Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → WIRTSCHAFT

VERKEHR/032: Häfen am toten Punkt (research*eu)


research*eu Sonderausgabe - Dezember 2007
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Verkehr - Häfen am toten Punkt

Von Delphine d'Hoop


Muss die historische Rolle der Häfen für die Wirtschaft noch bewiesen werden? Seit langem weist der Duft der Gewürze aus dem Orient, der durch die Lager weht, auf weit gereiste Güter hin. Aber die Volumen steigen durch die Globalisierung unablässig und schaffen logistische Probleme. Die Ausarbeitung einer Lösung für Zwischenhäfen beschäftigt die Forscher, aber die Ideen bleiben im Stadium des Prototypen stehen. Warum verstehen sich Forschung und Gesellschaft nicht? Capoeira (1) versucht die Erfahrungen der Vergangenheit zu analysieren, um die Risiken in der Zukunft zu reduzieren. Aber die Zeit drängt, und die bereits kritische Lage könnte sich verschlimmern.


*


Im Französischen und Englischen heißt Hafen "Port", was vom lateinischen "portus" bzw. dem griechischen "poros" (deutsch: "Durchgang") stammt. Seit den Phöniziern und der Blüte Alexandrias haben sich im Gefolge der Expansion des Handels die Häfen, die Tore zur Welt, entwickelt. Das deutsche Wort "Hafen" hat seinen Ursprung u. a. im mittelhochdeutschen Wort "haven" (Gefäß, Behälter), das sich auch auf den Transport der Waren in "Behältern", die auf dem Meer fahren, also die Schiffe, erstreckt. An der Semantik hat sich nichts geändert: 6 Mrd. Tonnen Rohstoffe als Massengut oder verschiedene Produkte wurden 2005 über das Meer verschifft. Das sind 90 % des Weltwarentransports.


Strategische Knotenpunkte des Verkehr

Ursache für das stetig anhaltende Wachstum im Seetransport ist die wachsende Internationalisierung der wirtschaftlichen Praktiken. Ab Ende der 50er Jahre erleichtert die Erfindung der Container den Umschlag von einem Transportmittel zum anderen. Einmal im Bestimmungshafen angekommen, werden die Waren über Brückenkräne entladen und dann meist per LKW oder Eisenbahn weitertransportiert. Durch die Verwendung von Standard-Maßen und -Befestigungssystemen werden sie zur "Intermodalen Transporteinheit".

Geografische Zwänge sind nicht der einzige Grund für die sukzessive Verwendung unterschiedlicher Transportarten. So führen beispielsweise oft die geringeren Kosten des Seetransports dazu, dass diese Lösung ernsthaft in Erwägung gezogen wird. In der Folge haben sich die Häfen angepasst und wurden zu "Hubs", die als Empfangs- und Verteilerstation für Container auf Landesebene oder gar für einen ganzen Kontinent fungieren.

Auch die derzeitige Überlastung der Straße privilegiert den intermodalen Transport. Und die Reeder sind an Zwischenhäfen interessiert, die im Zentrum der Städte liegen. Das ist ein Vorteil, der die Marktposition dieser Häfen dennoch schwierig gestaltet, denn es fehlt an Platz und die Häfen können keine ausreichende Aktivität aufnehmen, damit die erforderlichen Infrastrukturen gebaut und die Umschlaggeschwindigkeit der Waren erhöht werden könnten. Diese Leistungsfähigkeit ist jedoch ein Schlüsselfaktor für die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Straßentransport.


Knotenpunkt

Die in Europa mehrheitlich mittelgroßen Häfen könnten bei der Auslieferung von Waren ins Innere des Landes mit geringeren ökologischen Belastungen eine wichtige Rolle spielen. Aber wie kann man die Reeder, die ihre Schiffe für Fahrten ausstatten und betreiben, vom Nutzen dieser Häfen überzeugen? Wie soll man Container auf einem 30 m breiten Kai entladen, während dieser gleichzeitig von einer Lawine mit 200 Fahrzeugen verstopft wird?

Für dieses Problem hat das Projekt Asapp (Automated Shuttle for Augmented Port Performance) eine Antwort gefunden, indem es auf ein Konzept der Firma Reggiane (IT) aufbaut: ein Hochentladesystem für Container auf einer Zwischenplattform, also eine doppelte Arbeitsfläche. Die Container werden mit einem automatischen Shuttle transportiert, dessen Leistung derjenigen der derzeit verwendeten Schwerfahrzeuge gleicht. Nach Angaben der Entwickler optimiert dieses System den Einsatz der Brückenkräne (durch den Umschlag von 200 Containern pro Stunde) und ermöglicht eine schnelle Rentabilität der Investitionen. Für die Idee und den Prototyp hätten sich also Betreiber und Reeder interessieren müssen. Aber seit 2001, dem Ende des Projekts, wurden keine einzige neue Plattform und kein Shuttle nach dem Vorbild des Asapp-Projekts an europäischen Küsten (2) gebaut.


Analyse in trüben Wassern...

Um das Schicksal der Forschungsarbeiten an den Terminals - wie z. B. Asapp - zu verstehen, setzt Capoeira ein Bewertungsraster ein, das die Strategien aller Akteure mit einbezieht: von der Konzeption über das Angebot, den Aufbau des Konsortiums und den Projektverlauf bis zum Ergebnis.

Einer der Koordinatoren des Asapp-Projekts, der frühere Land-Terminalbetreiber Jean-Louis Deyris, erklärt uns zunächst, wo das Projekt endete: "Die Arbeiten ergaben tatsächlich ein Terminalkonzept und führten zur Entwicklung eines Shuttles. Auf den in Triest (IT) gebauten Prototyp folgte sogar noch ein zweiter, Asapp 1, mit dem drei Container gleichzeitig transportiert werden können. Aber all das blieb in der Schublade."

Das Capoeira-Projekt, das mit 0,5 Mio. EUR vollständig von der Kommission finanziert wird, plant eine reflexive Phase bis 2008. Bevor die Zukunft in Angriff genommen wird, ist eine erste Phase erforderlich, bei der die vergangenen Projekte auf die Gründe für ihr Scheitern untersucht werden. Für Jean-Louis Deyris, der ebenfalls für Capoeira tätig ist und methodologische Fragen behandelt, "stellen die angetroffenen Hindernisse eine komplexe Problematik dar, die die einfache Kostenfrage übersteigt. Wir verwenden einen systemischen transversalen Ansatz, um die Kriterien für Erfolg oder Scheitern zu bestimmen. Diese gleichfalls empirische Arbeit zeigt die sehr unterschiedlichen Faktoren und berücksichtigt die Bedürfnisse der Beteiligten - Reeder und Hafenbetreiber - sowie die Art, wie Forschung im Rahmen der Europäischen Kommission organisiert wird. Auch der Markt hat sich entwickelt, vom Angebot der Industriebetriebe, das den Betreibern aufgezwungen wurde, hin zu einem System, in dem der Bedarf der Akteure berücksichtigt wird."


...und die Ausnahmeerscheinung "Hafen"

Die Unfähigkeit der Akteure, sich zusammenzusetzen und zusammenzuarbeiten, erschien als einer der Hauptgründe für das Scheitern der Initiativen. "Die Häfen stehen in Konkurrenz, wenn es um die Akquise und den Erhalt des Verkehrs geht. Wenngleich es einige wenige Projekte gibt, die sieben oder acht Partner vereinen, behält in aller Regel jeder sein Know-how für sich. Einige haben sogar ihre eigene Technik. Und das, obwohl in anderen stark wettbewerbsbestimmten Sektoren, wie Luftfahrt- und Automobilindustrie, die Forschung von mehreren Akteuren gemeinsam betrieben wird und sich das Konkurrenzverhalten auf die speziellen Anwendungen des Einzelnen reduziert", so Deyris weiter. Zudem ist in bestimmten Ländern ein Mangel an Konzertierung der Sozialpartner zu beklagen.

Die Phase der Analyse früherer Projekte mündet in eine Erarbeitung von Empfehlungen, die am 19. Oktober in Paris präsentiert wurden. "Die Ergebnisse wurden von der gesamten Gemeinschaft mit Spannung erwartet", erklärt Deyris, "denn bevor wir Zukunftsszenarien erstellen, haben wir uns die für eine Analyse notwendige Zeit genommen." Und das trotz des enormen Handlungsbedarfs in den europäischen Häfen.


Sturm naht

In der Tat, Europa ist im Rückstand. Die größten Häfen der Union konnten nicht schnell genug expandieren, um die exponentiell wachsenden Exporte aus Asien abwickeln zu können. In Rotterdam wurde beispielsweise die Erweiterung durch umwelttechnische Probleme blockiert. Dadurch kommt es zu chaotischen Stauungen, Lieferverspätungen und sogar zur Umleitung von Schiffen, weil einfach nicht genügend Anlegeplätze zur Verfügung stehen. Die Partnerhäfen beginnen zu zweifeln. Im ersten Quartal 2007 wurden aus diesem Grund 73 % der Container mit Verspätung entladen. Und nach Angaben der europäischen Organisation der Seehäfen, ESPO(3), dürfte sich der Seetransport zwischen 2006 und 2015 verdoppeln.

Im Rahmen einer vorläufigen Schlussfolgerung erklärt Deyris: "Es stehen große und einschneidende Maßnahmen an, wie beispielsweise der Bau von Hochseehäfen und die sich daraus ergebende neue Verteilungslogistik. Aber weder die Forschung noch die Branche selbst sind heute reif genug, um dieser Entwicklung ins Auge zu sehen. Allerdings scheint sich die Tendenz seit kurzem umzukehren: Große Häfen äußern den Wunsch, an laufenden oder künftigen Projekten teilzunehmen."


*


Das Leben der Häfen in Zahlen

Die Häfen sind die Knotenpunkte bei der Verteilung von Waren auf die Binnennetze: Wenn es hier "hängt", ist die gesamte nachgelagerte Versorgungskette betroffen. Das spricht für ihre zentrale Bedeutung, wenn man beachtet, dass 3,5 Mrd. Tonnen Waren jährlich in den 1 000 europäischen Häfen umgeschlagen werden, die 90 % des äußeren und 43 % des inneren Handelsvolumens des Kontinents ausmachen. Aneinandergereiht würden diese Container halb um die Erde reichen.

Die Häfen der Union sind auch Stätten des menschlichen Lebens. Dem Jahresbericht 2006-2007 der ESPO(3) zufolge haben 2005 in den Häfen 500 Millionen Passagiere Schiffe bestiegen oder verlassen, das sind nahezu zwei Drittel der Europäer. Der Sektor beschäftigt 350 000 Menschen, wenn man die direkt mit den Hafentätigkeiten verbundenen Dienstleistungen einbezieht.

Schließlich beherbergt ein europäischer Hafen als Küstenlebensraum im Durchschnitt 250 Seetierarten, 70 Vogelarten und 60 Pflanzenarten.


*


Häfen als Zufahrten auf die "Autobahnen" des Meeres

Jedes Jahr verstopfen Staus 10 % des europäischen Straßennetzes und verursachen einen Verlust von 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Allein in der EU der 15 dürfte der Frachtverkehr bis 2010 um 70 % steigen. Die Straße überschreitet mit ihren Infrastrukturkosten, ihrer Belastung für die Landschaft, ihrem Anteil von 90 % an den CO2-Emissionen des Verkehrssektors ihren Sättigungspunkt, und die Räder der Maschine "Transport" blockieren. Eine Neuorganisation ist unausweichlich.

Dieses Ziel verfolgt das Projekt Meeresautobahnen der Generaldirektion Umwelt und Transport, das sich auf den Seetransport für Kurzstrecken konzentriert. Diese Transportart verzeichnete zwischen 1995 und 2002 einen Zuwachs von 25 %. Sie ist sicherer, staufrei, wirtschaftlicher im Treibstoffverbrauch und gleichzeitig auch wettbewerbsfähiger in Bezug auf Zeit und Kosten als die meisten Straßenrouten - vor allem im Hinblick auf natürliche Hindernisse, wie Gebirgszüge. Obst und Gemüse, das jährlich an Bord von 60 000 LKW von Spanien nach Irland und England gebracht wird, wäre auf dem Seeweg 600 bis 1 200 km weniger unterwegs.

Aber diese verderblichen Produkte können nicht einen Tag lang an der Mole stehen. Der Seetransport muss sein Dienstleistungsangebot intensivieren können, um die kontinuierliche, sich über Asphalt, Schiene und Wasserwege ergießende Warenflut aufnehmen zu können. Die Entwicklung der Seefahrt (30 % des Forschungsbudgets des 6. Rahmenprogramms für den maritimen Sektor) erhält tatsächlich eine breitere Perspektive, indem sie alle Arten des Transports und ihr Ineinandergreifen mit einbezieht. Dieser multimodale (im Zusammenhang mit Containern intermodale) Ansatz ist einer der Schlüssel der EU-Politik. Er fordert ein Überdenken des gesamten Transport-Managements, natürlich eine Erhöhung der Frequenz der Seeverbindungen, aber auch die Definition echter Logistikketten, die den Fluss aller Transportarten organisieren und auf eine begrenzte Anzahl an Zielhäfen konzentrieren, die die Verbindung zu den "Meeresautobahnen" herstellen. Vier große Korridore wurden bereits festgelegt: in der Ostsee, in Westeuropa, in Südost- und in Südwesteuropa.


Anmerkungen:

(1) Coordinated Action of Ports for integration of efficient innovations and development of adequate research, development and innovation activities.

(2) In einem großen europäischen Hafen werden jedoch demnächst Versuche durchgeführt.

(3) European Sea Port Organisation.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

> Der größte europäische Hafen, Rotterdam, wickelte 2005 9,3 Millionen Container mit einem Frachtvolumen von 396 Mio. Tonnen ab. Allerdings beginnt der Glanz der nordeuropäischen Häfen gegenüber dem Aufstieg der Häfen im Süden Europas etwas zu verblassen. Valencia, Algesiras und Barcelona gehören heute aufgrund des Handels mit dem Fernen Osten zu den zehn größten Containerhäfen.

> Die Aktivität der Häfen wird in Mio. TEU gemessen. Rotterdam (NL) beispielsweise wird mit 9,3 bewertet, Antwerpen (BE) mit 6,5 und Algesiras (ES) mit 3,2. TEU bedeutet "Twenty-foot Equivalent Unit" und ist die Standardeinheit als Maß für den Transport von Containern, die i.d.R. diese Länge (etwas über 6 m) aufweisen.


*


Quelle:
research*eu Sonderausgabe - Dezember 2007, Seite 38
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2007
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
Telefon: 0032-2/295 99 71, Fax: 0032-2/295 82 20
E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2008