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AUSSENHANDEL/250: TTIP - Verbraucherschutz gleich Null (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014
REGulIEREN - ABER WIE?
Vom Sinn und Unsinn der (De-)Regulierung

Verbraucherschutz gleich Null
Wie sich TTIP auf die Produktsicherheit und den Regulierungsprozess auswirkt

Von Rachel Weintraub



Bei der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP) handelt es sich nicht um ein traditionelles Handelsabkommen über Zölle, vielmehr ist es ein Abkommen über die Gesetze und Vorschriften zum Verbraucherschutz. TTIP umfasst dabei genau jene Aspekte, mit denen sich der Verbraucherverband in Amerika (Consumer Federation of America, CFA) und andere Verbraucherverbände tagtäglich beschäftigen. Insbesondere könnten wichtige Bestimmungen zur Produktsicherheit und andere Vorschriften im Rahmen von TTIP durch regulatorische Vorwegnahme abgeschwächt werden. Und ferner gibt es ernste Bedenken im Hinblick auf die regulatorische Konvergenz, wie sie durch TTIP umgesetzt werden könnte. Auch die fehlende Transparenz bleibt weiterhin problematisch.


CFA ist ein gemeinnütziger Verein, bestehend aus 300 Verbraucherschutzgruppen, die Millionen von Menschen vertreten, und bemüht sich seit 1998 Verbraucherinteressen durch Forschung, Lobbyarbeit und Bildungsmaßnahmen aktiv zu repräsentieren. CFA ist auch Mitglied des Transatlantischen Verbraucherdialogs, eines Forums, in dem sich Verbraucherverbände aus den USA und der EU über politische Empfehlungen im Hinblick auf grenzüberschreitende Fragen des Verbraucherschutzes verständigen.

Produktsicherheit

Ein wichtiges Gesetz zur Produktsicherheit, das Consumer Product Safety Improvement Act (CPSIA), wurde 2008 in den USA mit großer Zustimmung beider Parteien verabschiedet. Dieses wichtige neue Gesetz führte zu mehr Sicherheit bei Verbraucherprodukten. Es schreibt vor, dass Spielzeug und Säuglingsprodukte vor dem Verkauf auf die Einhaltung verbindlicher Normen getestet werden müssen. Gleichzeitig werden durch das Gesetz Blei und Phthalate in Kinderprodukten praktisch verboten. Das CPSIA umfasst alle entscheidenden Verbesserungen, die die Kommission für Produktsicherheit bei Verbrauchsgütern (Consumer Product Safety Commission) seit ihrer Gründung in den 1970er Jahren vorgeschlagen hat.

Eine der entscheidendsten Vorschriften im CPSIA ist, dass Spielzeug sowie Säuglings- und Kleinkindprodukte von unabhängiger Seite anhand verbindlicher Normen getestet werden müssen. Das TTIP-Abkommen wird jedoch erhebliche Auswirkungen auf diese wichtige Verbraucherschutzklausel haben. Die USA haben nicht nur mit die strengsten Normen weltweit, beispielsweise für Kinderbetten, auch die Standards für viele andere Produkte wie Spielzeug unterscheiden sich von denen in der EU. Des Weiteren müssen Produkte wie Spielzeug in der EU nicht von unabhängiger dritter Seite getestet werden, Selbstdeklarationen gelten als ausreichend.

In den USA hingegen müssen Kinderbetten, Spielzeug und Spielplätze nicht nur verpflichtenden Normen genügen, sie müssen auch von Dritten getestet werden, um zu gewährleisten, dass die Normen erfüllt sind. Das ist ein grundlegender Bestandteil des CPSIA. 2007 wurden viele Kinderprodukte wegen zu hohem Bleigehalt und anderen Gründen zurückgerufen. Dabei wurde deutlich, dass unsere globale Zuliefererkette keinen besonderen Wert auf Sicherheitsstandards legte. Die Klausel zur unabhängigen Produktprüfung wurde anschließend in das Gesetz aufgenommen als wichtiges Instrument Verletzungen von verpflichtenden Sicherheitsvorschriften, aber auch um Defekte zu identifizieren, die ein Risiko für Verbraucher darstellen könnten.

Die Internationale Dachorganisation für Prüfdienstleister (International Federation of Inspection Agencies) - ein Fachverband von internationalen Prüf-, Inspektions- und Zertifizierungsunternehmen - führte 2012 und 2013 zwei Studien durch, in denen untersucht wurde, inwiefern selbstdeklarierte und unabhängig getestete Produkte in Europa den Normen entsprachen. 2012 kam man zu dem Schluss, dass 82% der Produkte nicht den Normen entsprachen; 8% wurden als gefährlich eingestuft und 15 kritische, fehlerhafte Produkte wurden den Behörden gemeldet. Die 2013er Studie kam zu ganz anderen Ergebnissen: Die Durchfallquote betrug 25% und ein fehlerhaftes Produkt wurde identifiziert.

Angesichts dieser signifikanten Unterschiede bei den Überprüfungsmethoden der Produktsicherheit in der EU und den USA und der potenziell ernsten Auswirkungen auf den Verbraucherschutz kann und sollte dieses Problem nicht durch TTIP geregelt werden, sondern in jeder Region demokratisch gelöst werden. Anderenfalls könnte ein wichtiges Gesetz zum Verbraucherschutz in den USA durch diese Verhandlungen ausgehebelt werden.

Regulatorische Vorwegnahme

Die Verhandlungsführer auf beiden Seiten des Atlantiks und auch US-Präsident Obama haben erklärt, dass es nicht ihre Absicht sei, den Verbraucherschutz zu verschlechtern; sie wollten lediglich unnötige Hindernisse für den grenzüberschreitenden Handel beseitigen. Vielen Unternehmen und Handelsverbänden in der EU und in den USA geht es jedoch in erster Linie darum, die Verabschiedung künftiger Verbraucherschutzbestimmungen zu verhindern, insbesondere solcher, die sie nicht mögen und die den Status Quo verändern. Etwas, das schon seit vielen Jahren praktiziert wird. TTIP könnte für diese Unternehmen eine Gelegenheit bieten, den Verbraucherschutz zu schwächen und zwar durch einen Prozess der wesentlich intransparenter und undemokratischer ist als die normalen Rechts- und Regulierungssysteme in den USA.

Regulatorische Konvergenz

Das an die Öffentlichkeit gelangte EU-Positionspapier zur regulatorischen Konvergenz(1) ist alarmierend. Die Vorstellung, dass ein neues, schwammiges Modell internationaler "Zusammenarbeit" ins Leben gerufen werden soll, das den Erlass von Verordnungen in der EU und den USA verändert, ist äußerst problematisch. Der amerikanische Verbraucherverband und andere ähnliche Gruppen sind zwar nur unzureichend über diese "Zusammenarbeit" informiert. Sie fürchten jedoch, dass dadurch ein undemokratisches internationales Mega-Regulierungsgremium entsteht, das von Unternehmen mit umfangreichen Ressourcen genutzt werden könnte, den Verbraucherschutz zu blockieren. Außerdem könnte diese regulatorische Konvergenz auch bedeuten, dass Kosten-Nutzen-Analysen und Untersuchungen über Auswirkungen auf den Handel im Hinblick auf vorgeschlagene Rechts- und Regulierungsinitiativen genutzt werden. Diese Art von Analysen als politisches Instrumentarium zu gebrauchen, gäbe zwar nicht notwendigerweise ein Grund zur Sorge, problematisch ist allerdings, sie als den primären Maßstab zur Messung der Notwendigkeit von Regulierung zu nutzen, insbesondere im Hinblick auf die Auswirkungen auf Handel. Schließlich können nicht alle Vorteile quantitativ gemessen werden.

Der CFA befürchtet, dass der Rat zur Regulatorischen Zusammenarbeit (Regulatory Cooperation Council, RCC)(2) eventuell dazu benutzt werden könnte, vorhandene Vorschriften zum Verbraucherschutz abzuschwächen oder ihnen zuvorzukommen, und gleichzeitig ein System zu schaffen, mit dem künftige Sicherheitsvorschriften verhindert werden. Er befürchtet, dass beim RCC Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher sowie ein fairer Markt nicht gewährleisten werden.

Transparenz

Transparenz ist der Schlüssel zum Erfolg dieser Verhandlungen, leider fehlt sie jedoch. Der CFA und andere Verbraucherschutzgruppen können keine Abkommen akzeptieren, die im Geheimen verhandelt werden. Der Textentwurf des TTIP-Abkommens muss während des Verhandlungsprozesses regelmäßig der Öffentlichkeit präsentiert werden. Das ist ein wichtiges demokratisches Prinzip, das erforderlich ist, um zu gewährleisten, dass alle betroffenen Akteure die Gelegenheit erhalten, ein Feedback zu geben. Ein solcher Zugang zum Text kann nicht aufgrund von Sicherheitsbeschränkungen verweigert werden. Wir verstehen die Bedenken, dass die Verhandlungen durch die Veröffentlichung von Textentwürfen eventuell komplizierter werden könnten. Demokratie und Offenheit können die Dinge zwar manchmal komplizierter machen, sie produzieren jedoch bessere Ergebnisse und sind unabdingbar, wenn es darum geht zu verhindern, dass unsere hart erkämpften Rechte und Verbraucherschutzbestimmungen in den Verhandlungen aufgegeben werden sollen.

Der CFA ist ernsthaft besorgt über die Reichweite von TTIP und die negativen Folgen, die das Abkommen auf Produktsicherheit, den regulatorischen Prozess und die Transparenz haben könnte. Internationale Handelsabkommen sollten den Verbraucherschutz nicht schwächen. Leider kann es sein, dass TTIP genau dies tun wird.


Autorin Rachel Weintraub ist geschäftsführende Direktorin (Legislative Director) und Senior Counsel der Consumer Federation of America.

Aus dem Englischen von Angela Grossmann


Anmerkungen

(1) Auf der Website von Corporate Europe einsehbar:
http://corporateeurope.org/sites/default/files/ttip-regulatorycoherence-2-12-2013.pdf

(2) Die Europäische Kommission schlägt vor, dass der Regulatory Cooperation Council (RCC, Rat zur Regulatorischen Zusammenarbeit) von hochrangigen Vertretern der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden und Handelsvertretern sowie dem Generalsekretariat der Kommission und des US-Office of Information and Regulatory Affairs (OIRA) aufgebaut wird. Der RCC soll zweimal im Jahr tagen und ein jährliches Regulationsprogramm vorbereiten. Wie genau die Aufgabenbereiche zwischen dem RCC und den Entscheidungsinstanzen der EU unter dem TTIP ausgestaltet werden, soll später entscheiden werden.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2014, Seite 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2014


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