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INTERVIEW/031: Sparfalle Griechenland - Menschenrecht Gesundheit, Griechenrecht der Arzt ... Christian Haasen im Gespräch (SB)


Mit Solidarität gegen die Hierarchie sozialen Elends

Interview am 10. April 2014 in Hamburg-St. Pauli



Prof. Dr. med. Christian Haasen ist Facharzt für Psychiatrie und arbeitet im Bereich der Suchtmedizin. Nach der Veranstaltung "Sparkurs kann tödlich sein - Gesundheit in Griechenland", die die Hamburger Griechenland Solidaritätsgruppe des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte (VdÄÄ) im Zentrum für Gemeinwesenarbeit "Kölibri" abhielt, beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Christian Haasen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Haasen, wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Delegationsreise nach Griechenland zu organisieren?

Christian Haasen: Es ist im Prinzip eine Privatinitiative gewesen. Am Anfang stand ein Gespräch mit dem befreundeten Arzt Agis Agorastos über die Situation in Griechenland. Er fühlte sich wie gelähmt, weil er von Deutschland aus kaum etwas für seine Landsleute tun konnte. Da ich Kenntnis von anderen Delegationen hatte, die nach Griechenland gefahren waren, kam ich auf die Idee, eine solche Reise speziell für den Gesundheitsbereich zu machen. Zunächst stand die Frage im Raum, wer daran teilnehmen würde bzw. welche Leute wir persönlich ansprechen könnten. Im Rahmen der Recherche sind wir auf den Verein Demokratische Ärztinnen und Ärzte gestoßen, der eine ähnliche Delegationsreise schon vor einem Jahr organisiert hatte. Nach einer Anfrage und positiven Resonanz haben wir die Reise schließlich gemeinsam durchgeführt. Der Ausgangspunkt war jedoch eine Privatinitiative von ein paar Ärzten hier in Hamburg.

SB: Sind über die heutige Veranstaltung hinaus noch andere Termine geplant, um die Ergebnisse der Reise zu präsentieren?

CH: Eine zweite Veranstaltung ist in der Fortbildungsakademie der Ärztekammer vorgesehen, die dadurch gewissermaßen einen etwas offizielleren Charakter bekommt. Dies, weil in der Aprilausgabe des Hamburger Ärzteblatts, die monatlich erscheint und von praktisch jedem Arzt gelesen wird, ein ganzseitiger Bericht von uns über die Delegationsreise erscheint. Darin gibt es auch einen Hinweis auf die Veranstaltung am 14. Mai in der Ärztekammer. Anders als beim heutigen Termin, wo die politische Auseinandersetzung etwas stärker im Vordergrund stand, wird in der Verstaltung im Mai ein stärkerer Akzent auf die Darstellung der medizinischen Zustände in Griechenland gelegt.

SB: In der heutigen Veranstaltung wurde auch darüber berichtet, daß es Absprachen zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und dem Athener Ministerium gegeben hat, die für die griechische Seite alles andere als vorteilhaft sind. Die Ärztekammer ist als Standesorganisation auf ihre Weise natürlich auch ein politisches Organ. Wie stehen die offiziellen Gremien der Ärzteschaft zur Situation in Griechenland und der deutschen Einflußnahme?

CH: Ich glaube, daß die meisten Ärzte in dieser Frage bisher keinen Standpunkt bezogen haben. Es wird unsere Aufgabe sein, auf eine Stellungnahme hinzuarbeiten. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß mehr Informationen über die Situation in Griechenland vorgelegt werden. Es liegt in unserem Interesse, daß diese Diskussion weitergeführt wird. Beim Deutschen Ärztetag Ende Mai in Düsseldorf steht das Thema Gesundheit in Griechenland sogar auf der Tagesordnung, so daß die Chance groß ist, von der versammelten deutschen Ärzteschaft eine Stellungnahme mit deutlicher Kritik zu bekommen, um sie dann im Bundesministerium einzureichen.

SB: Glauben Sie wirklich, daß sich die Ärzteschaft zu einer offenen Kritik und streitbaren politischen Positionierung gegen die unsäglichen Zustände in Griechenland durchringen wird, da sie doch selbst in ein Spannungsverhältnis von Privatisierungspolitik und Standesinteressen eingebunden ist?

CH: Die Ärzteschaft ist von Grund auf humanistisch eingestellt, und die Zustände, über die wir berichtet haben, stellen eine humanitäre Katastrophe dar, die aus medizinischer Sicht nicht hinnehmbar ist. Das geht gegen unseren hippokratischen Eid, und insofern denke ich, daß man die Ärzteschaft an dieser Stelle packen und mit ihr gemeinsam eine Stellungnahme erarbeiten kann. Daß die Sparpolitik gegen Griechenland letztendlich töten kann, menschenunwürdig ist und der Gesundheitsförderung nicht dient, steht außer Frage. Von daher ist das der Weg, über den man das machen kann und muß.

SB: Heute abend wurde mehrfach angemerkt, daß es in Anbetracht der verordneten Sparpolitik in Griechenland nicht ausgeschlossen ist, daß es auch hierzulande aus Gründen systemischer und ökonomischer Art zu einer Verschärfung des Mangels in der Gesundheitsversorgung kommen könnte. Gibt es aus Ihrer Sicht in der Bundesrepublik Adressaten für eine solche Diskussion, daß man weiter nach vorne schaut und sich fragt, worauf diese Art von Sparpolitik hinauslaufen könnte?

CH: Es ist unsere Aufgabe, diese Adressaten zu suchen und die Menschen darauf aufmerksam zu machen. Die heutige Veranstaltung hat gezeigt, daß es durchaus ein Interesse in dieser Richtung gibt. Man muß es wecken und fördern. Dies war nicht die erste Griechenland-Veranstaltung dieser Art, aber die erste in Hamburg, wo wir über die Gesundheitsschiene gegangen sind, um Leute wachzurütteln.

SB: Sind Sie mit Vertretern politischer Parteien in Kontakt getreten, um Protest zu mobilisieren und Öffentlichkeitsarbeit zu leisten?

CH: Ich persönlich habe noch keinen Kontakt mit Parteien gehabt, aber ich weiß, daß sich der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Harald Weinberg, in dieser Sache sehr bemüht und auch schon Anträge gestellt hat. Bei der Linken, die dieses Thema problematisiert, gibt es eine klare Haltung dazu. Bei den Grünen kann ich das nicht sagen, und bei der SPD gibt es vielleicht an der Basis vereinzelte Stimmen. So war heute eine SPD-Abgeordnete hier in der Veranstaltung, die im Sozialausschuß arbeitet und geäußert hat, daß sie jetzt einen Antrag dazu einbringen will. Gleichwohl habe ich aus anderen Quellen gehört, daß dieses Thema in SPD-Kreisen in eine ganz andere Richtung diskutiert wird.

SB: Haben Sie während Ihrer Reise auch Kontakt zu griechischen Politikern gehabt und etwas darüber erfahren, ob sich aus den Parteien heraus politischer Widerstand gegen die desolate Situation formiert?

CH: Wir haben mit Vertretern von SYRIZA gesprochen, die die Organisation solidarity4all sehr stark unterstützt. Diese enge Verbindung und Mobilisierung findet über solidarische Netzwerke statt. Mit den anderen Parteien hatten wir keinen Kontakt.

SB: Treffen Medienberichte zu, daß die Goldene Morgenröte eine Art selbstorganisierte Sozialversorgung aufzubauen versucht?

CH: Ja, jedoch nur punktuell, aber das wird vor allem propagandistisch genutzt. Es gibt keine Strukturen, die wirklich konstant sind oder irgendeine Relevanz hätten. Das Problem mit der Goldenen Morgenröte ist nicht so sehr, daß sie eine starke Gefolgschaft besitzt, sondern daß ihr Gedankengut mittlerweile auf die Mehrheit der griechischen Bevölkerung übergegangen ist. Das heißt, daß viele Leute, die die Goldene Morgenröte gar nicht unterstützen, sondern Wähler der Regierungsparteien sind, deren Position in wichtigen Fragen teilen. Das geht bis in die höchsten politischen Ämter. So vertritt der Gesundheitsminister im Prinzip Positionen, die aus dem rechtsradikalen Lager kommen. Das gilt sogar für den Ministerpräsidenten, der in der Flüchtlingsfrage Statements macht, die man bei uns in einer Regierungspartei niemals hören würde. Der Grundtenor der Mehrheit der Bevölkerung geht dahin zu sagen: Uns Griechen geht es so schlecht, daß wir jetzt nicht auch noch den Flüchtlingen helfen können.

SB: Wie steht es mit der Solidarität unter den von der Krise am meisten Betroffenen; gibt es noch so etwas wie Gemeinschaftssinn?

CH: Unter den Griechen schon, aber gegen Flüchtlinge geht es hart zur Sache. Viele Flüchtlinge haben große Angst. Nur in wenigen Athener Stadtteilen können sie sich ungehindert aufhalten, aber in den restlichen versuchen sie, so unauffällig wie möglich von A nach B zu kommen und dabei nicht in der Öffentlichkeit aufzutreten. Wir haben von afghanischen Flüchtlingen gehört, die sich zu fünfzig eine Zweizimmerwohnung teilen und möglichst nicht rausgehen, sondern einfach warten, bis sie einen Schlepper gefunden haben, der sie woanders hinbringt. Sie haben schlichtweg Angst, auf die Straße zu gehen, erst recht abends, denn dann sind die subtilen Anfeindungen, die sie den Tag über erleben, sehr viel massiver. Das hat jetzt nicht speziell mit der Goldenen Morgenröte zu tun, sondern ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.

SB: In Krisengebieten, in denen die NATO aktiv ist, wie zum Beispiel in Afghanistan oder im Kosovo, wird viel Geld in die Zivilgesellschaft und in NGOs investiert. Wird die griechische Zivilgesellschaft auf vergleichbare Weise gefördert?

CH: Nein. Es ist eher so, daß viele Flüchtlingsorganisationen sich mit ein paar EU-Geldern notdürftig über Wasser zu halten versuchen. Von den NGOs erhält die Zivilgesellschaft nur eine verschwindend geringe Hilfe. Die EU-Förderung der Nichtregierungsorganisationen ist ein einziges Dilemma. Sie müssen, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, diese Gelder beantragen, aber gleichzeitig kämpfen sie gegen die EU-Politik der Troika. Das läßt sich kaum miteinander vereinbaren.

SB: Herr Haasen, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

Bisherige Beiträge zur Veranstaltung "Sparkurs kann tödlich sein - Gesundheit in Griechenland" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → EUROPOOL → REPORT:

BERICHT/014: Sparfalle Griechenland - Genötigt, vertrieben, ausgeliefert (SB)
INTERVIEW/030: Sparfalle Griechenland - Die doppelte Last ... Anke Kleinemeier im Gespräch (SB)

24. April 2014