Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → WIRTSCHAFT


BINNENMARKT/257: Gleichheit - Binnenmarkt - Europa (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit

Gleichheit - Binnenmarkt - Europa Wie die deutsche Austeritätspolitik die Kluft zwischen den EU-Staaten immer weiter öffnet

von Dr. Hartmut Elsenhans


Die Eurozone krankt am Exportweltmeister Deutschland in ihrer Mitte. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat unlängst Vorschläge unterbreitet, wie mit einem Eurozonen-Budget auf eine Harmonisierung im europäischen Wirtschaftsraum hingearbeitet werden könnte. Deutschland zögert deutlich. Die Solidarität in Europa darf nichts kosten. Die "schwarze Null" ist wichtiger als die Vertiefung der europäischen Einigung. Erst der Geldbeutel, dann die Sicherheit Deutschlands.


D er grossen Mehrheit in Deutschland nützt die schwarze Null nicht. Weil der Staat spart und die Unternehmen entlastet, zerfällt die Infrastruktur. Die Produktivität steigt schneller als die Produktion: Weil die Nachfrage nicht gleichermaßen steigt, gehen Arbeitsplätze verloren. Deutschland schädigt sich selbst und will die anderen dazu zwingen, dasselbe zu tun.

Wenn das so weitergeht, besteht die Gefahr, dass unsere europäischen NachbarInnen die Geduld verlieren und Deutschland bitten werden, den Club zu verlassen, so wie früher die Musterschüler eine Klasse überspringen mussten. Damit es nicht so weit kommt, muss sich nicht nur die Austeritätspolitik ändern, auch die Löhne müssen in Deutschland endlich deutlich steigen.


Der Unsinn der Austeritätspolitik

Viel zu lange wurde den deutschen ArbeitnehmerInnen eingeredet, ihre Löhne seien zu hoch, um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können. Tatsächlich ist das Wachstum der Binnennachfrage zu gering und nicht die deutschen Arbeitskräfte zu teuer. Die Löhne sind über Jahre hinweg nicht entsprechend der Produktivität gestiegen.

Deutschland ist den Weg gegangen, der einer kleinen Minderheit passt: den Reichen. Sie glauben, Unternehmen investieren, wenn die Löhne niedrig seien. Tatsächlich ist es jedoch so, dass Unternehmen investieren, wenn sie auf eine ausreichend kaufkräftige Nachfrage stoßen.

Die deutschen Regierungen haben die schwarze Null und den Sozialabbau seit der Kanzlerschaft von Schröder gegen die Interessen der großen Mehrheit der deutschen ArbeitnehmerInnen durchgesetzt. Niedriger Konsum, vor allem niedriger Massenkonsum kostet Arbeitsplätze. Die GegnerInnen auf der Seite der UnternehmerInnen werden sagen: Höhere Löhne seien auch höhere Kosten und würden die Profite vermindern. Wenn wachsende Nachfrage zur Auslastung der Produktionsanlagen führt, sind Unternehmen bereit, für wachsende Märkte zu investieren. Durch mehr Konsum und mehr Investitionen entstehen Arbeitsplätze und Profit.

Hohe Beschäftigung ist die Grundlage der Durchsetzung von Gleichheit. Bei Wachstum und hoher Beschäftigung werden Arbeitskräfte in den hoch produktiven Unternehmen knapp. Sie werben weitere Arbeitskräfte mit dem Anreiz höherer Löhne vom Rest der Wirtschaft ab. Somit steigen bei knapper Arbeit letztlich auch die Löhne der unteren Lohngruppen. In den 1950er Jahren beispielsweise stiegen die Löhne der FriseurInnen und der MüllarbeiterInnen rascher als die übrigen Löhne. Bei niedriger Beschäftigung hingegen sind nur qualifizierte ArbeiterInnen knapp, die Ungleichheit nimmt zu.


Die gefährliche Illusion der Neoliberalen

Vor sinkender Wettbewerbsfähigkeit bei steigenden Löhnen brauchen die deutschen ArbeitnehmerInnen keine Angst zu haben. Gerade die EmpfängerInnen niedriger Löhne stehen nicht unter internationalem Wettbewerb, weil sie keine handelbaren Güter herstellen. Unter internationalem Wettbewerb stehen vor allem die ArbeitnehmerInnen in den Exportindustrien: Hier boomen die Arbeitsmärkte, sind Fachkräfte inzwischen schon knapp.

Aber viel grundsätzlicher: Wirtschaften konkurrieren nur sehr begrenzt miteinander über Reallöhne. Entscheidend sind die Arbeitskosten umgerechnet in internationaler Währung, abhängig vom Wechselkurs der Währung. Seitdem alle Konservativen fordern, Griechenland (oder andere europäische Länder) sollten die Eurozone verlassen, damit ihre Währung abgewertet werden kann, kann niemand mehr bestreiten, dass die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt vom Wechselkurs abhängt. Und das heißt: Wer laufend die Löhne langsamer steigen lässt, als die Arbeitsproduktivität rechtfertigen würde, muss mit Währungsaufwertung rechnen. Das macht die deutschen SpekulantInnen reicher, nicht aber die deutschen ArbeiterInnen wettbewerbsfähiger.

Wegen der deutschen Exportüberschüsse ist der Euro relativ zur Leistungsfähigkeit unserer Partner im Süden der Union zu teuer. Für Deutschland hingegen ist er wegen Lohnzurückhaltung zu niedrig: Handelsdefizite der Südländer und Exportüberschüsse Deutschlands werden dadurch verstärkt und bedingen einander.

Unsere PartnerInnen in der Eurozone haben in den letzten Jahrzehnten die Löhne um die Produktivitätssteigerung und 2 Prozent Inflation erhöht, wie dies die Europäische Zentralbank vorschlägt - Deutschland oft nicht einmal um die Produktivitätssteigerung. Für unsere Partner bedeutet dies dann Handelsbilanzdefizite auch gegenüber Deutschland. Ihren Regierungen bleibt nur die Möglichkeit, durch Staatsprogramme Arbeitslosigkeit abzumildern. Dadurch haben die Schulden der südlichen Länder deutsche Arbeitsplätze geschaffen.

Die deutsche Austeritätspolitik hat das europäische Projekt massiv gefährdet. Sie hat in den betroffenen Staaten zu höherer Staatsverschuldung, Abbau von Arbeitsrechten und sozialen Sicherungssystemen sowie Jugendarbeitslosigkeit geführt - und nicht zuletzt eine populistische Destabilisierung der Politik befeuert. Auf diese Weise hat Deutschland den essentiellen Prinzipien seiner Außenpolitik widersprochen: erstens nie wieder international isoliert zu agieren und zweitens seine Politik unter allen Umständen mit friedlichen Mitteln zu betreiben ("Never again, never alone").


Wie lange werden sich das die deutschen ArbeitnehmerInnen und die europäischen Nachbarländer gefallen lassen?

Weil das deutsche Wachstumsmodell nicht nachhaltig ist, schlägt der französische Präsident heute der Bundesrepublik ein Modell gemeinsamen Wachstums vor, das die Integration in Europa vertieft. Er will eine milde Transferunion und ein gemeinsames Budget der Europäischen Union zur Finanzierung von Infrastrukturmaßnahmen und Entwicklungsmaßnahmen in den schwächeren Ländern, also letztlich eine Art Länderfinanzausgleich, wie in Deutschland. Erinnern wir uns: Nur mit Hilfe langjähriger Transfers aus den reicheren Bundesländern konnte sich etwa Bayern vom unterentwickelten Empfängerland zum produktiven Nettozahler entwickeln. Dabei spielte auch die Nachfrage aus den reicheren Bundesländern eine große Rolle: Die IG-Metall hat nie mit dem Hinweis auf Arbeitsplatzverlagerungen nach Bayern Lohnsteigerungen in Nordrhein-Westfalen begrenzt. Als erste verhandelten Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen, so dass die Bayern ihre Löhne schrittweise nachholend auf das Bundesniveau anheben konnten.

Exportüberschüsse sind keine preußische Tugend, sondern eine Untugend und zerstören die Kooperation in der Weltwirtschaft. Die GründerInnen des erfolgreichen 'Bretton-Woods-Währungssystems' haben deshalb gefordert, dass Überschussländer bestraft werden müssen. Der britische Ökonom John Maynard Keynes schlug vor, dass Einnahmen aus Exportüberschüssen niedrig verzinst an Defizitländer weiterzureichen sind. Im Vergleich zu einem solchen Vorschlag sind Macrons Vorschläge für ein Euro-Budget äußerst moderat.


Deutschlands historische Verantwortung

Wirtschaftlich führende Länder haben zum weltwirtschaftlichen Ausgleich stets dadurch beigetragen, dass sie Handelsbilanzdefizite duldeten. Das gilt für England im 19. Jahrhundert, aber auch für die USA nach dem Zweiten Weltkrieg. Ohne die Absatzchancen auf dem amerikanischen Markt hätte es kein deutsches Wirtschaftswunder gegeben.

Wer Transfers zwischen den Euro-Ländern begrenzen will, muss die Lösung steigender Löhne in Deutschland durchsetzen. Dazu gehört auch mehr soziale Sicherheit, weil sonst Lohnzuwächse vermehrt zum Sparen und nicht zu Nachfrage nach Gütern führen.

"Big Business" in Deutschland ist wahrscheinlich die erste Kapitalistengruppe, die von den engagiertesten Gralshütern des Neoliberalismus, dem Internationalen Währungsfonds, mit Nachdruck ermahnt wird, doch endlich die Reallöhne zu steigern, um zu vermeiden, dass die Weltwirtschaft noch mehr durcheinandergerät. Populismus in Europa und den USA ist die Folge der Unvernunft des deutschen wirtschaftswissenschaftlichen und politischen Establishments.

Noch viel Aufklärung ist notwendig. Bei den Feiern zum 200. Geburtstag von Karl Marx setzt sich das offizielle Deutschland als offen für Kritik in Szene. Man kann dann wohlgemut darauf verzichten, die Frage zu stellen, wo Marx für die Erklärung der heutigen Krise wichtig ist und wo nicht. Schön ist, wie allenthalben verkündigt wird, die Verelendung der ArbeiterInnen sei nicht eingetreten. Hier wird nicht einmal diskutiert, dass, entgegen der Auffassung von Marx, gerade der Kampf der ArbeiterInnen für höhere Löhne den Kapitalismus ermöglicht und wachsen lassen hat. (1)


Anmerkung:
(1) Hartmut Elsenhans (24.08.2017): Die Bedrohung des Kapitalismus durch die Kapitalisten, /Makroskop/, S. 16.
https://makroskop.eu/2017/08/die-bedrohung-des-kapitalismus-durch-die-kapitalisten/.

*

Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite 8-9
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang