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AUSSENHANDEL/249: Kosten und Nutzen einer neuen "Partnerschaft" (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014
REGulIEREN - ABER WIE?
Vom Sinn und Unsinn der (De-)Regulierung

Kosten und Nutzen einer neuen "Partnerschaft"
Wie durch TTIP regulatorische Standards zulasten der BürgerInnen abgeschafft werden sollen

Von Robert Weissman



Die derzeit laufenden Verhandlungen über die Transatlantische Handelsund Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) sind keine Verhandlungen über ein Handelsabkommen im eigentlichen Sinne. Da die Zölle zwischen der Europäischen Union und den USA sich bereits auf einem historischen Tiefstand befinden, haben die Gespräche wenig mit der Begrenzung von Einfuhrsteuern zu tun. Stattdessen konzentriert sich die Debatte auf eine lange Wunschliste von Unternehmen, deren vorrangiges Ziel ist, Verbraucher-, Gesundheits-, Sicherheits-, Umwelt- und andere regulatorische Standards abzuschwächen, oder zumindest die Verabschiedung strengerer Standards zukünftig zu erschweren.


Die TTIP-Verhandlungsführer geben zu, dass regulatorische Fragen bei dem Abkommen im Zentrum stehen, sie leugnen jedoch, dass ihre Bemühungen zu einer Abschwächung von Standards führen werden. Tatsächlich wollen aber beide Seiten, insbesondere die EU, industriespezifische regulatorische Standards abschwächen, von denen sie annehmen, dass ihre Industrien dadurch benachteiligt würden. Im Auftrag ihrer Finanzunternehmen ist die Europäische Union darauf aus, wichtige Bestimmungen des amerikanischen Gesetzes zur Finanzmarktreform (Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act) rückgängig zu machen. Die USA wiederum suchen nach Wegen, die strengen Datenschutzbestimmungen für Verbraucher in der EU zu umgehen - und dadurch die Interessen von Google, Facebook und anderen US-Internetgiganten zu fördern. Unternehmen beider Seiten, insbesondere in den USA, haben eine erstaunliche Liste von Vorschriften zusammengestellt, die sie gern zurückgenommen oder sabotiert sehen wollen.

Bei Verhandlungen geht es nicht um spezielle Vorschriften

Es gibt zwar insbesondere auf europäischer Seite Interesse, eine "Harmonisierung" zu fördern. Dies sind Bemühungen, gemeinsame Regulierungsstandards in der EU und in den USA zu entwickeln, normalerweise durch eine Absenkung der Standards auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Die Aufmerksamkeit der Verhandlungsführer scheint sich jedoch besonders auf den Regulierungsprozess zu richten. An die Öffentlichkeit gelangte, europäische Papiere sowie öffentliche Kommentare von Handelsdiplomaten beider Seiten weisen darauf hin, dass es im Abkommen um "Transparenz" im Regulierungsprozess und das Erlassen von Vorschriften nach dem US-amerikanischen Prinzip "öffentliche Bekanntmachung und Stellungnahme" (notice-and-comment); Kosten-Nutzen-Analysen und die Schaffung eines Rats zur Regulatorischen Zusammenarbeit (Regulatory Cooperation Council) geht.

Transparenz und Offenheit

Offenheit in den TTIP-Verhandlungen und der Zugang zum sowie die öffentliche Kommentierung des Verhandlungstextes sind enorm wichtig. Die USA haben zwar die Forderung nach mehr Offenheit immer wieder zurückgewiesen, gleichzeitig bestehen sie aber auf mehr Transparenz im Regulierungsprozess der EU, damit privilegierte Insider nicht auf unfaire Art und Weise durch Einflussnahme auf den Erlass von Vorschriften profitierten. Die USA haben deshalb vorgeschlagen, dass ihr eigenes Verfahren zum Erlass von Rechtsvorschriften nach dem "notice-and-comment"-Prinzip als Modell dienen könne.

Prinzipiell spricht manches für das "notice-and-comment"-System der USA. Eine Behörde, die eine neue rechtliche Vorschrift vorschlägt (beispielsweise eine neue Norm für Pestizide, eine neue Vorschrift über Emissionen bei Kohlekraftwerken oder neue Standards für Lebensmittelsicherheit), muss einen Entwurf dieser Vorschrift veröffentlichen. Sie muss außerdem Kommentare der Öffentlichkeit zu dem Vorschlag annehmen und berücksichtigen und anschließend eine finale Version der Vorschrift herausgeben.

In der Praxis der vergangenen 30 Jahre hat sich dieses Verfahren beim Vorschriftenerlass allerdings dahin entwickelt, dass es regulierte Unternehmen(1) stark bevorzugt, unzählige Unterlagen eingefordert werden und sich der Erlass von Vorschriften inzwischen durch lange Verzögerungen, unglaubliche Komplexität und Neigung zur Untätigkeit auszeichnet. Man verlässt sich auf von der Industrie vorgelegte Informationen (insbesondere hinsichtlich der geschätzten Kosten neuer Vorschriften) und Unternehmen haben Gelegenheit zu verhindern, dass die Vorschriften Gültigkeit erlangen. Angesichts eines so komplizierten, schwierigen Terrains sind Behörden vorsichtig, Vorschriften zu erlassen. Wenn die Behörden den Spießrutenlauf im Hinblick auf die erforderlichen Folgenabschätzungen einmal hinter sich haben, stehen sie oft vor dem Problem, dass Unternehmen ihre Maßnahmen kritisieren und behaupten, erforderliche Bewertungen wären nicht berücksichtigt worden. Der Reiz des "notice-and-comment"-Systems wird in mehrfacher Hinsicht durch die Vorrechte für Unternehmen zunichte gemacht, da es viele Komponenten beinhaltet, die über das formelle "notice" und "comment" hinausgehen. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass im Kontext der TTIP-Verhandlungen die schlechtesten Elemente des US-Systems überwiegen werden.

Auch die EU hat eigene Vorschläge zur Transparenz vorgelegt. Diese beinhalten das Recht auf vorherige Überprüfung durch die EU und die USA, bevor eine der beiden Seiten der Öffentlichkeit die vorgeschlagenen Vorschriften zugänglich macht. Der EU-Vorschlag besagt, dass diese Vorabinformationen auch betroffenen Akteuren übermittelt werden sollten; in der Praxis würde dies ausländische Unternehmen in die Lage versetzen, gegen Vorschriften Lobbyarbeit zu betreiben, bevor diese überhaupt formell vorgeschlagen werden.

Kosten-Nutzen-Analyse

Aktuelle Vorschläge, Kosten-Nutzen-Anforderungen in TTIP miteinzubeziehen, kommen von der EU. Es ist bisher nicht bekannt, ob die USA ähnliche Vorschläge eingebracht haben. US-Unternehmen haben aber bekräftigt, europäische Regulierungsbehörden dazu zu verpflichten, auch Kosten-Nutzen-Analysen durchzuführen. Man behauptet, eine Kosten-Nutzen-Analyse sei lediglich ein Instrument zur Aufrechnung der erwarteten Gesamtkosten und des Nutzens. In der Praxis hat sich die Kosten-Nutzen-Analyse jedoch zu einer von Unternehmen dominierten Pseudo-Wissenschaft entwickelt, die im US-Kontext die Regulierung stark blockiert.

Zentrale Probleme der US-Kosten-Nutzen-Analyse

Für ihre Bemühungen, die voraussichtlichen Kosten neuer Vorschriften zu ermitteln, sind die Regulierungsbehörden normalerweise auf Schätzungen aus der Industrie angewiesen. Diese sind aufgrund der Voreingenommenheit der Industrie und weil kostensenkende Innovationen und Einsparungen nicht mitberücksichtigt werden, normalerweise deutlich zu hoch angesetzt. Eine formelle Kosten-Nutzen-Analyse ist kompliziert und zwingt die Behörden, sehr viel Zeit und Geld für sorgfältig ausgearbeitete Analysen aufzuwenden, um sich gegen spätere juristische Auseinandersetzungen zu wappnen. Auch besteht zwischen Kosten-Nutzen-Analysen und dem Vorsorgeprinzip ein Spannungsverhältnis. Während beim Vorsorgeprinzip unbestimmte, noch nicht erforschte Risiken im Vordergrund stehen, liegt der Schwerpunkt einer Kosten-Nutzen-Analyse auf bereits bekannten Fakten. Eine Chemikalie beispielsweise kann daher nach dem Vorsorgeprinzip auf Grundlage noch nicht näher bestimmter Risiken vom Markt genommen werden; bei der Kosten-Nutzen-Analyse werden diese Risiken höchstwahrscheinlich ignoriert oder bestenfalls erheblich heruntergespielt. Und schließlich beziehen Kosten-Nutzen-Analysen im Allgemeinen Katastrophenrisiken, wie beispielsweise eine globale Finanzkrise, nicht mit ein.

Rat zur Regulatorischen Zusammenarbeit

Die EU hat einen Rat zur Regulatorischen Zusammenarbeit vorgeschlagen, dessen Rechtsprechung und Machtbefugnisse unklar sind. Verhandlungsführer aus den USA behaupten zwar, sie hätten keinerlei Vorschläge in diese Richtung gemacht, jedoch gibt es in den USA ein ähnliches, sehr beunruhigendes Vorbild. Das Office of Information and Regulatory Analysis (OIRA) ist eine Behörde im Weißen Haus, die alle wichtigen Vorschriften, die von Behörden vorgeschlagen werden, überprüft und dabei häufig für erhebliche Verzögerungen beim Erlass von Vorschriften sorgt. Das OIRA wird weithin als ein Ort betrachtet, an dem Unternehmen eine zweite Chance bekommen für die Verwässerung oder Verhinderung von Vorschriften, die sie vorher nicht stoppen konnten. Wenn ein Rat zur Regulatorischen Zusammenarbeit so aussehen würde wie das OIRA in den USA, befände er sich in der Position, den Erlass von Verordnungen auf beiden Seiten des Atlantiks auszubremsen. Und die BürgerInnen hätten wenig Gelegenheit, den Prozess überhaupt zu beeinflussen. Es ist wahrlich kein Zufall, dass die EU und die USA behaupten, an einer neuen "Partnerschaft" zu arbeiten, das nichtssagende Akronym TTIP verwenden und als Ziel eine regulatorische "Zusammenarbeit" angeben. Dadurch verschleiern sie den tatsächlichen Hintergrund des Abkommens und vermeiden eine Rechenschaftslegung gegenüber der Öffentlichkeit.


Autor Robert Weissman ist Präsident von Public Citizen. Public Citizen ist eine gemeinnützige Verbraucherschutzorganisation und Think Tank mit Sitz in Washington D.C., welche sich vorrangig mit der Rechenschaftspflicht von Unternehmen sowie staatlicher Regulierung in den Bereichen Transport, Gesundheitsfürsorge und Atomkraft beschäftigt.

Aus dem Englischen von Angela Grossmann


Anmerkung

(1) Regulierte Unternehmen sind börsennotierte Unternehmen, welche im unterschiedlichem Maße unter Einfluss des Staates stehen. Dieser kann beispielsweise Anbieterzahl, Produkte und Rahmenbedingungen beeinflussen.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014, Seite 4-5
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2014


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