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AGRAR/1509: Weniger ist mehr - EU auf dem Weg zu einer nachhaltigen Agrarpolitik (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. August 2012

Ernährung: Weniger ist mehr - EU auf dem Weg zu einer nachhaltigen Agrarpolitik

von Claudia Ciobanu


Ein Bio-Bauernhof, rund 100 Kilometer von Warschau entfernt - Bild: © Claudia Ciobanu/IPS

Ein Bio-Bauernhof, rund 100 Kilometer von Warschau entfernt
Bild: © Claudia Ciobanu/IPS

Warschau, 29. August (IPS) - Die geplante Reform der industriellen Landwirtschaft in Europa lässt viele Bauern hoffen. Angesichts der rasant gestiegenen Kosten, etwa für Düngemittel und Treibstoff, rechnen sie sich bei einem Übergang zu traditionellen und nachhaltigen Anbaumethoden Vorteile aus. Gegner der von der Europäischen Kommission unterstützten Pläne warnen vor einem Produktivitätsverlust.

Vorgesehen ist, dass die bisherigen Subventionen an Bauern an strikte Vorgaben geknüpft werden sollen, um die Lebensmittelproduktion aus Sicht der EU-Kommission effizienter zu gestalten. In Zeiten weltweiter Krisen ist die Sicherung der Nahrungsversorgung eine schwierige Aufgabe. Befürworter der Reform sind sich sicher, dass industrielle Landwirtschaft nicht die richtige Antwort ist.

"Wir produzieren schon viel in Europa", erklärte Trees Robijns von der Nichtregierungsorganisation 'BirdLife'. "Wir müssen uns dabei fragen, wie lange wir diesen Weg noch gehen können und zu welchem Preis. Wenn wir die Landwirtschaft nicht auf eine vernünftige umweltverträgliche Basis stellen, werden wir langfristig den Kürzeren ziehen. Wir zerstören unser Wasser, unsere Böden und unsere Artenvielfalt. Das wird die Produktivität schwächen."

Mehrere Studien haben gezeigt, dass Landwirtschaft in einem kleineren nachhaltigen Rahmen weit bessere Erträge bringt als die industrielle Variante. Laut dem neuesten Bericht des Weltagrarrats (IAASTD), der von einer großen, internationalen Gruppe von Wissenschaftlern verfasst und von Regierungen unterstützt wurde, ist die Familienlandwirtschaft die beste Waffe gegen die Ernährungs- und Umweltprobleme in der Welt.

Auch das globale Netzwerk 'La Via Campesina', dem mehr als 20 Millionen Farmer angeschlossen sind, kam in einem Report zu dem Schluss, dass Landwirtschaft in kleinem Maßstab die Weltbevölkerung ernähren kann.


Kleine Agrarbetriebe bisher als Hindernisse betrachtet

Das von der Europäischen Kommission gegründete Europäische Netzwerk für ländliche Entwicklung kam zu dem Schluss, dass die derzeitigen Agrarstrategien der EU schädliche Auswirkungen auf die Subsistenzlandwirtschaft haben, da kleine Bauernhöfe als "Hindernis für die Wettbewerbsfähigkeit des Agrarsektors eines Landes" betrachtet würden.

In osteuropäischen Staaten wie Rumänien sind bis zu zwei Drittel der Bauernhöfe der Subsistenz- oder Semi-Subsistenzwirtschaft zuzurechnen. Und sie werden allmählich immer weniger.

"Die meisten Menschen haben in unserem Dorf den Ackerbau aufgegeben, arbeiten inzwischen in der Stadt und kaufen sich Lebensmittel im Supermarkt", berichtet der Bauer Marcel Has, der in dem westrumänischen Dorf Firiteaz zwei Hektar Land bestellt. Vor zwei Jahren habe auch er kurz davor gestanden, aufzugeben, sagt er. Doch dann habe er in einem Branchenmagazin erfahren, wie er sich direkt mit Verbrauchern in Verbindung setzen kann, die an Nahrung interessiert sind, die umweltfreundlich in der Region produziert wird. "Jetzt kann ich für meine Familie sorgen und mein Haus reparieren. In der Öko- Landwirtschaft sehe ich eine Zukunft. Die Lebensmittel in den Supermärkten sind von minderer Qualität, und die Leute wollen sich besser ernähren."

Die von der EU-Kommission vorangetriebene Reform erkennt die wichtige Rolle der kleinen Agrarbetriebe beim Schutz von Umwelt und Artenvielfalt ausdrücklich an. Für solche Maßnahmen winkt den Bauern ein finanzieller Ausgleich. Brüssel wirbt außerdem für eine Ausweitung des biologischen Anbaus, der bisher erst knapp fünf Prozent der Landwirtschaft in der EU ausmacht.

Die Exportsubventionen auf europäische Agrarprodukte sind eine Reaktion auf die Überproduktion in der EU: Getreide, Zucker und tierische Erzeugnisse werden zu so niedrigen Preisen international vermarktet, weshalb Farmer in Entwicklungsländern in großer Zahl ihre Existenzgrundlage verloren haben.

Viele Studien haben die negativen Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf Entwicklungsländer aufgezeigt. So wurden unter anderem die Folgen europäischer Milchexporte für Bauern in Jamaika und des Zuckerhandels der EU mit Kenia, Tansania und Uganda untersucht.


EU geht auf Distanz zur Subventionspolitik

Brüssel reagierte schließlich auf die internationale Kritik. "Die Zeiten, in denen Exporterstattungen notwendig waren, um Überschüsse abzubauen, gehören der Vergangenheit an", heißt es in einer Mitteilung der EU-Kommission, die IPS vorliegt. "2011 lagen die Ausfuhrerstattungen bei lediglich 0,5 Prozent der Gesamtausgaben für die Gemeinsame Agrarpolitik (CAP). 1999 hatten sie dagegen noch elf Prozent betragen."

La Via Campesina wirft der EU, den USA und anderen reichen Staaten jedoch vor, bestimmte Bereiche wie die Geflügel- und Schweinezucht von den Subventionskürzungen auszunehmen, die mit der Welthandelsorganisation WTO vereinbart worden sind. Zwischen 1992 und 2008 seien Subventionen außerdem zunehmend in Form finanzieller Unterstützung für Bauern in der EU gezahlt worden. Mit einem Volumen von rund 100 Milliarden Euro im Jahr 2011 ist die Europäische Union der weltgrößte Exporteur von Agrarerzeugnissen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.agassessment.org/
http://viacampesina.org/en/
http://enrd.ec.europa.eu/en/home-page_en.cfm
http://germanwatch.org/tw/zu-afr06.pdf
http://www.ipsnews.net/2012/08/feed-europe-feed-the-world/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 29. August 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2012