzten Jahren häufen sich die Berichte über gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen in Nigeria. In den achtziger und neunziger Jahren kämpfte James Movel Wuye als Anführer einer christlichen Miliz gegen seine muslimischen Feinde. Seit Mitte der neunziger Jahre arbeitet er als Pastor mit befreundeten muslimischen Geistlichen zusammen, um der interreligiösen Gewalt in Nigeria ein Ende zu setzen. Mit Pastor Wuye sprach der Schattenblick am 28. Juni am Rande des Summit Against Violent Extremism (SAVE) in Dublin.

Pastor James Movel Wuye - Foto: © 2011 by Schattenblick

Pastor James Movel Wuye
Foto: © 2011 by Schattenblick

Schattenblick: Dr. Wuye, könnten Sie uns etwas über sich, Ihre Herkunft und Ihr bisheriges Leben erzählen?

James Movel Wuye: Ich bin Mitbegründer und leitender Kodirektor des Interfaith Mediation Centre in Kaduna, Nigeria, und wurde vor 51 Jahren geboren. Mein Vater war Militär. Ich entstamme der Volksgruppe der Kwaris, die seit Jahren in Kaduna diskriminiert werden.

SB: Warum werden Ihre Leute diskriminiert - aus religiösen oder ethnischen Gründen?

JMW: Sowohl als auch. Die Kwaris stellen die Urbevölkerung der Region des heutigen Bundesstaats Kaduna dar, wurden jedoch in den letzten Jahrzehnten durch den Zuzug zahlreicher muslimischer Araber aus dem Norden Nigerias verdrängt. Da die Landwirtschaft die Haupterwerbsquelle beider Gruppen ist, kam es zu gewaltätigen Konflikten um Weideflächen und ähnliches. Als die Alteingesessenen sahen wir uns gezwungen, uns zur Wehr zu setzen.

SB: Als die Kämpfe aufflammten, waren die Kwaris bereits zur Minderheit in Kaduna geworden?

JMW: Der Norden Nigerias besteht weitestgehend aus Wüste, also zogen die Muslime von dort auf der Suche nach ergiebigeren Weidegründen für ihre Tiere nach Kaduna. Rasch hatten sie das Sagen im Bundesstaat und in der gleichnamigen Hauptstadt Kaduna. Die meisten von ihnen waren Nomaden und betrieben nebenbei einen gewissen Handel. Daher verfügten sie über viel mehr Geld als die Kwaris.

SB: Wurden diese Nomaden in Kaduna auch seßhaft?

JMW: Die meisten von ihnen ja. Im Grunde genommen waren sie durch die Ausweitung der Wüste bzw. der Wüstenbildung gezwungen, ihr früheres Siedlungsgebiet zu verlassen. Sie kamen zumeist mit Lastwagen und stellen inzwischen die Mehrheitsbevölkerung.

SB: Und wann schlug der Konflikt in Gewalt um?

JMW: Anfang der achtziger Jahre. Kam es zum geringsten Streit zwischen Christen und Muslimen, haben letztere zur Waffe gegriffen. Daher beschloß ich, etwas gegen unsere Unterdrückung zu unternehmen. Mein Vater war Soldat. In den sechziger Jahren hatte er im Biafra-Krieg gekämpft. Von daher war ich es gewohnt, zuhause Waffen wie Gewehre und Granaten anzutreffen und mit ihnen zu hantieren.

SB: Haben Sie als Jugendlicher Wehrdienst oder ähnliches geleistet?

JMW: Nein. Ursprünglich bildeten wir eine Gruppe, um Waffen und Munition für den Ernstfall anzuschaffen. Doch mit den zunehmenden Spannungen entwickelten wir uns zu einer christlichen Miliz. Ich habe die Führung in der Gruppe übernommen. Als Mitglied einer diskriminierten Ethnie wandte ich mich 1979 dem Christentum zu.

Podiumsdiskussion 3: Moe Muhamed aus Somalia, Gründer von Generation Islam, Henry Robinson, ehemaliges Mitglied der Official IRA und Gründer von Families Against Intimidation and Terror (FAIT), Moderatorin Amanda Lindhout, Exekutive Director der Global Enrichment Foundation in den USA, Imam Usama Hasan, Dozent der Middlesex University in England und Pastor James Movel Wuye aus Nigeria - Foto: © 2011 by Schattenblick

Podiumsdiskussion 3: Moe Muhamed aus Somalia, Gründer von
Generation Islam, Henry Robinson, ehemaliges Mitglied der Official IRA
und Gründer von Families Against Intimidation and Terror (FAIT),
Moderatorin Amanda Lindhout, Exekutive Director der Global Enrichment
Foundation in den USA, Imam Usama Hasan, Dozent der Middlesex
University in England und Pastor James Movel Wuye aus Nigeria
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Waren Sie vorher kein Christ?

JMW: Ja schon, ich hatte aber meine Religion bis dahin nicht besonders ernstgenommen. Durch mein verstärktes Interesse an der Religion fing ich an, die Unterschiede zwischen Christen und Muslimen zu verstehen. Ich entwickelte einen regelrechten Haß auf die Muslime.

SB: Weil es Muslime waren oder wegen ihres Verhaltens und weil sie in das angestammte Siedlungsgebiet Ihres Volkes eindrangen?

JMW: Sowohl wegen ihres Eindringens in Kaduna als auch, weil sie auf uns Christen herunterschauten und uns als minderwertig, als Bürger zweiter Klasse, behandelten. Deswegen gründete ich zusammen mit Freunden eine Miliz, um Christen im Norden und der Mitte Nigerias vor muslimische Übergriffe zu schützen.

SB: Also war Ihr Motiv, jedenfalls aus Ihrer Sicht, defensiv?

JMW: Für uns handelte es sich ganz klar um eine defensive Maßnahme. Ich bin verheiratet, aber nicht einmal meine Frau wußte, daß ich Mitglied einer Miliz war. Bei einer Aktion wollten wir eine Kirche vor der Niederbrennung durch Muslime schützen. Bei diesen Kämpfen habe ich meine rechte Hand durch einen Hieb mit einer Machete verloren. Wie Sie sehen können, besteht meine rechte Hand jetzt aus Kunststoff.

SB: War es für Sie eine Vollzeitbeschäftigung als Anführer dieser Miliz oder gingen Sie gleichzeitig einem Beruf nach?

JMW: Damals habe ich im nigerianischen Landwirtschaftsministerium als Kartograph gearbeitet.

SB: Wie lange waren Sie insgesamt bei der Miliz?

JMW: Wir riefen sie 1987 ins Leben und 1995 trat ich aus ihr aus.

SB: Aus welchem Grund kehrten Sie der von Ihnen gegründeten Miliz den Rücken?

JMW: Ich war von einer evangelikalen Gruppe rekrutiert worden, um unter den Muslimen zu missionieren. Damals sagte mir der Anführer der Organisation: "James, Sie können die Botschaft Christi den Muslimen nicht vermitteln, wenn Sie weiterhin Haß gegen sie hegen. Sie müssen ihnen mit Liebe begegnen. Was würde Jesus tun, wenn er hier in Person wäre?" Jenes Gespräch war für mich der Wendepunkt. Ich habe begonnen, meine Feinde zu lieben. Inzwischen arbeite ich mit Iman Nurayn Ashafa, der mein Freund geworden ist, zusammen und empfinde große Genugtuung und Zufriedenheit dabei.

Pastor James Movel Wuye - Foto: © 2011 by Schattenblick

Pastor James Movel Wuye
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Heißt das, Sie missionieren nicht mehr, um alle Muslime zum Christentum zu bekehren, sondern treten für Versöhnung und gegenseitigen Respekt zwischen den Religionen ein?

JMW: So könnte man es vielleicht ausdrücken. Ich praktiziere inzwischen eine Art Hybridreligion aus christlichen und islamischen Elementen, denn die Aufgabe eines jeden Christen lautet, die Welt mit Gott auszusöhnen oder zu ihm zurückzuführen. Ich betrachte mich zuerst als christlicher Prediger und in der Folge als jemand, der sich aktiv für die Versöhnung zwischen den verschiedenen Ethnien, Kulturen und Religionen in Nigeria einsetzt. Ich bin aber kein Prediger wie diese Teleevangelisten in den USA, die zur Hinwendung an Gott aufrufen. Ich trete für die Koexistenz ein: "Lassen Sie mich das sein, was ich sein will, und ich lasse Sie das sein, was Sie sein wollen." Wenn es überhaupt eine Konkurrenz unter den Religionen gibt, dann sollte es darum gehen, wer am meisten Gutes für die Menschen tut. Es kommt nicht darauf an, was man predigt, sondern wie man sich seinen Mitmenschen gegenüber verhält.

SB: Einige Theologen vertreten die These, das es mehr gibt, was die Christen und Muslime verbindet als sie trennt. Würden Sie dem zustimmen?

JMW: Ich freue mich, daß Sie diese Frage gestellt haben. In der Tat haben ich und Imam Nurayn Ashafa gemeinsam ein Buch verfaßt und vor kurzem veröffentlicht, in dem wir eine 75prozentige Übereinstimmung zwischen Bibel und Koran nachweisen. Nur in den restlichen 25 Prozent weichen die beiden Bücher inhaltlich voneinander ab. Man kann natürlich die gemeinsamen Stellen hervorheben und dadurch begreiflich machen, was Christen und Muslime verbindet, aber letztlich kommt es auf den Umgang mit den Aspekten an, die beide Religionen voneinander trennen. Denn wenn ich als Christ diese Bibelstellen ignoriere oder kompromittiere, bin ich kein richtiger Christ mehr. Und wenn der Muslim diese Stellen im Koran ignoriert oder kompromittiert, ist er kein richtiger Muslim mehr. Deswegen sage ich, daß wir jene Stellen "massieren", also mit ihnen behutsam und vorsichtig umgehen müssen. Wir können als Christen und Muslime akzeptieren, daß wir uns voneinander unterscheiden und gleichzeitig zum beiderseitigen Nutzen zusammenarbeiten.

SB: Pastor Wuye, wir bedanken uns für das Interview.

Der Blick auf das neue Dubliner Congreßzentrum von der anderen Seite der neuen Samuel Beckett Bridge - Foto: © 2011 by Schattenblick

Der Blick auf das neue Dubliner Congreßzentrum von der anderen Seite der neuen
Samuel Beckett Bridge
Foto: © 2011 by Schattenblick

18. Juli 2011