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AUSSENHANDEL/246: Pferdefüße beim Freihandelsabkommen (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 380 - September 2014
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Pferdefüße beim Freihandelsabkommen
Sonderrechte für Konzerne sind in mehreren Vertragskapiteln versteckt

von Berit Thomsen, AbL, Internationale Agrarpolitik



Knapp 150.000 elektronische Stellungnahmen erreichten die EU-Kommission in den vergangenen vier Monaten. Zeitweise bündelten sich die Zugriffe auf die Webseite der obersten europäischen Behörde so sehr, dass die Server abstürzten. Die Rede ist von der öffentlichen Konsultation der EU-Kommission zu dem Kapitel Investitionsschutz in dem umstrittenen transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP).


Angriff oder Beteiligung

"Das war eine regelrechte Attacke", lässt sich Handelskommissar Karel de Gucht in vielen Medien zitieren. In einer ersten quantitativen Auswertung wird deutlich, dass kritische Nichtregierungsorganisationen und Bürger eine große Anzahl der Stellungnahmen zugesendet haben. Die meisten Stellungnahmen kamen aus Großbritannien, gefolgt von Österreich und Deutschland. Mit einigem Abstand haben sich auch die Franzosen, Belgier, Niederländer, Spanier und Ungarn rege an der Konsultation beteiligt. Für die nächsten Monate hat die EU-Kommission die qualitative Auswertung dieser Konsultation angekündigt. Es lässt tief in das Demokratieverständnis von EU-Kommissar de Gucht blicken, wenn er inhaltliche Meinungs- und Mitbestimmung von Bürgerinnen und Bürger als Attacke bezeichnet. Die Konzerne wollen ihre Profitinteressen an der bäuerlichen und zivilgesellschaftlichen Bewegung, und auch an demokratisch gewählten Vertretungen, vorbei durchsetzen. Da werden wir weiter gegenhalten", sagt AbL-Bundesgeschäftsführer Georg Janßen.


Eine Paralleljustiz

Der Investitionsschutz birgt ein scharfes Schwert für die Stärkung von Konzernrechten. Vor geheimen Schiedsgerichten können Konzerne oder deren Außenstellen ihre Gastländer auf Milliardenhöhe verklagen, wenn sie der Meinung sind, dass ihnen etwa durch straffere Gesetzgebungen Gewinne entgangen sind. Diese Paralleljustiz steht in starker öffentlicher Kritik. Immer wieder tauchen auch Verlautbarungen aus der Politik unterschiedlicher Parteifarbe auf, dass sie ein TTIP oder auch die fertigen Handelsverträge zum Abkommen EU-Kanada (CETA), die einen Investitionsschutz enthalten, nicht durch die Parlamente und Räte winken würden. Experten deuten das dennoch auch als Ablenkungsmanöver, um die Bewegung zu beschwichtigen. Außerdem stellt sich die Frage, ob ein Ausschluss des Investitionsschutzes reicht? Denn für Industrie und Konzerne soll neben dem Investitionsschutz eine "Regulatorische Kooperation" eingerichtet werden, um unliebsame Regulierungen abzuwenden. Dieses Kapitel stand laut EU-Kommission während der sechsten und jüngsten TTIP-Verhandlungsrunde auf der Tagesordnung und ist auf freiwilliger (!) Basis in den geleakten Verhandlungstexten zum EU-Kanada Abkommen enthalten. Wie dieses Instrument arbeiten soll, ist einem geheimen EU-Positionspapier "Position paper - Chapter on Regulatory Coherence (Positionspapier - Kapitel zur Regulatorischen Kohärenz) zu entnehmen. Außerdem wird dieses Instrument in den USA bereits in der Praxis angewendet und lässt Rückschlüsse auf eine künftige Anwendung zu. Daraus lässt sich ableiten, dass die Regulatorische Kohärenz in zwei wesentliche Teile gesplittet werden soll. Zum einen soll eine Regulatorische Zusammenarbeit stattfinden. Das bedeutet, dass neue Gesetzesinitiativen im jeweiligen Staat den Vertragspartnern vorab mitgeteilt werden. Das kann sogar soweit gehen, dass "die USA zu benachrichtigen sind, noch bevor ein Gesetzesvorschlag von der Kommission initiiert wird", analysiert Virginia Robnett von der US-Nichtregierungsorganisation "Koalition für sensible Schutzmechanismen", einer breiten Interessengruppe von Verbrauchern, Mittelstand, Gemeinden, Gesundheitswesen u.a. Damit wird ein neuer Informationsfluss als eine Art Vorwarnsystem für Konzerne angestoßen.


Weitgehende Rechte für die Industrie

Zum anderen soll ein Regulatorischer Kooperationsrat installiert werden. "Gemäß dem EU-Positionspapier über regulatorische Kohärenz wird dieser Rat unter Beteiligung von hochrangigen Vertretern der Kommission, Handelsbehörden und dem berüchtigten Friedhof für vernünftige Regulierung in den USA, dem Office of Information und Regulatory Affairs (OIRA) besetzt", schreibt Robnett in ihrer Stellungnahme zur öffentlichen TTIP-Anhörung im Bundestag, 30. Juni. In den USA ist es längst Praxis, dass die Industrie bei neuen Gesetzesvorschlägen Revision bei der OIRA einlegen kann. Es gibt Beispiele, dass sich diese Prozesse über Jahre hinziehen, am Ende verwässert dort rauskommen und dann erst in lasche Gesetze umgewandelt werden. Das Ziel dieser Instrumente ist klar, die Interessen sind klar. Zur Klarheit hinsichtlich des Einflusses von Konzernen und Agrarindustrie etwa in den TTIP Verhandlungen trägt die Recherche der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) bei. CEO ermittelt, dass von Ende 2012 bis zum Frühjahr 2013 von den 560 TTIP-Vorgesprächen die Kommission 92 Prozent allein mit der europäischen Wirtschaft geführt hat. Keine andere Branche hatte mehr Treffen als die Agrarwirtschaft. Es fanden 113 Treffen mit multinationalen Lebensmittelkonzernen, Agrarhändlern und Saatgutherstellern statt. Das schafften nicht einmal die Automobil-, Finanz-, Chemie- und Pharmazeutische-Lobby zusammen. Abkommen wie CETA und TTIP sollen im Kern und in ihrer Ausrichtung dazu dienen, den Konzernen neue Instrumente an die Hand zu geben, via völkerrechtlich bindender Handelsverträge ihre Interessen künftig leichter durchzusetzen und Regulierungen vorzubeugen. Es wird nicht reichen, einzelne Kapitel wie Investitionsschutz raus zu nehmen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 380 - September 2014, S. 3
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2014