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AUSSENHANDEL/273: »Chlorhuhn 2.0« - EU-Kommission möchte Chemikalie zur Reinigung von Geflügel zulassen (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

CLORHUHN 2.0«
EU-Kommission möchte Chemikalie zur Reinigung von Geflügel zulassen

von Maja Volland


BefürworterInnen des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP werfen kritischen Stimmen gerne "Panikmache" vor, wenn diese auf die Gefahren des Abkommens hinweisen. Das Chlorhuhn ist hierfür zum Symbol geworden. Doch jüngste Dokumente der EU-Kommission belegen, dass die Warnungen über sinkende Standards durch TTIP alles andere als Hysterie sind. Sie zeigen, dass die EU-Kommission auf Anfrage der USA plant, den Einsatz von Peroxyessigsäure (PAA) zur Desinfektion von Geflügel zuzulassen.

Am 15. Dezember 2015 sollte der Ständige Ausschuss für die Lebensmittelkette und Tiergesundheit darüber beraten, ob die nachträgliche Desinfektion von Geflügelschlachtkörpern mit Peroxyessigsäure (PAA) in der Europäischen Union (EU) erlaubt werden soll.[1] Die EU-Kommission hatte hierzu einen Vorschlag erarbeitet, der auf eine offizielle Anfrage des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) zurückgeht. [2] Anders als in der EU ist in den USA die Behandlung von Geflügel mit PAA erlaubt. Das EU-Einfuhrverbot von chemisch behandeltem Geflügel stellt daher für die US-Landwirtschaft ein Handelshemmnis dar. Der Einsatz von PAA hat viele fragwürdige Folgen. Die EU-Kommission zeigt mit ihrem Vorstoß erneut, dass ihren Beteuerungen, TTIP führe zu keiner Absenkung von Schutzstandards, nicht zu trauen ist. Ganz im Gegenteil: Sie betreibt mit dem "Chlorhuhn 2.0" aktiv eine Standardabsenkung im Interesse des transatlantischen Handels.


Nach- statt Vorsorge

Die EU-Kommission begründet ihren Vorschlag damit, dass der Einsatz von PAA die Verbreitung des Bakteriums Campylobacter - und damit die häufigste Ursache von Lebensmittelvergiftung in der EU - eindämmen soll. Zwar sind Maßnahmen zur Kontrolle des Erregers begrüßenswert, allerdings gehen die Pläne der Kommission in die falsche Richtung. Denn die Ursachen für eine Campylobacteriosis liegen vor allem in der Tierhaltung selbst.[3]

Eine Eindämmung der Bakterien muss bereits im landwirtschaftlichen Betrieb beginnen, nicht erst im Schlachthaus. Würde der nachsorgende Einsatz von PAA erlaubt, besteht die Gefahr, dass viele Betriebe dies als Ersatz für die geltenden Hygienestandards bei der Tierhaltung sehen. Der vorsorgende Ansatz "Vom Erzeuger zum Verbraucher", der die Basis der EU-Lebensmittelsicherheit bildet, würde damit unterlaufen werden. Dies ist umso besorgniserregender, als die Wirksamkeit von PAA gegen Campylobacter in Studien nicht stichhaltig nachgewiesen werden konnte.[4]


Gefahr für Lebensmittelsicherheit, Gesundheit, Umwelt und Tierwohl

Die Behandlung von Fleisch mit PAA könnte im schlimmsten Fall genau das Gegenteil von dem bewirken, was angeblich damit bezweckt werden soll. Denn die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kann nicht eindeutig ausschließen, dass der Einsatz von PAA zu antimikrobiellen Resistenzen führt.[5] Zudem warnt die EFSA vor dem in PAA enthaltenen Stabilisator HEDP. Falls HEDP ins Grundwasser gelangen würde, könne die EFSA dies nicht "a priori" als sicher einstufen.[6]

US-Medien berichten des Weiteren von gesundheitlichen Gefahren beim Einsatz von chemischen antimikrobiellen Stoffen bei Geflügel. PAA ist bekannt dafür, Augen, Haut und Lunge zu reizen.[7] Der Einsatz von PAA schadet auch dem Tierwohl, denn die Nachbehandlung von mit Keimen belastetem Fleisch kann nicht die wahren Ursachen von Tierkrankheiten und Keimen im Stall verhindern: die überwiegend schlechten Bedingungen der Massentierhaltung.


Die EU-Kommission stellt Handelsinteressen vor Interessen der VerbraucherInnen

Der Vorschlag der EU-Kommission folgt einer offiziellen Anfrage des US-Landwirtschaftsministeriums, den Einsatz von PAA bei Geflügel zu erlauben.[8] Eine Genehmigung würde für viele US-Landwirte neue Absatzmärkte eröffnen. Derzeit dürfen sie ihr mit Chemikalien behandeltes Fleisch nicht in die EU exportieren. Die Abschaffung des Einfuhrverbots von chemisch behandeltem Fleisch ist eine der US-Kernforderungen bei den Verhandlungen zum TTIP-Abkommen, wie der US-Landwirtschaftsminister Tom Vilsack bei einer Konferenz am 1. Dezember 2015 in Brüssel noch einmal betonte.[9]


Die EU-Kommission muss ihren PAA-Vorschlag ad acta legen!

Jüngste Daten insbesondere aus Großbritannien zeigen, dass es andere vielversprechende Maßnahmen zur Kontrolle von Campylobacter gibt. Dazu zählen beispielsweise Schnelltestverfahren für Campylobacter.[10] Der Einsatz von PAA hat somit nicht nur viele fragwürdige Folgen, sondern er ist zur Eindämmung von Lebensmittelvergiftungen auch unnötig.

Die EU-Kommission hat die Debatte über ihren Vorschlag in dem zuständigen Ausschuss im Dezember letzten Jahres kurzfristig abgesagt. Ihr Vorhaben war an die Öffentlichkeit geraten und hatte Kritik aus einigen EU-Mitgliedsstaaten hervorgerufen. Doch schon bei der nächsten Sitzung des Ausschusses, wenn etwas Gras über die Sache gewachsen ist, könnte die Vorlage wieder auf der Tagesordnung landen.

Immer wieder beteuern BefürworterInnen von TTIP, darunter auch die Bundesregierung, dass es nicht zu einer Absenkung von Schutzstandards kommen werde. Doch der Vorstoß der EU-Kommission zeigt erneut, dass sie für TTIP bereit ist, Zugeständnisse bei Umwelt- und Lebensmittelstandards zu machen. Die Kommission darf Wirtschaftsinteressen nicht länger vor Umweltschutz, Tierwohl und die Interessen von VerbraucherInnen stellen. Sie muss ihren Vorschlag, PAA zur Behandlung von Geflügel zu erlauben, ad acta legen. Die deutsche Bunderegierung muss den Vorstoß der EU-Kommission entschieden ablehnen, wenn er im zuständigen Ausschuss debattiert wird.


Die Autorin leitet die TTIP-Politik in der Bundesgeschäftsstelle des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND).


Anmerkungen:

[1] Siehe die Tagesordnung des Ausschusses online unter:
http://ec.europa.eu/food/safety/docs/reg-com_biosec_20151215_agenda.pdf.

[2] EFSA (2014). Scientifc Opinion on the evaluation of the safety and efficacy of peroxyacetic acid solutions for reduction of pathogens on poultry carcasses and meat.
http://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/scientific_output/files/main_documents/3599.pdf, S.6.

[3] EFSA (2011). Scientific Opinion on Campylobacter in broiler meat production.
http://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/scientific_output/files/main_documents/2105.pdf.

[4] Dies geht aus einer nicht öffentlichen Präsentation der EU-Kommission über "Campylobactor Control" vom 27. November 2015 hervor.

[5] EFSA (2014). Scientifc Opinion on the evaluation of the safety and efficacy of peroxyacetic acid solutions for reduction of pathogens on poultry carcasses and meat.
http://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/scientific_output/files/main_documents/3599.pdf.

[6] Siehe Ebd.

[7] Washington Post (25.4.2013). At chicken plants, chemicals blamed for health ailments are poised to proliferate.
https://www.washingtonpost.com/politics/at-chicken-plants-chemicals-blamed-for-health-ailments-are-poised-toproliferate/2013/04/25/d2a65ec8-97b1-11e2-97cd-3d8c1afe4f0f_story.html.

[8] EFSA (2014). Scientifc Opinion on the evaluation of the safety and efficacy of peroxyacetic acid solutions for reduction of pathogens on poultry carcasses and meat.
http://www.efsa.europa.eu/sites/default/files/scientific_output/files/main_documents/3599.pdf.

[9] Reuters (2015). Farm issues could scupper free trade deal with EU: U.S.
http://www.reuters.com/article/us-trade-europe-usa-idUSKBN0TK4O420151201#b9CuVd27CesdidoY.97.

[10] Food Standards Agency (2015): Food Standards Agency welcomes signs of progress on campylobacter.
http://www.food.gov.uk/news-updates/news/2015/14701/campylobacter-survey.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 29-30
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2016

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