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AGRAR/1733: Gemeinsame Agrarpolitik - Wachsen, weichen und zerstören (frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 147, 1/19

Wachsen, weichen und zerstören
Die nächste Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU - und warum es wieder nicht gelingt, eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Landwirtschaft zu fördern

von Irmi Salzer


Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU hat eine lange Geschichte. Je nach Perspektive ist sie ein beeindruckendes Erfolgsmodell oder aber dafür verantwortlich, dass die Umwelt beeinträchtigt, Kleinbäuer*innen verdrängt und Märkte im Globalen Süden empfindlich gestört werden.


Derzeit wird in Brüssel und in den Mitgliedsstaaten der EU über die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) verhandelt. Wie alle sieben Jahre, denn so lange währt jeweils eine "Periode" der GAP, geht es nun darum, welche Instrumente sich bewährt haben und was einer Erneuerung bedarf. Das EU-Parlament, der Rat der Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission versuchen in zähen Verhandlungen, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Man* diskutiert über Flächenprämien, Umweltprogramme, Marktordnung und Obergrenzen.

Die Debatte ist technisch und kompliziert - und leider nicht in aller Munde. Dabei müsste es jede*r Bürger*in ein Anliegen sein, über die Zukunft der Landwirtschaft in der EU mitentscheiden zu können. Die GAP regelt nämlich nicht nur, welche Landwirtschaftsbetriebe wie viel Geld nach welchen Kriterien bekommen. Sie hat immense Auswirkungen auf das, was auf unsere Teller kommt, auf die Klimakrise und den Zustand unserer Böden und Gewässer, auf Gesundheit und das soziale Gefüge in den ländlichen Räumen. Nicht zuletzt beeinflusst die Agrarpolitik der EU die landwirtschaftlichen Märkte weltweit - und damit die ökonomischen und sozialen Perspektiven von Kleinbäuer*innen in Nord und Süd.

Die EU ist eine der wichtigsten Akteurinnen im Bereich Landwirtschaft und Ernährung weltweit. Seit vielen Jahren ist die oberste Maxime der europäischen Agrarpolitik die globale Wettbewerbsfähigkeit - im Interesse von multinationalen Konzernen und der europäischen Großbetriebe. Wie viele Bäuer*innen in Nord und Süd dabei auf der Strecke bleiben, ist trotz aller Lippenbekenntnisse nebensächlich.

In der EU schließt alle drei Minuten ein Bauernhof seine Pforten. Noch immer bewirtschaftet aber ein Großteil der EU-Betriebe weniger als zehn Hektar. Die GAP in ihrer derzeitigen Ausprägung hält zwar einige Instrumente für all diese Kleinbäuer*innen bereit, in ihrem Kern fördert sie jedoch Konzentrationsprozesse, Betriebsvergrößerungen und das Schließen sogenannter nicht wettbewerbsfähiger Betriebe - das "Wachsen oder Weichen".

Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU stammt aus einer Zeit, in der Hunger in Europa noch allgegenwärtig war. Deshalb war auch ihr oberstes Ziel, die Produktion von Lebensmitteln anzukurbeln. Zudem wurden Arbeitskräfte für die Industrie gebraucht. Garantierte Mindestpreise und der technologische Fortschritt sorgten dafür, dass aus der Mangelversorgung bald eine Überschussproduktion wurde.

Die gewaltigen Produktivitätsfortschritte sind die "Erfolgsseite" der GAP - aber sie sorgten bald auch für Probleme, Stichwort Butterberge und Milchseen. Also begann die EU, die Überschüsse auf dem Weltmarkt mittels Exportsubventionen billig zu verkaufen. Fehlende Zölle für pflanzliche Proteine wie Soja, die als Viehfutter dienen, verschärften die Überschussproduktion. Europa wurde zu einer riesigen Fleischfabrik, die importiertes Viehfutter in Fleisch, Milch und Eier verwandelt, um die erzeugten Überschüsse anschließend wieder zu exportieren.


Der Taschenspielertrick der EU

Wegen ihrer Exportsubventionen kam die EU - wie auch die USA - Anfang der 90er Jahre zunehmend unter Druck. Deswegen erklärten sich beide Regionen bereit, ihre handelsverzerrenden Beihilfen zu reduzieren. Um ihre Exportstrategie im Interesse ihrer Agrarmultis fortführen zu können, bediente sich die EU eines Taschenspielertricks: Die Welthandelsorganisation WTO verbietet die direkte Förderung von Exporten. Wenn die Waren aber zu Inlandspreisen exportiert werden, gilt das nicht als handelsverzerrend - selbst wenn diese Preise dank interner Beihilfen unter den tatsächlichen Produktionskosten liegen. Also stellte man die Subventionen schrittweise auf sogenannte "entkoppelte", also von der Produktion unabhängige Direktzahlungen um. So ist es der EU gelungen, ihre Produkte zu niedrigen Preisen auf den Weltagrarmärkten abzusetzen, ohne dafür des Dumpings gescholten zu werden.

De facto gibt es also kaum mehr Exportsubventionen - die direkten Förderungen der GAP haben aber dieselben (wenn nicht sogar schlimmere) Auswirkungen auf die globalen Agrarmärkte. Länder des Globalen Südens können es sich zumeist nicht leisten, ihre Bäuerinnen und Bauern in vergleichbarem Ausmaß zu unterstützen. Deshalb sind dann europäische Waren oft billiger als die lokal erzeugten, und Kleinbäuer*innen müssen an einem unfairen Wettbewerb teilnehmen. Dies trifft insbesondere die besonders verletzlichen Gruppen - also Kinder und Frauen*.


Die GAP-Reform: die nächste vertane Chance?

Die Gemeinsame Agrarpolitik der EU in ihrer derzeitigen Form hat viel an gesellschaftlichem Rückhalt eingebüßt. Jährlich werden nach wie vor ca. 60 Mrd. Euro in die EU-Landwirtschaft und die Entwicklung des ländlichen Raumes gepumpt. Dennoch schrumpft die Anzahl der europäischen Betriebe. Trotz der EU-Umweltförderungen geht Biodiversität in Europa weiterhin in rasantem Ausmaß verloren, und die industrialisierte Landwirtschaft ist für einen unvermindert hohen Anteil der klimaschädlichen Gase verantwortlich. Zudem nehmen die Ausgaben für ernährungsbedingte Krankheiten in Europa zu. Und nicht zuletzt leistet die GAP in ihrer derzeitigen Form keinen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) - im Gegenteil.

Angesichts sinkender Budgets, nicht zuletzt durch den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, und der Besorgnis über die negativen Konsequenzen der industriellen Landwirtschaft fragen sich immer mehr Politiker*innen wie auch Steuerzahler*innen, ob es weiterhin gerechtfertigt ist, ein Drittel des EU-Haushalts in eine Gemeinsame Agrarpolitik zu stecken, die die Herausforderungen und Schwierigkeiten, vor denen Europas Landwirtschaft steht, nicht bewältigen kann. Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik könnte also deren gesellschaftliche Legitimität wiederherstellen.

Anfang Juni 2018 hat Agrarkommissar Phil Hogan seinen Vorschlag für die Agrarpolitik nach 2020 präsentiert. Hogans Papier ist enttäuschend. Nicht, dass sich kritische zivilgesellschaftliche Organisationen, Bäuer*innenbewegungen und progressive politische Parteien große Hoffnungen gemacht hätten - was will man* schon von einem neoliberalen Kommissar aus einem Agrarexportland wie Irland erwarten?

Dennoch sind die Vorschläge, vor allem im Detail, ernüchternd. Würden sie eins zu eins umgesetzt, wäre die Landwirtschaft in der EU auf einem Hochgeschwindigkeitszug in Richtung Agrarindustrie unterwegs. Mit im Gepäck hat sie Renationalisierung, eine aggressive Exportagenda und Blankoschecks für die Agrarindustrie. Zudem wäre auch die zukünftige GAP unvereinbar mit anderen Politikbereichen der EU, insbesondere mit der Entwicklungs- und Umweltpolitik.


Exportieren um jeden Preis

Phil Hogan kommt aus Irland - einem Land, das auf intensive Produktion und Exportlandwirtschaft setzt. Der Vorschlag für die neue GAP scheint sich am irischen Modell zu orientieren. Die EU soll weiterhin als riesige Milch- und Fleischfabrik fungieren, die mittels importierter Futtermittel und einer extremen Ressourcenverschwendung Millionen Tonnen Milch und Fleisch produziert und zu einem beträchtlichen Teil wieder in alle Teile der Welt verschifft.

Die europäischen Bäuer*innen werden immer mehr zu Statist*innen in diesem zerstörerischen Modell. Die unweigerlich negativen Konsequenzen für den Globalen Süden werden kleingeredet oder ignoriert. Eine GAP, die den Herausforderungen der Zukunft gewachsen ist, muss diese Exportagenda zu den Akten legen und sich auf die Erzeugung von guten Lebensmitteln für die europäischen Bürger*innen konzentrieren.


Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen

Hogans Vorschlag wird der Förderung zerstörerischer Bewirtschaftungsweisen von zumeist großen Betrieben keinen Einhalt gebieten. Hektar-basierte Direktzahlungen ohne nennenswerte Anforderungen werden weiterhin einen Großteil des Agrarhaushalts ausmachen, und dies geht unweigerlich zulasten von kleineren und vielfältig wirtschaftenden Betrieben. Indem ökologische Leistungen zum Großteil freiwillig bleiben, stellt Hogan der Agrarindustrie einen Persilschein aus. So kann und darf es aber nicht weitergehen.

Seit vielen Jahren fordern Bürger*innen aus der kritischen Zivilgesellschaft, dass Steuergeld ausschließlich für eine Form der Landwirtschaft eingesetzt werden soll, die den Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht - also für die Erzeugung von gesunden und hochwertigen Lebensmitteln unter Wahrung des ökologischen Gleichgewichts und sozialer Gerechtigkeit, in Europa und global.


Politikkohärenz - ein Fremdwort

Die EU hat sich zur Kohärenz, also Vereinbarkeit ihrer Politikfelder mit den Interessen von Entwicklung, verpflichtet. Dies bedeutet, dass Entwicklungsziele durch andere Politikbereiche unterstützt werden müssen bzw. dass politisches Handeln entwicklungspolitischen Zielen nicht zuwiderlaufen darf ("do no harm"). Betrachtet man* die GAP der letzten Jahrzehnte und auch die aktuellen Reformvorschläge, dann ist diese Kohärenz leider kaum gegeben.

In der derzeit im EU-Parlament laufenden Debatte versuchen progressive Gruppierungen beinahe schon verzweifelt, auf die Unvereinbarkeit der GAP mit den SDGs (Nachhaltigen Entwicklungszielen) hinzuweisen und an einer Agrarpolitik zu arbeiten, die auf der Einhaltung von Menschenrechten und auf Ernährungssouveränität basiert. Solange die Interessen der Agrar- und Lebensmittelindustrie jedoch im Zentrum der Aufmerksamkeit der politischen Akteure stehen, wird Politikkohärenz nicht zu verwirklichen sein.


Frauen*rechte - who cares?
In vielen Regionen der Welt, und ganz besonders in Afrika, produzieren Frauen* bis zu 90% der Grundnahrungsmittel. Ihre Existenzperspektiven werden jedoch durch zahlreiche rechtliche und soziokulturelle Hindernisse beschränkt. Frauen* haben seltener Zugang zu Land, zu Wissen, angepassten Technologien und Krediten, zu Saatgut und Märkten. Und sie sind die ersten Leidtragenden einer auf Export beruhenden europäischen Agrarpolitik, weil ihre regionalen Absatzmärkte durch die subventionierten europäischen Produkte gestört bzw. auch zerstört werden.

Die EU-Institutionen müssten im Sinne der Politikkohärenz deswegen systematisch überprüfen, wie sich die GAP auf die Frauen*rechte im Globalen Süden auswirkt, und die GAP dann dementsprechend verändern. Leider hat es den Anschein, dass Frauen* und ihre Rechte von der EU-Agrarpolitik auch weiterhin völlig ignoriert werden. Ein Paradigmenwechsel hin zu einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Landwirtschaft ist von agrarpolitischer Ebene derzeit also leider nicht zu erwarten. Gleichzeitig entstehen in ganz Europa Initiativen, die einen fundamental anderen Ansatz in der Lebensmittelproduktion und -verteilung verwirklichen. Solidarische Landwirtschaft, Urban Gardening, Lebensmittelkooperativen etc. sind das Gegenstück zu einer industrialisierten und auf Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt beruhenden Mainstream-Landwirtschaft.

Neben dem Aufbau solcher richtungsweisender Alternativen werden aber gesellschaftlicher Druck und vor allem Widerstand bzw. Forderungen von Seiten der Bürger*innen notwendig sein, wenn die Gemeinsame Agrarpolitik in Europa und global einen positiven Beitrag zur Entwicklung und zur Wahrung des Rechts auf Nahrung leisten soll.


ZUR AUTORIN:
Irmi Salzer ist Biobäuerin im Südburgenland und war langjährige Mitarbeiterin der ÖBV-Via Campesina Austria. Derzeit ist sie Agrarpolitische Referentin des Grünen EU-Abgeordneten Thomas Waitz.

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 147, 1/2019, S. 7-9
Text: © 2019 by Frauensolidarität / Irmi Salzer
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2019

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