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AUSSENHANDEL/272: EU-Kommission will Investitionsschutz in neuem Licht erstrahlen lassen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

Aus Alt mach Neu
EU-Kommission will Investitionsschutz in neuem Licht erstrahlen lassen

von Nelly Grotefendt und Lavinia Roveran


Die Verhandlungen um das transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen EU und USA (TTIP) stehen nach fast 3 Jahren und 12 Verhandlungsrunden einer so breiten zivilgesellschaftlichen Bewegung gegenüber, wie es sie selten gegeben hat. Längst ist klar, dass es nicht mehr nur die skeptischen BürgerInnen aus Deutschland oder Österreich auf die Straße treibt, sondern dass sich eine europäische Bewegung formiert. Indikatoren dafür gibt es viele: Europaweit hat die selbstorganisierte Bürgerinitiative (EBI) mehr als 3 Millionen Unterschriften gegen TTIP gesammelt, es wurden Großdemonstrationen von Barcelona bis London organisiert und die zivilgesellschaftlichen Treffen in Brüssel erfreuen sich einer ungebrochenen Beliebtheit. Die neuesten Entwicklungen, insbesondere hinsichtlich des breit kritisierten Investitionsschutzes, des Investor-Staat-Klagerechts (ISDS) und des neuen Vorschlags der Kommission zum sogenannten Investment Court System (ICS), der jetzt auch in das kanadische Abkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) reinverhandelt wurde, werfen wiederholt die Frage auf: Was macht die Kommission da eigentlich?[1]


Seit rund 2 Jahren hält eine Debatte zu der vierbuchstabigen Abkürzung ISDS - ein bis dato weitestgehend unbekanntes Instrument internationaler Handels- und Investitionsverträge - die europäische Öffentlichkeit, Politik, Medien und AktivistInnen in Atem. Vom ExpertInnenthema hat es sich zum Streitthema der breiten Öffentlichkeit gemausert. Besorgt sind die Menschen besonders über den Angriff dieses Instruments auf die Demokratie, die Intransparenz dieses Systems und die einseitige Ausgestaltung zugunsten ausländischer Investoren. Weltweit gibt es bereits erschreckende Beispiele für erfolgreiche Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe - auf Kosten der SteuerzahlerInnen und oftmals gegen Maßnahmen im öffentlichen Interesse.


Klare Zeichen ohne Folge

Überwältigt von gesellschaftlicher Kritik und zivilgesellschaftlichem Aktionismus startete die EU-Kommission schon früh im Verhandlungsprozess Versuche einer Beschwichtigungspolitik.

Im Januar 2014 brachte sie eine öffentliche Konsultation der wohl umstrittensten Bereiche der TTIP-Verhandlungen auf den Weg: dem Investitionsschutzkapitel. Dieses Kapitel umfasst auch den umstrittenen Mechanismus ISDS. Eine überwältigende Mehrheit von 97 Prozent der Befragten sprach sich gegen ein derartiges Kapitel im TTIP aus - große Konsequenzen zog die Kommission aus dieser Befragung jedoch nicht.

Rund 2 Jahre später fährt die EU-Kommission nun eine neue Strategie. Um dem Widerstand auszuweichen, stellte sie im Herbst 2015 das altvertraute ISDS unter neuem Namen vor: das sogenannte Investment Court System (ICS) ward geboren. An die Stelle des stark kritisierten ISDS soll nun das "neue" System der Kommission treten, ein System, das insbesondere die Vorwürfe der Abhängigkeit und Einseitigkeit beseitigen und den Staat zukünftig in seiner Regulierungshoheit schützen soll. Nicht nur mit der Namensgebung versuchte die Kommission den großen Wurf zu landen. Ein Name, der scheinbar dazu geschaffen wurde, sich freundlich und vertraut anzuhören. Das Wort 'Court' - Gericht - soll wohl Stärke, Vertrauen und Unabhängigkeit suggerieren. Gewürzt ist der neue Vorschlag mit ein bisschen Transparenz sowie einigen prozeduralen Änderungen und schon erhofft sich die Kommission, die kritische Öffentlichkeit eingewickelt und auf ihre Seite gezogen zu haben.


Totgesagte leben länger

Bei näherem Hinsehen stellt man jedoch schnell fest, dass dieses "neue" System keine wesentlichen Änderungen zum alten Modell bringt. Zudem zeigt sich bei einem Blick in den Text, dass das versprochene System des Investitionsgerichtes - Investment Court System - keinen tatsächlichen Investitionsgerichtshof enthält. Im Text ist nur noch die Rede von einem 'Tribunal'.

Um diese und weitere Fallen des Vorschlags der Kommission zu enttarnen, hat Corporate Europe Observatory gemeinsam mit 15 weiteren europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, unter ihnen auch das Forum Umwelt und Entwicklung, eine detaillierte Analyse des Vorschlags unter dem Titel 'Totgesagte leben länger - der ISDS-Zombie' durchgeführt. Die Ergebnisse der Analyse fallen sehr ernüchternd aus.


Große Worte, nichts dahinter

Die Analyse zeigt deutlich, dass die Strategie der Kommission, nüchtern gesagt, eine reine Camouflage ist. Das geplant ICS wird keinesfalls das Ende des brandgefährlichen ISDS bedeuten, sondern genau das Gegenteil bewirken: Wird ICS mit beispielsweise einem ratifizierten TTIP rechtsgültig, gibt die Kommission damit tausenden Unternehmen ein Instrument an die Hand, um unser Rechtssystem zu umgehen und die europäischen Regierungen vor parallele Schiedsgerichte zu zerren, wenn sie ihre Profitmöglichkeiten durch Gesetze und Regulierungen eingeschränkt sehen. Diese Klagen stellen nicht nur eine enorme Bedrohung für die Steuergelder von BürgerInnen dar, sondern insbesondere für eine Politik zum Schutz von Mensch und Umwelt. Unterm Strich ist der Vorschlag nichts anderes als ein von den Toten wiederauferstandenes ISDS.


Philipp Morris könnte weiterhin klagen

Der neue Vorschlag ermöglicht weiterhin Konzernklagen gegen nichtdiskriminierende, legale und legitime Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit, Umwelt und anderen öffentlichen Interessen. Der ICS-Vorschlag enthält dieselben weitreichenden Rechte für Investoren, auf die sich Konzerne wie Philipp Morris (in einer Klage gegen Nichtraucherschutzgesetze in Uruguay) und TransCanada (in einer angekündigten 15 Milliarden US-Dollar-Klage gegen die USA wegen der Ablehnung der umstrittenen Keystone XL-Öl-Pipeline) berufen haben. Der Vorschlag zeichnet ein weiterhin einseitiges System mit Rechten für Konzerne - von Pflichten keine Spur. So lange das so bleibt, wird das System der Konzernklagen nur noch an Popularität unter ihren NutznießerInnen gewinnen. Die Zahl der Investor-Staat-Klagen und das Ausmaß der Klagesummen sind in den letzten 2 Jahrzehnten ohnehin schon regelrecht explodiert: Waren im Jahr 1995 lediglich 3 Fälle bekannt, so stieg die Zahl der öffentlich gewordenen Investor-Staat-Klagen bis Januar 2016 auf knapp 700. Allein im Jahr 2015 wurden 70 neue Klagen eingereicht. Das System ist mittlerweile gut bekannt und erfreut sich offenbar großer Beliebtheit.


Sonderrechte für Konzerne

Die Kommission erhält mit ihrem Vorschlag demnach eine florierende Industrie am Leben. Das von der EU geplante Streitschlichtungsverfahren ist keinesfalls unabhängig, sondern einseitig zum Vorteil des Investors ausgerichtet. Da lediglich Investoren klagen können, gibt es für die SchiedsrichterInnen (im Vorschlag ebenfalls in "RichterInnen" umbenannt, passend zum "Gericht") einen starken systemischen Anreiz, investorenfreundliche Urteile zu fällen, um in Zukunft weitere Aufträge, Honorare und Prestige zu bekommen. Fehlende Karenzzeiten, Schlupflöcher im geplanten Verhaltenskodex für die SchiedsrichterInnen und das bestimmte Personenkreise begünstigende Auswahlverfahren geben ebenfalls Anlass zur Sorge, dass die Schiedsgerichte auch in Zukunft mit genau denselben privaten AnwältInnen besetzt würden, die den teuren Boom der Investitionsschiedsverfahren mit losgetreten haben - indem sie Investoren zu Klagen gegen Staaten ermutigt und das Investitionsrecht äußerst investorenfreundlich ausgelegt haben.


System auf dem Scheideweg?

Der neue Vorschlag umgeht konsequent jegliche Kritik der Zivilgesellschaft. Aber auch Institutionen haben deutliche Zweifel an dem Schiedsgerichtssystem formuliert. Nicht zuletzt der Deutsche Richterbund, der "weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit für ein solches Gericht" sieht.[2] Anstatt ISDS zu begraben, droht die Kommissionsagenda zum Investitionsschutz, ISDS für immer festzuschreiben. Den Mitgliedstaaten der EU wäre es faktisch unmöglich, die Investorenprivilegien wieder aufzukündigen, wenn diese einmal Teil eines großen Handelsabkommens wie TTIP oder CETA geworden sind (es sei denn, sie verlassen die EU).

Dieser Versuch der EU, das System der Investor-Staat-Klagerechte massiv auszuweiten und festzuschreiben, kommt zu einem Zeitpunkt, an dem sich immer mehr Menschen des gesamten politischen Spektrums gegen diese juristische Zwangsjacke der Konzerne aussprechen - und an dem immer mehr Regierungen nach Ausstiegsmöglichkeiten suchen. Die Tatsache, dass sich die Öffentlichkeit für ein solch komplexes Thema interessiert und selbst vor obskuren Klauseln nicht zurückschreckt, ist eine echte Chance für den schlussendlichen Erfolg der Anti-TTIP-Bewegung.

Wir müssen uns weiter für die Alternativen stark machen: Aufkündigung aller bestehenden Verträge sowie aller Arten von Plänen für internationale Gerichte, die ausschließlich Konzernen und reichen Privatpersonen zur Verfügung stünden. Es besteht dafür keine Notwendigkeit.


Lavinia Roveran ist Referentin für Europäische Umweltpolitik beim Deutschen Naturschutzring. Nelly Grotefendt betreut als Referentin für Internationale Handelspolitik des Forum Umwelt und Entwicklung das zivilgesellschaftliche Bündnis TTIPunfairHandelbar.


Mehr Informationen: Link zur Studie 'Totgesagte leben länger - der ISDS-Zombie' und Zusammenfassung:
http://www.forumue.de/totgesagteleben-laenger-der-isds-zombie

Dieser Artikel erscheint außerdem in der April-Ausgabe der umwelt aktuell (Deutscher Naturschutzring).


Anmerkungen:

[1] Einen herzlichen Dank an die Autorin der Studie 'Totgesagte leben länger - der ISDS-Zombie', Pia Eberhardt, auch für die Inspirationen zu diesem Artikel.

[2] http://www.drb.de/cms/fileadmin/docs/Stellungnahmen/2016/DRB_160201_Stn_Nr_04_Europaeisches_Investitionsgericht.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 27-28
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2016

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