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AUSSENHANDEL/179: Zuckerpfade nach Europa - das süße Erbe der Kolonien (Kritische Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung Nr. 68/2007 - Spezialausgabe

Zuckerpfade nach Europa - das süße Erbe der Kolonien

Von Regina Begander


Zucker ist so eng wie kein anderes Produkt mit der Kolonialgeschichte und dem Sklavenhandel verbunden. Als wichtige Ware im Dreieckshandel trug Zucker zu Wohlstand und Reichtum in den Mutterländern bei. Die heute geltenden Sonderregeln bei Zuckerimporten aus den AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik)[1] gehen auf dieses koloniale Erbe zurück.


Das Commonwealth Sugar Agreement

Großbritannien spielt hierbei eine zentrale Rolle. Als bedeutende Kolonialmacht hatte Großbritannien das Produkt Zucker fest in die wirtschaftlichen Kolonialbeziehungen integriert und bis Mitte des 19. Jahrhunderts einen Zuckersektor in den Kolonien geschaffen, der den Zuckerbedarf in der Metropole deckte, zu einer Zeit, als es in Europa noch keine umfängliche eigene Zuckergewinnung aus landwirtschaftlichen Nutzpflanzen gab. Die Zuckerindustrien der Kolonien wurden durch spezielle Handelspräferenzen an Großbritannien gebunden, um die Versorgung sicherzustellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Großbritannien die Zuckerrationierungen im Lande beenden wollte und die Zuckerproduzenten der Kolonien gleichfalls bestrebt waren, ihre Produktion auszudehnen, begannen Gespräche über ein langfristiges Handelsabkommen, das 1951 als Commonwealth Sugar Agreement (CSA) abgeschlossen wurde und die Vielzahl unterschiedlicher Vereinbarungen formal zusammenfasste und absicherte. Ein System von Quoten und Ahnahmepreisen nimmt hier seinen Anfang: Großbritannien verpflichtete sich zu festen Importquoten aus einzelnen Ländern; für Zucker aus dem Commonwealth wurde ein einheitlicher Preis festgelegt. 1968 wurde die Unkündbarkeit in dieses Abkommen eingeführt, so dass der britische Markt für die Lieferländer eine scheinbar unendlich sichere Absatzgarantie für ihren Zucker darstellte.


Das Lomé-Abkommen

Als Großbritannien, Irland und Dänemark 1973 zur Europäischen Gemeinschaft beitraten, sollten diese Handelsverpflichtungen in die Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft eingebunden und mit existierenden Abkommen zusammengeführt werden. Mit allen ehemaligen Kolonien Großbritanniens, Frankreichs und Portugals begannen 1973 Verhandlungen über ein umfassendes Vertragswerk, das die Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den AKP-Staaten regeln sollte. Wichtige entwicklungspolitische Ziele dieses 1975 in Kraft getretenen LomX-Abkommens sind die Armutsbekämpfung und die schrittweise Einbindung der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den AKP-Staaten sollte im Sinne dieser Zielsetzung umgesetzt werden. Das Lomé-Abkommen wurde bis zum Jahr 2000 mehrfach erneuert und enthielt im Anhang das sogenannte Zuckerprotokoll, das unkündbar ist und 19 zuckerproduzierende AKP-Staaten betrifft. Diesen wurde eine Zuckerquote von insgesamt 1,3 Millionen Tonnen gewährt, die zollfrei in die Europäische Gemeinschaft exportiert werden können und im einzelnen auf verschiedene Länder verteilt sind. Die Europäische Gemeinschaft verpflichtete sich, diese Menge garantiert abzunehmen und dafür den hohen Binnenpreis wie er auch für europäische Zuckerproduzenten gilt zu zahlen[2]. Die AKP-Staaten im Zuckerprotokoll sind ihrerseits zur Lieferung der zugewiesenen Quote verpflichtet; sinken ihre Exporte nach Europa, so wird die nicht gelieferte Menge als Zusatzquote auf andere Länder des Zuckerprotokolls übertragen. Das Zuckerprotokoll hat die Präferenzen aus dem früheren CSA demnach auf eine größere Staatengruppe ausgedehnt.

Im Jahr 2000 wurde der Lomé-Vertrag vom Cotonou-Abkommen abgelöst. Es schreibt die Kernziele von Lomé fort, doch sollen auch gute Regierungsführung und die Einhaltung der Menschenrechte gefördert werden. Die durch das Abkommen begünstigten Länder in Afrika, in der Karibik und im Pazifik stieg auf heute 78 AKP-Staaten an. Das Zuckerprotokoll mit seinen Quoten blieb unverändert wirksam und ist nun mit dem Cotonou-Abkommen verknüpft.

Die Zuckermenge von 1,3 Millionen Tonnen, die den AKP-Staaten als zollfreie Lieferquote eingeräumt wurde, entsprach genau dem früheren englischen Markt. Die europäische Zuckerwirtschaft hatte jedoch erreicht, dass die europäischen Zuckerquoten mit dem Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Gemeinschaft um die selbe Menge erhöht wurden. Damit war der AKP-Zucker von Anfang an Überschusszucker in der Europäischen Union.


Die Quotenvergabe

Die Vergabe der Quoten an die Länder des Zuckerprotokolls sind vor allem historisch und politisch begründet. So hat allein Mauritius die Lieferrechte für 38 Prozent der Gesamtquote, gefolgt von Fidschi (13 Prozent) und Guayana (12 Prozent). Obwohl einige AKP-Länder zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören, bekamen sie nur kleine Quoten ab, zum Beispiel Malawi 20.000 Tonnen, Tansania 10.000 Tonnen, Sambia 7.000 Tonnen oder Mosambik 6.000 Tonnen. Uganda verlor seine Zuckerquote während der Terrorherrschaft von Idi Amin in den 1970er Jahren. Andere ärmste AKP-Länder wie Äthiopien, Sudan oder Haiti produzieren zwar Zucker, sind aber nicht Mitglied im Zuckerprotokoll. Eine ausdrücklich entwicklungspolitisch motivierte Vergabe der Quoten mit dem Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung armer Länder zu fördern, wie es erklärtes Ziel des Cotonou-Abkommens ist, kann nicht ausgemacht werden. Vielmehr geht die Quotenverteilung eher auf traditionelle Lieferbindungen zurück.


Konsequenzen der EU-Zuckermarktreform

Für die Zuckerprotokollländer war die garantierte Abnahme ihrer Zuckerquote zum hohen EU-Binnenpreis ausgesprochen wichtig. Für einige Länder ist der EU-Markt von zentraler Bedeutung. Mauritius exportierte 89 Prozent seiner gesamten Zuckerproduktion und 98 Prozent seiner Zuckerexporte in die EU, Jamaika schickte etwa 91 Prozent seiner Zuckerexporte in die EU, und der Zucker aus Madagaskar in der EU machte 62 Prozent der gesamten Zuckerausfuhren aus (alle Zahlen für 2004/2005). Durch die Reform der EU-Zuckermarktordnung werden sie durch den sinkenden EU-Preis ab 2008 erhebliche Einnahmeverluste verkraften müssen; bis 2009 fällt der Preis um 36 Prozent[4]. Dies trifft nicht nur die Verarbeiter, sondern auch viele Kleinbauernfamilien, die auf ihren Feldern Zuckerrohr anbauen, den Staatshaushalt und die Deviseneinnahmen. Der Weltmarkt ist für viele AKP-Zuckerproduzenten keine Alternative, denn die Produktionskosten liegen in vielen Staaten des Zuckerprotokolls deutlich über dem Zuckerweltmarktpreis und auch über dem neuen EU-Preis. So wird erwartet, dass Mauritius, Madagaskar, Kenia, die Republik Kongo und die Elfenbeinküste aus Kostengründen ihre Lieferungen in die EU ganz oder teilweise einstellen müssen. Zusammen mit aufgebenden Ländern in der Karibik könnten schätzungsweise etwa 740.000 Tonnen Quote frei und auf andere Länder des Zuckerprotokolls umverteilt werden. Dass dies verheerende Folgen in den aufgebenden Ländern haben wird, ist unübersehbar.

Die Ausgaben für den bisherigen Reexport des AKP-Zuckers seitens der EU betrugen 833 Millionen Euro im Jahr und wurden aus dem EU-Agrarhaushalt bestritten, obwohl dieser Finanzbeitrag stets als "Entwicklungshilfe" betrachtet wurde. Eine Ausgleichszahlung für die zu erwartenden Einkommensverluste wie für die europäischen Bauern ist daher für die Zuckerrohrbauern in den AKP-Staaten nicht vorgesehen. Auch werden AKP-Quoten nicht von der EU zurückgekauft wie es für die EU beschlossen ist. Lediglich eine Finanzhilfe zur Umstrukturierung und Diversizierung der Wirtschaft in Höhe von 40 Millionen Euro im Jahr 2006 mit Steigerungen in den Folgejahren ist für alle AKP-Staaten zusammen vorgesehen, diesmal jedoch aus dem Entwicklungsetat der EU finanziert. Diese Finanzmittel sollen für die Erarbeitung von Nationalen Aktionsplänen verwendet werden, die Alternativen zur Zuckerproduktion entwerfen sollen und deren Finanzierung zu Lasten des EU-Entwicklungsetats für alle Entwicklungsländer geht.


Entwicklung durch Handelspräferenzen?

Was als Entwicklungsmotor gedacht war, hat in etlichen AKP-Zuckerländern eine einseitige Ausrichtung der Landwirtschaft gefördert und eine starke Abhängigkeit von den Einkünften aus dem Zuckergeschäft geschaffen. Die garantierten Absatzmengen und Preise setzten keinen Anreiz für Investitionen und Modernisierung. Dementsprechend sind die Zuckerfabriken in vielen Ländern stark veraltet, sie laufen unter ihrer Kapazitätagrenze und zu hohen Produktionskosten, und Marktchancen für andere landwirtschaftliche Erzeugnisse wurden weder gesucht noch ergriffen. Die EU-Zuckermarktordnung hat diese Strukturen über Jahrzehnte gestützt und in den AKP-Staaten die Abschöpfung von Renten aus dem Zuckerhandel ermöglicht. Wären die 833 Millionen Euro, die die EU für den Reexport des AKP-Zuckers aufbringt, direkt an die Zuckerprotokollländer zur wirtschaftlichen Entwicklung unterschiedlichster Sektoren gegangen oder würden die Agrarsubventionen in Europa insgesamt reduziert, so wären dies möglicherweise wirksamere Entwicklungsbeiträge gewesen als den Transfer an den Zuckersektor zu binden. Dennoch müssen nun einige AKP-Staaten in der kurzen Zeit von zwei Jahren Alternativen zum Zucker finden; dies wird für viele dieser kleinen Insel- und Agrarstaaten gar nicht möglich sein und erfordert in jedem Fall erhebliche Investitionsmittel für neue Wirtschaftszweige. Dementsprechend fordern die AKP-Staaten höhere Ausgleichszahlungen und längere Übergangsfristen und appellieren an die Verantwortung der EU gegenüber ihren zuverlässigen und langjährig gebundenen Lieferländern. Diese negativen Aspekte von Handelspräferenzen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Preis- und Absatzgarantien im Einzelfall durchaus berechtigt sein können, wenn sichergestellt ist, dass die Einkünfte aus dem Zuckerhandel für Investitionen und eine Modernisierung des Sektors eingesetzt werden, um längerfristig auch auf anderen als dem geschützten EU-Markt wettbewerbsfähig zu werden.


Zukunftsaussichten

Wie es mit dem Zuckerprotokoll und den Quoten weitergehen wird, ist ungewiss. Zwar ist das Zuckerprotokoll letztlich unkündbar, doch muss das Cotonou-Abkommen mit seinen Bestandteilen ab 1.1.2008 in neue regionale Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership Agreement, EPA) überführt sein, die mit den Regeln der Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) konform sind. Diese Handelsregeln sehen unter anderem vor, dass Vergünstigungen nicht nur einer ausgewählten Ländergruppe wie den AKP-Staaten, sondern allen Entwicklungsländern oder nur den am wenigsten entwickelten Ländern einzuräumen sind oder dass die EU regionale Freihandelsabkommen abschließt, in denen sie selbst Mitglied ist, d.h. auch die EU muss zollfreien Zugang zu den Märkten der AKP-Staaten bekommen. So verhandelt die EU derzeit mit sechs Wirtschaftsregionen innerhalb der AKP-Staatengruppe über regionale Freihandelsabkommen. Ob sie bis Ende 2007 zu umsetzbaren Ergebnissen kommen werden, ist ungewiss. Auch der Umgang mit dem Produkt Zucker ist vollkommen offen. Würde auch dafür Zollfreiheit vereinbart, dann dürften auch europäische Produzenten zollfrei Zucker in die AKP-Staaten exportieren, und andere AKP-Staaten, die zwar Zucker produzieren, bisher aber nicht am Zuckerprotokoll teilhaben, könnten Zucker in die EU liefern. Der Zuckerhandel innerhalb der jeweiligen Wirtschaftsregionen wäre gleichfalls zollfrei. Denkbar wären auch Übergangszeiten mit begrenzten Mengenzuwächsen. Das Zuckerprotokoll könnte jedoch auch unverändert fortgeschrieben werden. Es bleibt abzuwarten, welche politischen Interessen sich am Ende durchsetzen werden. Was feststeht: die EU-Zuckermarktreform schafft Verlierer ohne Ausgleich unter den AKP-Staaten. Und die neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen könnten diese Situation weiter verschärfen.


Anmerkungen:

[1] Als AKP-Staaten werden 78 Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifischen Raumes bezeichnet, die ehemals Kolonien Großbritanniens, Frankreichs und Portugals waren. 19 von ihnen liefern über das Zuckerprotokoll festgelegte Zuckerquoten in die EU. Von diesen 19 Ländern gehören die Republik Kongo, Tansania, Madagaskar, Malawi, Mosambik, Uganda und Sambia gleichzeitig zur Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDC, siehe auch S. 22 ff.)

[2] Der Preis für Rohzucker liegt in der EU bei 524 Euro pro Tonne und damit weit über dem Weltmarktpreis. Nach der Reform sinkt er bis 2009 um 36 Prozent. (Siehe auch S. 4 ff. und Tab. 3 auf S. 8)

[3] Nicht abgebildet: Indien 10.000 Tonnen, Sambia 7.000 Tonnen, Mosambik 6.000 Tonnen, Kenia 5.000 Tonnen

[4] Siehe Tab. 3 auf S. 8

[5] Zu Inhalten und Wirkungen der Reform siehe auch S. 4 ff.

Quellen: s. Materialien in der Printausgabe S. 44 f.


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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 68/2007 - Spezialausgabe, S. 12-15
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2008