Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → WISSENSCHAFT

BERICHT/023: Die Forschung in den Augen des Bürgers (research*eu)


research*eu - Nr. 59, März 2009
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Die Forschung in den Augen des Bürgers

Von Christine Rugemer


Wie sehen die Bürger als Laien die Wissenschaft und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft? Was erwarten sie in dieser Hinsicht von der Forschung und von Europa? Eine im Auftrag der Europäischen Kommission in 27 Mitgliedstaaten durchgeführte unveröffentlichte Feldstudie beleuchtet die Ansichten der öffentlichen Meinung zu Forschung und Entwicklung. Sie gibt Europa Anhaltspunkte für seine eigene Kommunikation in diesem Bereich.


Ein bulgarischer Teilnehmer der Umfrage, die das Forschungsinstitut Optem im Auftrag der Generaldirektion Forschung durchgeführt hatte, sagte: "Nicht die Ergebnisse der Forschung beunruhigen mich, sondern ihre Anwendung."(1) Wie in vielen anderen Befragungen zu diesem Thema ist auch hier für viele der Befragten die Wissenschaft ein Buch mit sieben Siegeln. "Wissenschaft ist ein mächtiges Werkzeug, das nützlich sein, aber auch eine Katastrophe auslösen kann", fasst ein griechischer Teilnehmer zusammen. Die "positive" Forschung wird über Fortschritte wahrgenommen, die in den Bereichen Medizin und Umwelt erzielt wurden. Als negativ werden vor allem die Risiken der genetischen Manipulation oder genetisch veränderter Organismen wahrgenommen, ohne die wirtschaftlichen Folgen dazuzurechnen, denen auch die Wissenschaft nicht entrinnen kann ("Das Problem liegt nicht in der Forschung selbst, es ist das kapitalistische Denken, dass für den Profit alles getan würde", ein Befragter aus Litauen).

Wie gelangen die Europäer zu ihren Überzeugungen? Ihre Hauptinformationsquelle ist das Fernsehen, ein Medium, das vor allem "keine Anstrengung" verlangt, jedoch auch Raum für geteilte Meinungen gibt. Einerseits werden Zweifel an der Fundiertheit der verbreiteten Informationen vorgebracht (Belgien, Griechenland), andererseits wird es trotzdem den großen populären Zeitschriften vorgezogen (Finnland, Schweden, Vereinigtes Königreich). Die Ergebnisse verschiedener Diskussions- und Reflexionsgruppen lassen erkennen, dass es generell Zweifel an der Qualität der Behandlung wissenschaftlicher Fragestellungen durch die Medien gibt - etwa in Deutschland oder im Vereinigten Königreich (wo "man erst davon spricht, wenn es eine Katastrophe gegeben hat") oder in den Niederlanden (wo Nachrichten "oft direkt nach ihrer Verbreitung wieder dementiert werden").


Sieben Schwachpunkte

Nach diesem ersten allgemeinen Rundgang sollten die Teilnehmer sieben heiße Themen an der Grenze zwischen Wissenschaft und Gesellschaft abklopfen (siehe Kasten). Für Daniel Debomy, Direktor von Optem, "sieht man zweifellos am Thema Atomenergie, das seit Jahren Debatten auslöst, dass sich die Mentalität verändert hat, vor allem in bestimmten Ländern, die traditionell gegen Atomkraft sind. Die Befürchtungen bleiben zwar bestehen, jedoch sind sich die Befragten der Bedeutung und des Interesses an dieser emissionsfreien Energiequelle im Kontext der Energiekrise und des Klimawandels bewusst." "Uns bleibt keine andere Wahl, als die Kernkraft zu akzeptieren", hört man tatsächlich aus Österreich. "Ich war immer gegen die Kernenergie, aber jetzt beginne ich, sie als eine konkrete Lösung für ein konkretes Problem anzusehen", bemerkt ein Däne. Das Problem ist das Klima, das irgendwie überall eine Rolle spielt und dadurch auch zu einem Verhaltens- und Denkwandel führt.

Im Gegenzug rufen die genetisch veränderten Organismen (GVO) die meisten Kontroversen und einen Argwohn hervor, der zwischen "Veränderung der Natur" und Verfahren "gegen die Natur" schwankt. Auch nachdem die Teilnehmer ein Dokument über die möglichen Vorteile und die Kontrolle der Risiken von GVO zur Kenntnis genommen und darüber diskutiert hatten, blieben bei einer Vielzahl der Teilnehmer die Zweifel bestehen. Sie plädierten für mehr Vorsicht in einem Bereich, der ihrer Ansicht nach noch weiterer Forschungen bedarf.


Bitte mehr Forschung

Wie steht es nun mit der Forschung? In vielen Ländern - sogar in den großen wie Frankreich, Deutschland oder dem Vereinigten Königreich - hält die Mehrzahl der Befragten die nationalen Forschungsanstrengungen für unzureichend. Dieser Eindruck wird in vielen Fällen von einem Gefühl der ungerechten Behandlung und der Verschwendung gegenüber den Wissenschaftlern selbst begleitet. "Wir haben hervorragende Köpfe, aber kein Geld" (Italien). "Die Abwanderung geht weiter und unsere Forscher sind in anderen Ländern erfolgreich" (Litauen). Die geringen Mittel, der mangelnde politische Wille und die geringe Attraktivität der Forscherberufe werden praktisch überall hervorgehoben.

Und was macht Europa? Bei Fragen zur Forschungspolitik der Europäischen Union wird diese eigenartigerweise verkannt. Es werden zwar die Riesen angeführt, wie etwa die Europäische Organisation für Kernforschung CERN (Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) oder die Europäische Weltraumorganisation ESA (European Space Agency), doch nimmt man an, "dass es Tausende von Projekten gibt, die man jedoch nicht kennt" (Belgien), man tappt im Dunkeln. An dieser Stelle wird die Befragung mit einer Informationsübung unterlegt. Die Diskus sionen der Gruppen stützen sich auf verschiedene forschungsbezogene Kommissionsmitteilungen. Im Laufe der Diskussion, "herrscht ein mehrheitlicher Konsens für die Förderung einer europäischen Maßnahme im Bereich der Forschung und man stimmt einer Unterstützung zu", so die Meinungsforscher. Es herrscht die Ansicht, dass Europa wichtig ist, um die Mittel bereitzustellen, die Entwicklung schwerer Projekte zu ermöglichen, den Austausch von Ideen zu fördern und um die Abwanderung der Wissenschaftler zu verringern. "Die Zukunft der EU und Europas könnte auf dem Spiel stehen, wenn unsere Forschung und unsere technologische Entwicklung hinterherhinken - die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Sozialsystem brauchen eine Union, die an der Spitze steht" (Schweden).


Europa bekannt machen

Im letzten Teil sollten die Teilnehmer Lösungen vorschlagen, die in ihren Augen geeignet sind, um die Forschungspolitik der EU besser bekannt zu machen. Die Vorschläge betrafen vor allem traditionelle Medien, angeführt vom Fernsehen (kurze Sequenzen in den Nachrichtensendungen oder Themenbeiträge, Magazine, Reportagen zum Thema, Sendungen, die sich der Gemeinschaftsforschung widmen, oder ein Sender, der dieser Thematik gewidmet ist). Das Internet, das ja oft als das Vorrecht der jüngeren Generationen angesehen wird, wurde nur von einem Drittel der Gruppen, insbesondere von Franzosen, Niederländern und Slowaken, als Medium vorgeschlagen. Der allgemeine Tenor war hier, dass das Web zwar einen großen Informationsreichtum bietet, dass dieser aber nur dann etwas nützt, wenn man bereits Informationen besitzt. "Das Internet ist ein gutes Werkzeug, um Fragen zu beantworten, allerdings muss man wissen, welche Fragen man stellen muss" (Italien). Was die Erstellung von Drucksachen (Broschüren, Faltblätter, Zeitschriften) betrifft, so ist diese bei Weitem noch nicht überholt, doch stellt sich vor allem die Frage nach der Art der Verbreitung, etwa als Gratiszeitungen, die in Bussen und Bahnen oder an öffentlichen Orten ausgelegt werden, als Präsentationen in Museen oder in Form von Tagen der offenen Tür in den Laboratorien.

Europa muss also auf das Publikum zugehen, und zwar zunächst dort, wo es sich befindet. Dabei sollte man vielleicht sehr früh ansetzen, in der Schule, die häufig als ein bevorzugter Ort für die wissenschaftliche Information angesehen wird. Warum nicht Unterrichtsmaterial veröffentlichen, das vor allem auch Besichtigungen von Wissenschafts- oder Forschungszentren einbezieht?

Unabhängig vom Publikum herrscht unter den verschiedenen Gruppen die Ansicht vor, dass die behandelten Themen mehr mit der Lebensrealität der Bürger zu tun haben sollten (Gesundheit, Medizin, Umwelt) und konkret, verständlich und prägnant vorgestellt werden müssen, wobei wissenschaftlicher Jargon und eine hölzerne Verwaltungssprache zu vermeiden sind. "Das Wichtigste ist, dass die Informationen in einer verständlichen Sprache vermittelt werden, damit sie auch für Leute interessant sind, die nichts mit der Wissenschaft zu tun haben", fasst ein lettischer Teilnehmer zusammen.


MEHR EINZELHEITEN

Die Befragungsmethode

In jedem EU-Land wurde eine Gruppe aus zwölf Personen (17 bis 60 Jahre) dazu eingeladen, eine Diskussion über Wissenschaft, Forschung und Technologie zu führen.

Ziel der Übung: eine Bestandsaufnahme zu den Wahrnehmungen der Europäer in diesen Bereichen durchzuführen, ihren Informationsgrad und ihre Informationsquellen kennenzulernen, bestimmte kontroverse Themen aufzugreifen und einzuschätzen, wie sie die nationalen und gemeinschaftlichen Forschungspolitiken empfinden. Den Diskussionen über sieben aktuelle Themen (Kernenergie, Klimawandel, Biokraftstoffe, GVO, Stammzellen, Nanotechnologien, Tierversuche) ging eine allgemeine Debatte voraus. Die Analyse der Forschungspolitiken betraf eine Mitteilung zu den Maßnahmen der EU, insbesondere durch die Bewertung verschiedener Kommunikationsmittel (Broschüren, das Magazin research*eu, Filme), die von der Generaldirektion Forschung produziert werden. Schließlich wurden die Teilnehmer aufgefordert, auf die Initiativen der Europäischen Kommission einzugehen und Mittel vorzuschlagen, mit denen "das Verständnis wissenschaftlicher Fragestellungen verbessert, diese attraktiver gestaltet und die Beteiligung der Bürger an den entsprechenden Problematiken erhöht werden können."


Anmerkung
(1) Qualitative study on the image of science and the research policy of the European Union. Study conducted among the citizens of the 27 Member States (Anm. d. Red.: bei Drucklegung dieses Magazins noch nicht veröffentlicht)


*


Quelle:
research*eu - Nr. 59, März 2009, Seite 28-29
Magazin des Europäischen Forschungsraums
Copyright: Europäische Gemeinschaften, 2009
Herausgeber: Referat Information und Kommunikation der
GD Forschung der Europäischen Kommission
Chefredakteur: Michel Claessens
Redaktion: ML DG 1201, Boîte postale 2201, L-1022 Luxembourg
Telefon: 0032-2/295 9971, Fax: 0032-2/295 8220
E-Mail: research-eu@ec.europa.eu
Internet: http://ec.europa.eu./research/research-eu

research*eu erscheint zehn Mal im Jahr und wird auch
auf Englisch, Französisch und Spanisch herausgegeben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2009